Wäre da nicht die Tasse vor ihren Füßen, wären da nicht die Decken, auf denen sie sitzt – man könnte meinen, Monika Sturm hätte am Rande der Obernstraße eine kleine Pause gemacht, um sich den Trubel anzusehen. „Ich pflege mich“, sagt Monika Sturm, „das ist mir sehr wichtig. Ich gehe regelmäßig duschen, im Bremer Treff. Da kann man auch seine Wäsche waschen.“ Seit einigen Wochen sitzt Monika Sturm nahe der Straßenbahnhaltestelle in der Fußgängerzone und hofft darauf, dass Passanten Geld für sie übrig haben. So wie sie es früher selbst übrig hatte. „Ich habe Geld gegeben, aber ich habe mir die Leute angeguckt.“ Alkohol- oder Drogenkonsum habe sie nicht unterstützt, aber Herrchen oder Frauchen mit Hund. „Vor allem, wenn man sehen konnte: Erst kommt der Hund, dann der Mensch, und dann vielleicht die Drogen.“
Früher, das war Monika Sturms Alltag bis Anfang des Jahres. Bis dahin habe sie ein bürgerliches Leben geführt, erzählt sie. Niemals hätte sie damit gerechnet, eines Tages auf der Straße zu sitzen. „Es ist schwer. Ich kann damit schlecht umgehen. Ich bin froh, dass ich meinen Lebensgefährten an der Seite habe. Ich glaube, sonst würde ich untergehen.“ Markus Friedrich heißt ihr Partner, 50 Jahre alt. Sie passten aufeinander auf. Das habe sie über die ersten Tage hinweggetröstet. „Ich spiele viel runter“, sagt Markus Friedrich, „um ihr Halt zu geben.“ Beide klammern sich an die Hoffnung, dass sie bald wieder Boden unter den Füßen bekommen.

Das Hab und Gut von Monika Sturm und ihrem Partner passt in einen Fahrradanhänger, einen großen Koffer und einen Rucksack.
„Am Anfang mussten wir schon kämpfen. Es ist erschütternd, jeden Abend, wenn man seine Matten ausrollt und sich da hinlegt. Das ist nicht das, was wir wollen“, sagt Markus Friedrich. „Es ist erschreckend, dass einem das auf einmal passiert und wie schnell das passieren kann.“ Besonders schwer falle ihr, sagt Monika Sturm, dass sie ihre Tochter nicht mehr um sich habe. Auch ihre Haustiere vermisse sie. „Das ist das, was ich eigentlich brauche.“
Sturm hat vor vier Monaten ihre Wohnung verloren
Beide haben, erzählen sie, bevor sie obdachlos wurden, gearbeitet und gelebt wie jeder andere. Er sei gelernter Koch, sie war bis vor einigen Monaten Verkäuferin in einer Fleischerei, berichtet das Paar. „Für mich war es eine große Hürde“, erzählt Monika Sturm, „mich mit einem Becher in die Obernstraße zu setzen. Deshalb sitze ich auch nur stumm da und spreche niemanden an.“
Vor vier Monaten, erzählt die 52-Jährige, habe sie ihre Wohnung im Landkreis Verden verloren. Das Mobiliar sei in der Nachbarschaft untergestellt, ihre 20-jährige Tochter sei einige Wochen zuvor mithilfe des Jugendamts anderswo untergekommen. Der Grund: massiver Ärger mit ihrem Vermieter, erzählt Monika Sturm. „Er wollte mich schon immer aus dem Haus haben.“ Irgendwann habe sie nicht mehr die Nerven gehabt, sich zu wehren. Juristischer Beistand sei für sie unbezahlbar, wo sie sonst mit Unterstützung hätte rechnen können, habe sie nicht gewusst. Sie sei mit den Nerven am Ende gewesen.
Eine neue Wohnung zu finden, sei schwierig. Monika Sturm hat mehrere Hunde. Sie seien nicht überall willkommen. Außerdem möchten sie und ihr Lebensgefährte in die alte Heimat zurück, in die Nähe von Stuttgart. In Norddeutschland halte sie nichts, sagt das Paar, zu viele schlechte Erinnerungen. „Ich fühle mich hier nicht mehr so wohl“, sagt Monika Sturm. Mit dem Handy schaue sie in Kleinanzeigen nach Wohnungen, aber es sei derzeit unmöglich, Termine in Baden-Württemberg wahrzunehmen. Das Geld für die Reise fehlt.
Schon Anfang des Jahres wollten die beiden in den Süden zurückkehren, Monika Sturm kündigte bei ihrem Arbeitgeber. Aber der Umzug missglückte, aus der Ferne eine Wohnung und neue Stelle zu finden, sei komplizierter als erhofft. „Irgendwie kommt immer etwas dazwischen.“
Es fällt beiden nicht leicht, sich um bürokratische Angelegenheiten zu kümmern. Das Leben auf der Straße koste Kraft und Zeit. Zum Amt zu gehen, sei ihnen unangenehm und reiße eine Lücke in ihr Budget. Obdachlos Arbeit zu finden, so gut wie unmöglich.

Immer dabei, statt ihrer Hunde, die sie bei Bekannten unterbringen konnte - ein Kuscheltier.
Ihr Besitz füllt einen großen Koffer, einen Fahrradanhänger und einen Rucksack. Damit ist das Paar so gut wie jeden Tag zwischen ihrem Schlafplatz in einem Park und der Obernstraße unterwegs. Wenn der eine neben dem Hab und Gut sitzt und auf Anteilnahme bei den Passanten hofft, sucht der andere nach Leergut. An guten Tagen nehmen die beiden 20 bis 30 Euro ein, sagt die 52-Jährige. Staatliche Unterstützung bekämen sie derzeit nicht. Sie könne sich nicht ausweisen, weil sie keinen gültigen Personalausweis besitze. Sein Antrag laufe, „aber bei mir zögert sich das immer weiter hinaus“, sagt er.
Monika Sturm zieht eine kleine Blechdose aus der Tasche. Dort ascht sie hinein. Der Platz, an dem sie betteln, soll sauber bleiben, sagt sie. „Für mich ist Ordnung das halbe Leben.“ Die Decken, auf denen sie sitzt, sind akkurat gefaltet. In dem Fahrradanhänger hat alles seinen Platz. „Du hast da dein System“, sagt er, als sie zusammenpacken, „da lasse ich lieber die Finger davon“.
Nach und nach hat das Paar erfahren, wo es in Bremen mit Unterstützung rechnen kann. „Wir kennen zwei, drei gute Leute, die uns geholfen haben.“ Das Hilfesystem in Bremen sei umfangreich. Sie hätten gelernt, sich mit dieser Unterstützung durchzuschlagen. Beide konsumieren weder Drogen noch Alkohol, versichern sie glaubwürdig. „Ich bin komplett dagegen. Ich habe schlechte Erfahrungen mit Alkoholikern gemacht“, sagt die 52-Jährige. „Davon halte ich Abstand.“ Das gelte auch für andere Obdachlose. Es sei nicht leicht, auf der Straße Freundschaften zu knüpfen. Viele Obdachlose seien drogen- oder alkoholkrank oder hätten offensichtliche psychische Probleme.
Anfangs mussten sich die beiden auf der Straße durchboxen, sie mussten ihren Platz zum Betteln in der Obernstraße verteidigen. „Es gibt welche, die wollen einen verjagen“, sagt Markus Friedrich. „Da muss man sich auf die Hinterfüße stellen. Da darf man nicht klein beigeben.“ Sie sind allerdings früh in der Stadt und verlassen den Platz, bevor andere ihn übernehmen. Auch mit den Reaktionen der Passanten müsse man lernen umzugehen. „Manche schauen einen von oben herab an und geben blöde Kommentare von sich“, sagt Markus Friedrich. „Da muss man auf Durchzug schalten, auch wenn’s einem schwerfällt.“
Wenn es regnet, schlagen sie ihr provisorisches Lager in einer der Einkaufspassagen auf. Sie würden geduldet, wenn sie die Passage verlassen, wie sie sie vorgefunden haben. Notunterkünfte kommen für sie nicht infrage, weil sie dort nicht gemeinsam unterkommen können. Erschwerend hinzu komme, sagt Markus Friedrich, dass dort häufig gestohlen werde oder es zu „Theater“ komme. „Das müssen wir uns nicht geben, wir haben genug Schwierigkeiten.“
Kürzlich waren die beiden ausnahmsweise unterwegs, auf der Kieler Woche, erzählen sie. „Wir haben eine ganze Woche gespart, dass wir uns das Ticket leisten können.“ Es ging ihnen aber nicht um die Segler. „Wir haben versucht, dort Geld zu machen, durch Flaschensammeln“. Auch Konzerte auf der Bürgerweide wie das von Iron Maiden lohnen sich für das Paar. Das sind die guten Tage in der schlechten Phase.
Monika Sturm fürchtet sich vor dem Winter. Bis dahin muss der Umzug in den Süden unbedingt klappen. Ein dauerhafter Absturz, die Flucht in den Rausch – undenkbar. „Das wird nie passieren. Ich kann Brief und Siegel darauf geben“, sagt Markus Friedrich. Stattdessen wollen die beiden „Kraft sammeln, neu durchstarten, mit Arbeit und Wohnung“. Ihr größter Wunsch sei, sagt Monika Sturm, „endlich mal wieder zur Ruhe kommen“.