Muss bei Impfungen immer mit Impfreaktionen oder Nebenwirkungen gerechnet werden?
„Zu typischen Beschwerden, also Impfreaktionen, gehören etwa Rötungen und Schwellungen an der Einstichstelle, es kann zu Kopf- und Gliederschmerzen kommen oder auch zu Schüttelfrost und Unwohlsein. Diese Reaktionen sind Ausdruck der erwünschten Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem Impfstoff, sie klingen in der Regel nach wenigen Tagen ab“, erklärt der Pharmakologe und Bremer Uni-Professor Gerd Glaeske. „Schwerwiegende sogenannte unerwünschte Arzneimittelwirkungen nach Impfungen sind sehr selten“, heißt es vom Robert-Koch-Institut (RKI). Der Verdacht einer über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung sei meldepflichtig.
Was ist über Nebenwirkungen der Covid-Impfstoffe bekannt?
Das für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) informiert regelmäßig über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen. In seinem Sicherheitsbericht vom 26. Februar nennt es insgesamt 11.915 Einzelfallberichte zu Verdachtsfällen von Nebenwirkungen oder Komplikationen (unerwünschte Reaktionen). 16,8 Prozent wurden als schwerwiegend, 83,2 Prozent als nicht schwerwiegend klassifiziert. Im zeitlichen Zusammenhang mit dem Biontech-Impfstoff wurden 8368 Fälle gemeldet, davon 1705 Meldungen als schwerwiegend klassifiziert. Im zeitlichen Zusammenhang mit der Moderna-Impfung wurden 484 Fälle berichtet, davon 107 Fälle als schwerwiegend. Im zeitlichen Zusammenhang mit Astra-Zeneca-Impfungen wurden 2765 Fälle berichtet, 69 Fälle wurden als schwerwiegend eingestuft.
Impfreaktionen wie Kopf- und Gliederschmerzen oder Fieber treten nach Berichten von Geimpften bei Astra-Zeneca deutlich häufiger und länger auf. Ist der Impfstoff damit von vornherein schlechter verträglicher?
Die meisten Verdachtsfälle zu nicht schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen wurden laut dem PEI nach Impfungen mit Astra-Zeneca gemeldet - 7,6 Meldungen auf 1000 Impfungen im Vergleich zu 1,6 bis 2,9 Meldungen auf 1000 Impfungen mit Biontech und Moderna. Aus der vergleichsweise höheren Melderate könne aber „nicht zwangsläufig auf eine höhere Reaktogenität des Impfstoffes geschlossen werden, da die erhöhte Melderate auch mit der erhöhten medialen Aufmerksamkeit für den Impfstoff und den unterschiedlichen Altersgruppen der geimpften Personen zusammenhängen könnte“, erklärt das PEI. Reaktogenität bezeichnet teils heftige, aber vorübergehende lokale Impfreaktionen. In Großbritannien habe sich kein großer Unterschied der Melderaten zwischen Biontech und Astra-Zeneca gezeigt, heißt es in dem Bericht.
Was bedeutet der Unterschied zwischen zeitlichem und kausalem Zusammenhang beim Auftreten schwerwiegender unerwünschter Wirkungen?
„Es geht um die Frage: Zufällige zeitliche Nähe oder Ursache?“, erklärt Glaeske. „Und es geht um die Abwägung von Nutzen und Risiko. Also: Wie ist das Verhältnis zwischen schweren Krankheitsverläufen, die eine Impfung oder ein Arzneimittel verhindern soll, und dem Risiko für schwerwiegende unerwünschte Wirkungen?“ Dies werde auch in den klinischen Studien zur Zulassung von Impfstoffen und Arzneimitteln mit zwei Probandengruppen untersucht. Eine Gruppe bekomme die Impfung oder das Arzneimittel, die sogenannte Placebogruppe ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff. An dieser Kontrollgruppe lasse sich ablesen, wie häufig zufällige Ereignisse vorkämen.
Das Auftreten von Hirnvenen-Thrombosen hat zu dem vorläufigen Stopp des Impfstoffs von Astra-Zeneca geführt. Wie häufig kommen solche Gerinnungsstörungen generell in der Bevölkerung vor?
Laut dem Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), Peter Berlit, wird diese Form der Thrombose in der Bevölkerung zwar selten, aber regelmäßig diagnostiziert. „Sinusvenenthrombosen treten etwa einmal pro 100.000 Einwohner und Jahr auf. Die jährliche Inzidenz liegt bei rund 1 auf 100.000“, so Berlit. In Deutschland gab es sieben Fälle - sechs Frauen und ein Mann - von Hirnvenen-Thrombosen, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Astra-Zeneca-Impfung aufgetreten sind. Drei dieser Menschen sind gestorben. 1,6 Millionen Impfungen gab es bisher insgesamt mit dem Vakzin in Deutschland. Glaeske: „Das entspricht etwa 1 Fall auf etwas mehr als 200.000.“
Wie wird geprüft, ob bei schwerwiegenden und sehr seltenen Nebenwirkungen ein kausaler Zusammenhang besteht?
„Wichtig ist, dass sämtliche personenbezogenen Daten vorliegen“, sagt Arzneimittelexperte Glaeske. „Dazu gehören neben Geschlecht und Alter auch diagnostizierte Vorerkrankungen sowie Medikamente, die eingenommen werden - und die Klärung nicht bekannter Risikofaktoren.“ Die infolge der Thrombose gestorbenen Menschen werden obduziert. Jeder Vorfall müsse einzeln geprüft und bewertet werden, so Glaeske. Die wissenschaftliche Bewertung fuße auf einer Kombination dieser Erkenntnisse und der Daten aus den klinischen Studien. „Das ist ein streng wissenschaftlich, standardisiertes Vorgehen.“
Wie geht es in Bremen und Niedersachsen bis zur Entscheidung der Europäischen Arzneimittelagentur, die am Donnerstag erwartet wird, weiter?
Laut der Gesundheitsbehörde wird in Bremen und Bremerhaven in der Priorisierungsgruppe 1 weiter geimpft. 90 Prozent der Impfungen seien erfolgt, in Gruppe 2 komme es aber zu Verzögerungen. Impfstoff-Reserven, die in beiden Städten noch vorrätig sind, sollen vor allem an medizinisches Klinik-Personal, Vorerkrankte zwischen 70 und 79 Jahren und in Bremerhaven an Menschen zwischen 75 und 79 Jahren verimpft werden. Bestehende Termine würden mit Biontech kompensiert. „In Bremen müssen keine Termine abgesagt, in Bremerhaven müssen im März etwa 1700 Termine storniert werden“, so Behördensprecher Lukas Fuhrmann. Das niedersächsische Gesundheitsministerium hatte am Montag erklärt, dass noch bewertet werden müsse, was die Aussetzung für die Terminvergabe bedeute.