Ein Gebrauchtwagen, der trotz offensichtlicher Mängel eine HU-Plakette erhält... Nicht der erste Fall dieser Art, aber ein besonders dubioser. Zwei völlig unterschiedliche Gutachten innerhalb kürzester Zeit zu ein und dem selben Fahrzeug, ein vernichtendes Urteil einer Kfz-Werkstatt und gestohlene Kfz-Kennzeichen sind Zutaten eines Falles, der sich jetzt in Bremen zugetragen hat.
Ungleichmäßig arbeitende Bremsen, Federbeinlager ausgeschlagen, Bremsleuchte beschädigt, abgefahrene Reifen, Motor ölfeucht... Keine Frage, der 13 Jahre alte Ford Ka weist erhebliche Mängel auf. Dementsprechend fällt das Urteil des Prüfers aus: „Wiedervorführung erforderlich, HU-Plakette nicht zugeteilt“, heißt es auf dem Dokument, das am 30. Januar 2014 um 11.06 Uhr ausgestellt wurde.
Viel Arbeit also für den Besitzer des Wagens, will er für zwei weitere Jahre die TÜV-Plakette bekommen. Scheinbar jedoch ist das kein Problem. Schon 24 Stunden später, am 31. Januar um 11.53 Uhr, druckt derselbe Prüfer wieder einen Bericht aus. „Es wurden keine erkennbaren Mängel festgestellt“, heißt es nun, „HU-Plakette zugeteilt und angebracht.“ Ausgestellt hat beide Dokumente ein Mitarbeiter der FSP, eine Organisation freier Prüfingenieure und Sachverständiger, die als Partner des TÜV-Rheinland in Bremen tätig ist.
Wenig später wechselt der Wagen für 1150 Euro den Besitzer. Käufer sind Asya Kasapova und ihr Freund Marcus Barann. Der Wagen scheint in Ordnung, „aber wir haben beide keine Ahnung von Autos“, sagt die 34-Jährige. Egal, schließlich hatte der Wagen nur neun Tage vorher die HU-Plakette bekommen. „Zwei Jahre TÜV – da kann man nicht viel falsch machen, habe ich gedacht.“
Doch schon am nächsten Tag macht der Wagen merkwürdige Geräusche. Die beiden fahren in eine Werkstatt, den Kfz-Meisterbetrieb Patrick Piehl. Hier gibt’s ein böses Erwachen: Der Wagen sei Schrott, lautete das Urteil des Mechanikers.
Nach wie vor werde bei den Bremsen der Grenzwert überschritten. An beiden Achsen deutliche Unterschiede zwischen der linken und der rechten Bremse. Bei einer Vollbremsung hätte dies fatale Folgen: „Damit können Sie nicht mehr gerade bremsen.“ Auch die meisten anderen in der Liste aufgeführten Mängel würden weiterhin bestehen – vom verölten Motor über das ausgeschlagene Lager bis hin zu den abgefahrenen Reifen. Ein besonderes Kapitel sei der Rostbefall. „Wie ein Schweizer Käse.“ An mehreren Stellen kann der Kfz-Mechaniker seine Finger durch das Bodenblech stecken. Keine Lappalie, betont er: „Es geht um die Stabilisierung der Karosserie und damit um die Fahrsicherheit.“ Wie der Wagen die HU-Plakette bekommen konnte, sei ihm ein Rätsel.
Nicht das einzige, was an diesem Fall merkwürdig ist. Unmittelbar nach dem Befund ihrer Werkstatt nimmt Asya Kasapova Kontakt mit dem Verkäufer auf. Der erklärt sich bereit, den Wagen auf eigene Kosten reparieren zu lassen. Er habe sich erkundigt, ob sie den Wagen schon abgemeldet hätte und ob die Schilder noch dran seien, erzählt die junge Frau. Nein, sie habe ihn nicht abgemeldet, und ja, die Schilder seien noch dran. Zum Zeitpunkt des Telefonats mag dies der Fall gewesen sein, doch kurz darauf stellt die Werkstatt fest, dass die Kfz-Kennzeichen des Wagens gestohlen wurden.
Vor gut einer Woche hat der Verkäufer den Wagen tatsächlich abgeholt, seither hat Asya Kasapova nichts mehr von ihm gehört. Inzwischen haben sich die Polizei sowie das Verkehrsressort als zuständige Aufsichtsbehörde eingeschaltet.
Tätig geworden ist auch der TÜV-Rheinland. „Es hat eine Nachprüfung gegeben“, erklärt Pressesprecher Wolfgang Partz. Ergebnis: Die Bremsen seien in Ordnung, die meisten der anderen genannten Mängel beseitigt. „Der Vorwurf, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Nachbesichtigung noch alle in der Erstprüfung festgestellten Mängel aufweist, ist nicht haltbar.“
Wann das Fahrzeug repariert wurde – zwischen der Begutachtung durch die Bremer Kfz-Werkstatt und der vom TÜV initiierten Nachprüfung war der Wagen drei Tage lang verschwunden – könne er nicht sagen, so Partz, der zudem einräumt, dass der Rostbefall „grenzwertig“ sei. Die Schweller, also der Bereich der Karosserie unterhalb der Türen, seien durchgerostet und unsachgemäß geschweißt worden.
Ob dies zu einer Verweigerung der TÜV-Plakette hätte führen müssen, mag Partz nicht beurteilen. Ebenso wenig, ob der Vorgang Konsequenzen für den Prüfer der FSP haben wird. „Wir fertigen jetzt einen Bericht an, der geht an die Aufsichtsbehörde und die müssen das dann bewerten.“
Auch die Prüfer werden geprüft
Fachliche Aufsicht liegt beim Senator für Umwelt, Bau und Verkehr
Der TÜV und andere anerkannte Organisationen prüfen Autos auf ihre Verkehrssicherheit. Aber wer kontrolliert die Prüfer?
Zuständig ist die Behörde für Umwelt, Bau und Verkehr. Ihr obliegen sowohl Anerkennung als auch fachliche Aufsicht über die im Bundesland Bremen anerkannten Überwachungsorganisationen und den von ihnen betrauten Prüfingenieuren. Anerkannt im Land Bremen sind der TÜV-Nord, -Süd und -Rheinland, die DEKRA, die GTÜ, die KÜS sowie die FSP.
Über ihre Tätigkeiten – Prüforte, Anzahl der Prüfungen, Mängelquoten – haben die Organisationen der Aufsichtsbehörde halbjährliche Statistiken einzureichen. Bei Auffälligkeiten wie etwa ungewöhnlich vielen Fahrzeugprüfungen an einem Prüfstützpunkt würde dieser vom zuständigen Sachbearbeiter und dem Beauftragten der Kfz-Innung Bremen überprüft, heißt es seitens der Behörde.
Ähnliches gelte für den Fall, dass bei einem Prüfingenieur ungewöhnlich hohe Prüfzahlen festgestellt werden. Anhand der Angaben, wann und wo der Betroffene wie viele Fahrzeuge geprüft hat, wie lange er dafür gebraucht hat, wer seine Kunden sind und welche Mängelquote er hat, ergebe sich ein umfassender Einblick in das Prüfverhalten des Prüfingenieurs.
Zur Verbesserung der Prüfqualität und letztlich auch zur Überwachung der Prüfingenieure vor Ort würden außerdem von den Organisationen selbst unangekündigte Nachkontrollen durchgeführt. Dazu haben sich die Organisationen, mit Ausnahme der KÜS, 2009 in einem „Verein für Qualitätsmanagement in der Fahrzeugüberwachung“ zusammengeschlossen.
Unter Federführung dieses Vereines werden regelmäßig organisationsübergreifend unangekündigte Nachkontrollen durchgeführt. Laut Verkehrsbehörde wird jeder Prüfingenieur zwei bis drei Mal im Jahr dieser Nachkontrolle unterzogen. Auch hierzu würden Berichte erstellt und den Aufsichtsbehörden vorgelegt. Die KÜS habe sich diesem Verein nicht angeschlossen, führe aber unter eigener Regie selber Nachkontrollen durch.
Sachverständiger für vier Wochen aus dem Verkehr gezogen
Bereits im Februar hat diese Zeitung über einen Schrottwagen mit frischer HU-Plakette berichtet. Die Käuferin des Wagens hatte sich mit Erfolg zur Wehr gesetzt. Der Wagen wurde zurückgenommen, sie bekam ihr Geld zurück.
Trotzdem wollte sie den Fall nicht auf sich beruhen lassen und erstattete Anzeige. Mit Folgen für den Mann, der seinerzeit die HU-Plakette zugeteilt hatte, ein Mitarbeiter der „Kraftfahrzeug-Überwachungsorganisation freiberuflicher Kfz-Sachverständiger“ (KÜS). „Wir haben ihn für vier Wochen aus dem Verkehr gezogen. Außerdem erhält er eine Nachschulung und steht weiter unter Beobachtung“, erklärt hierzu Hans-Georg Marmit, Pressesprecher der KÜS.
Zudem ermittelt die Polizei wegen Betruges. Bei der Kripo Bremen sind zur Zeit zwei Ermittlungsverfahren mit derartigen Sachverhalten in Arbeit, teilt Nils Matthiesen aus die Pressestelle der Polizei mit. „In beiden Fällen haben offensichtlich Fahrzeuge den Segen des Prüfers erhalten, obwohl sie Mängel im erheblichen Umfang aufwiesen.“
Nach aktuellem Ermittlungssachstand haben beide Sachverhalte keinerlei Berührungspunkte zueinander. Die Abnahmen erfolgten jeweils nicht durch einen Prüfer des TÜV oder der DEKRA, sondern durch zwei unabhängige, reisende Sachverständige, die in Werkstätten kommen und dort die Prüfungen abnehmen.