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Ressort muss 1600 weitere Wohnplätze finden Party für Flüchtlinge

In den kommenden Monaten werden etliche Flüchtlinge erwartet. Vielerorts bricht deshalb Hass aus. In Bremen ist das bisher nicht so. Hier herrscht vielerorts eine ausgesprochene Willkommenskultur.
30.08.2015, 00:00 Uhr
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Party für Flüchtlinge
Von Hauke Hirsinger

In Deutschland werden laut Bundesinnenministerium in diesem Jahr etwa 800 000 Flüchtlinge erwartet. Von behördlicher Seite erfuhr der WESER-KURIER aber inoffiziell, dass dies konservativ gerechnet sei. Es könnten auch knapp eine Million werden.

Eine massive Herausforderung, die polarisiert. Vielerorts bricht sich der Hass auf Asylbewerber Bahn. Nicht nur am Stammtisch, in sozialen Netzwerken und bei Demonstrationen, sondern auch in Form von Übergriffen und Brandanschlägen. Im kleinsten Bundesland ist es bislang vergleichsweise ruhig. „Es gab im Jahr 2015 keine politisch motivierten Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte“, erklärt Polizeisprecher Nils Matthiesen. Das gelte ebenfalls für die Vorjahre. Auch seien bislang keine rassistischen Gewalttaten gegen Asylbewerber zu verzeichnen gewesen.

Im Gegenteil. In Bremen herrscht vielerorts eine ausgesprochene Willkommenskultur. Dort, wo Flüchtlingsunterkünfte eingerichtet werden, treffen die neuen Bewohner des Stadtteils auf Hilfsbereitschaft, Offenheit und ehrenamtliches Engagement. Trotz klammer Kassen gelingt es in Bremen immer wieder, Menschen aus der Fremde einzubinden und ihnen das Gefühl zu geben, nach langer, gefährlicher Flucht endlich wieder durchatmen zu können. So auch in Woltmershausen. Im dortigen Spiel- und Wassergarten stieg am Sonnabend eine „Refugees Welcome“-Party – ein Willkommensfest für Flüchtlinge.

Mit großem Erfolg, wie man bereits kurzem Zuschauen sagen mochte. Menschen mit den unterschiedlichsten kulturellen und ethnischen Hintergründen saßen zusammen und unterhielten sich – aufgrund der Sprachbarriere häufig mit Händen und Füßen. Gemeinsam wurde gekocht und gewerkelt. „Wir hatten eigentlich die Idee, eine Freiluftparty für Flüchtlinge zu veranstalten“, erklärt Björn Wilke. Doch das Interesse der Woltmershauser an dem Thema sei so groß gewesen, dass das Organisationsteam innerhalb einer Woche von ursprünglich drei Personen auf mehr als 30 gewachsen sei.

Maßgeblich engagierten sich der Verein „Pusdorf am Fluss“ und der Beirat für das Fest. Am Ende entstand daraus ein Familienfest mit anschließender Techno-Freiluftparty – beides offiziell angemeldet. „Die Hilfsbereitschaft in Pusdorf ist unglaublich groß. Es gab auch etliche Privatpersonen, die uns mit Geldspenden unterstützt haben“, freut sich Wilke. Die Sommerparty habe von Beginn an den Charakter eines Mitmachevents gehabt. Jeder habe beim Aufbau angepackt. „Es war gleich das Gefühl von Gemeinsamkeit da. Wir machen etwas zusammen.“

„Einfach nur nett“

Walid Alsuleiman ist seit sechs Wochen in Bremen. Der 27-jährige Mediziner ist aus Syrien geflüchtet und glücklich, auf dem Gelände der ehemaligen Woltmershauser Zigarettenfabrik einen sicheren Platz gefunden zu haben. „Aus so vielen Richtungen wird für uns Gutes getan. Die Menschen hier sind einfach nur nett. Sie helfen uns.“ Alsuleiman erzählt dies, während er zusammen mit anderen syrischen Flüchtlingen einen großen Salat zubereitet. Alles aus Spenden. Um die Kochenden eilen zwei Kinder herum. Ein kurdischer Junge mit Katzenschminke im Gesicht wird von einem Woltmershauser Mädchen mit Prinzessinnen-Make-Up gejagt. Beide jauchzen vor Vergnügen. Mitorganisator Joachim „Bommel“ Fischer ist sicher: „Kochen, spielen oder zusammen etwas auf die Beine stellen – das geht auch ohne gemeinsame Sprache. Im Zweifelsfall versteht man sich intuitiv.“ Er freue sich über das gelungene Fest und über die Gelegenheit, nette Kontakte zu Menschen aus anderen Ländern knüpfen zu können. „Ich engagiere mich hier, weil mir wichtig ist, dass wir in Bremen Flüchtlinge aufnehmen. Das ist unsere moralische Verpflichtung.“

Christian Ziegler ist Anwohner des Spiel- und Wassergartens und engagiert sich seit eineinhalb Jahren für Flüchtlinge. Unter anderem repariert der Besitzer eines BMX-Shops in Findorff kostenlos Fahrräder. „Ich kenne etliche der Geflüchteten, die jetzt bei uns in Woltmershausen leben, noch aus der Zeit, als sie in der Messehalle untergebracht waren. Mir war wichtig, dass wir hier im Stadtteil zeigen, dass sie bei uns wirklich willkommen sind.“

Über den Tag verteilt fanden mehr als 600 Menschen ihren Weg zum Sommerfest. Unter anderem tat sich dabei spontan eine syrische Band zusammen. Gefolgt von einem Reggae-DJ, der wiederum von einem DJ aus Syrien abgelöst wurde. „Auf einmal haben alle getanzt. Es war keine Trennung von Flüchtlingen und Pusdorfern zu erkennen. Alles war durchmischt“, sagt Wilke. Teilweise seien so viele Kinder da gewesen, dass die Hüpfburg aus den Nähten zu platzen drohte. „Ein unglaubliches Fest. Das sollten wir wiederholen.“

Doch alle Hilfsbereitschaft kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass die Flüchtlinge, die Bremen in diesem Jahr zusätzlich erreichen, die Stadt auch logistisch auf die Probe stellen werden. Das Sozialressort spricht zurzeit von 6700 Flüchtlingen und etwa 2000 weiteren unbegleiteten Minderjährigen. Doch die Verteilung erfolgt nicht nach dem Wunsch des Sozialressorts, sondern auf Basis des sogenannten Königsteiner Schlüssels. Bremen muss demnach rund ein Prozent aller Flüchtlinge aufnehmen. Gemäß der offiziellen Zahl wären das etwa 8000 – nach der inoffiziellen könnten es sogar 10 000 Flüchtlinge werden.

Zurzeit sind mehr als 1000 Asylsuchende in Zelten untergebracht. Zunächst sollten die Zelte im Herbst abgebaut werden, doch der Sprecher des Sozialressorts, David Lukaßen, erklärte in dieser Woche, dass sie bereits winterfest gemacht würden. Eine Nutzung bis Dezember sei denkbar. Um das zu verhindern, muss das Sozialressort 1600 weitere Flüchtlingswohnplätze finden.

Weitere Party für Flüchtlinge

Auch in der Neustadt will man Flüchtlinge willkommen heißen. Dort wird am Sonnabend, 5. September, von 15 bis 19 Uhr ein Sommerfest veranstaltet. Der Verein „Help a Refugee“ lädt Menschen unterschiedlicher Kulturen in das Gemeindehaus der St.-Pauli-Gemeinde, Große Krankenstraße 11, ein. Bei Essen und Musik sollen Kontakte geknüpft werden. „Help a Refugee“ hilft Asylsuchenden bei Behördengängen oder der Wohnungssuche.

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