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Aus Bremen abgeschoben Der Musterfall Ibrahim M.

Für die aktuelle bundesweite Diskussion um die Abschiebung von kriminellen Clan-Angehörigen könnte ein Fall aus Bremen als Blaupause dienen. Und dies gleich auf zweierlei Art und Weise.
28.08.2023, 05:00 Uhr
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Der Musterfall Ibrahim M.
Von Ralf Michel

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will künftig Mitglieder krimineller Clans in ihre ursprünglichen Heimatländer abschieben. Rechtlich ist das schwierig, aber nicht unmöglich, wie der Fall von Ibrahim M. aus Bremen zeigt.

Die Vorgeschichte: Im Mai 2014 wird Ibrahim M., Chef des inzwischen in Bremen verbotenen Rockerclubs "Mongols", vor dem Landgericht wegen bandenmäßigem Drogenhandels zu sechs Jahren Haft verurteilt. 2017 verlautet im Zuge der Diskussion um Haftlockerungen, die der damals 44-Jährige vergebens beantragt hatte, dass Bremen versucht, ihn direkt nach der Haft in die Türkei oder in den Libanon abzuschieben. 

Die Abschiebung: Ibrahim M. kommt 1986 als 13-Jähriger ohne Ausweispapiere mit seinen Eltern aus dem Libanon nach Deutschland. Der Asylantrag der Familie wird abgelehnt, aber als staatenlose Kurden werden sie geduldet und bleiben letztlich in Bremen. Sein Vater ist Türke, doch die Staatsbürgerschaft von Ibrahim M. bleibt ungeklärt. Bremens Versuche, ihn in die Türkei abzuschieben, scheitern. Nicht so die parallel verlaufenden Verhandlungen des Bundesinnenministeriums auf höchster politischer Ebene, wie es damals heißt. In Berlin liefen seinerzeit Gespräche mit mehreren Staaten, um kriminelle Intensivtäter in ihre ursprünglichen Heimatländer abschieben zu können. Am 10. Juli 2019 wird Ibrahim M. tatsächlich abgeschoben, allerdings nicht in die Türkei, sondern in den Libanon. Es wird ein siebenjähriges Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbot verfügt.

Die Rückkehr: Im Oktober 2019 kehrt M. illegal nach Bremen zurück. Er stellt sich den Behörden und beantragt Asyl, weil er im Libanon von schiitischen Milizen mit dem Tode bedroht werde. Der inzwischen 46-Jährige wird in Abschiebehaft genommen.

Das juristische Tauziehen: Zahlreiche Beschwerden, Klagen und Eilanträge von Ibrahim M. beschäftigen über Wochen hinweg mehrere Gerichte in Bremen. Zwischenzeitlich wird sein Asylantrag als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Letztlich unterliegt der 46-Jährige in allen Verfahren.

Die erneute Abschiebung: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wird Ibrahim M. aus "sicherheitsrelevanten Aspekten" am 24. November 2019 erneut in den Libanon abgeschoben. Dagegen klagt er – die Abschiebung sei rechtswidrig –, ebenso gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot. Zumindest will er eine Betretungserlaubnis erwirken, um seine Lebensgefährtin, seine beiden minderjährigen Kinder und seine Mutter besuchen zu können, die inzwischen in Hamburg leben.

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Das Gerichtsverfahren: Im Juli 2021 entscheidet das Verwaltungsgericht Bremen in Abwesenheit von Ibrahim M. über seine Klagen. Die beiden Abschiebungen 2019 stuft das Gericht tatsächlich als rechtswidrig ein. Allerdings nur wegen formaler Fehler bei ihrer Durchführung. Die Abschiebung selbst ist nicht Gegenstand des Verfahrens. Die Klage gegen das Wiedereinreiseverbot weisen die Richter zurück. M. muss im Libanon bleiben und er erhält auch keine Besuchserlaubnis. 

Die Auswirkungen: Nach der illegalen Rückkehr von Ibrahim M. ließ der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Grenzkontrollen verschärfen. Seit dem 7. November 2020 können Personen, die versuchen, trotz Einreisesperre nach Deutschland zu kommen, an der Grenze abgewiesen werden. Wer trotzdem illegal ins Land kommt und Asyl beantragt, muss bis zu der Entscheidung eines Asylschnellverfahrens in Abschiebehaft bleiben. Einer der Initiatoren für diese Neuregelung, mit der eine Einreise unter Verstoß gegen ein Einreiseverbot zum Haftgrund erklärt wird, war Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) nach den Vorkommnissen im Herbst 2019.

Der Ausblick: Ibrahim M. gilt als libanesischer Staatsbürger. Wenn die sieben Jahre abgelaufen sind, in denen er nicht in die Bundesrepublik zurückdarf, hat er keinen Aufenthaltsstatus in Deutschland. Um den müsste er sich vor einer erneuten Einreise kümmern. Denkbar wäre zum Beispiel, eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund von Familiennachzug zu beantragen. Auch einen Asylantrag könnte er erneut stellen. Ob für das eine oder das andere die Voraussetzungen vorliegen, müsste im Einzelfall entschieden werden. Theoretisch möglich ist laut Innenbehörde auch die Verkürzung seines Einreise- und Aufenthaltsverbots, "wenn schutzwürdige Belange des Betroffenen dies erfordern". Oder "wenn der Zweck des Verbots erfüllt ist", M. also nachweisen könnte, dass von ihm keine Gefahr mehr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Bundesgebiet ausgeht. Innensenator Ulrich Mäurers Position hierzu: "Wir werden weiterhin alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Rückkehr zu verhindern."

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