Deutsche EU-Ratspräsidentschaft Heiko Maas: Europa darf nicht zum Spielball werden

Die Europäische Union gestärkt aus der Pandemie-Krise herausführen - das ist ein erklärtes Ziel der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, betont Bundesaußenminister Heiko Maas im Interview.
30.06.2020, 05:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Von Michael Fischer

Am 1. Juli übernimmt Deutschland für sechs Monate die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union (EU) und den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat. Im Gespräch erläutert Bundesaußenminister Heiko Maas die gesteckten Ziele und die Herausforderungen.

Herr Maas, die Erwartungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sind sehr hoch. Wird es eine der wichtigsten Präsidentschaften der vergangenen Jahrzehnte?

Heiko Maas: Es wäre auch ohne Corona eine sehr wichtigste Ratspräsidentschaft geworden. Durch die Pandemie haben sich die Erwartungen der Mitgliedsstaaten und der Problemdruck noch einmal erhöht – wir nehmen die Herausforderung jedenfalls sehr ernst. Wir müssen die Europäische Union gestärkt aus der Krise herausführen.

Welche drei Ziele muss Deutschland er­reichen, damit man Ende des Jahres sagen kann: Diese Präsidentschaft war ein Erfolg?

Wir müssen die Finanzfragen lösen, also das Corona-Wiederaufbauprogramm und den mittelfristigen Finanzrahmen bis 2027 beschließen. Zweitens müssen wir den Brexit erfolgreich abschließen. Und drittens muss es uns gelingen, Europa in der globalen Großmächtekonkurrenz zwischen den USA, China und Russland, die immer unberechenbarer wird, als Einheit zu positionieren. Wir haben nur dann eine Chance, uns in diesem Umfeld zu behaupten, wenn wir dies zusammen als Europäer tun. Sonst werden wir zum Spielball von anderen.

Die EU hat zu Beginn der Krise kein gutes Bild abgegeben. Grenzschließungen erfolgten ohne Absprachen, jedes Land hat sich zunächst einmal um sich selbst gekümmert. Kann sich so etwas wiederholen?

Europa hat in dieser Krise viel dazugelernt, über unsere Defizite, aber auch über unsere Stärken. Wir haben die Koordinierung verbessert und einander solidarisch Hilfe geleistet, in einem Tempo und einer Dimension, die es so noch nie zuvor gegeben hat. Es ist nicht auszuschließen, dass man Grenzen wieder dicht machen muss, wenn das Infektionsgeschehen in einer bestimmten Region der EU deutlich höher ist als in einer anderen. Aber sie müssen dann gesamteuropäisch abgestimmt und koordiniert werden.

Ein Höhepunkt der Präsidentschaft sollte der EU-China-Gipfel werden, der wegen Corona verschoben wurde. Es gibt jetzt einige, die sagen, er sollte wegen der Hongkong-Politik Chinas ganz abgesagt werden…

Durch die Absage eines Gipfels wird sich nichts verändern, weder in Hongkong noch sonst irgendwo. China ist auf der einen Seite Systemrivale, auf der anderen Seite aber auch ein wirtschaftlicher Partner. Deshalb brauchen wir einen Dialog, der dann allerdings auch unbequem sein kann. Vor diesem Hintergrund halte ich es nach wie vor für richtig, diesen Gipfel stattfinden zu lassen, wenn die Rahmenbedingungen es ermöglichen.

Die Beziehungen Deutschlands zu der mit China konkurrierenden Großmacht USA werden derzeit auch auf schwere Belastungsproben gestellt. Stimmen Sie denen zu, die sagen, die Beziehungen seien heute so schlecht wie noch nie?

Die transatlantischen Beziehungen sind außerordentlich wichtig, sie bleiben wichtig, und wir arbeiten auch dafür, dass sie eine Zukunft haben. Aber so, wie sie jetzt sind, erfüllen sie nicht mehr die Ansprüche, die beide Seiten daran haben. Deswegen gibt es dort dringenden Handlungsbedarf.

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Wird bei einer Abwahl von Präsident Donald Trump im November alles besser?

Jeder, der meint, dass mit einem Präsidenten der Demokratischen Partei wieder alles so wird in der transatlantischen Partnerschaft, wie es mal war, unterschätzt die strukturellen Veränderungen.

Deutschland übernimmt ab Juli auch den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat. Wird die Corona-Pandemie dort ebenfalls ein bestimmendes Thema sein?

Wir wollen einen weiteren Versuch starten, dort zu einer gemeinsamen Stellungnahme zur Corona-Pandemie zu kommen. Es ist ein Armutszeugnis für den Sicherheitsrat, dass das bisher nicht möglich war.

Woran liegt das bisherige Scheitern?

Das liegt vor allem an einem amerikanisch-­chinesischen Konflikt. Der kann vielleicht nicht unbedingt aufgelöst werden durch eine Resolution. Aber es gibt trotzdem viele Be­reiche, in denen die Staatengemeinschaft die gleichen Ziele hat. China und die USA müssen ihre Differenzen bei einem so globalen Thema zurückstellen. Es kann nicht sein, dass der ­Sicherheitsrat sprachlos bleibt, wenn die ganze Welt es mit solch einer Pandemie zu tun hat.

Verdeutlicht der Fall nicht ein grundsätzliches Problem des Sicherheitsrats?

Ja. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der Sicherheitsrat kurz vor der Handlungs­unfähigkeit steht. In den großen, aktuellen ­Krisen wie der Syrien-Konflikt oder Corona wird der Sicherheitsrat nicht mehr den Ansprüchen gerecht, die man eigentlich an ihn haben müsste. Es gibt eine dauerhafte Selbstblockade – mal von der einen, mal von der anderen Seite.

Trotzdem sind alle Versuche einer Reform in den letzten zehn Jahren gescheitert…

Wie der Sicherheitsrat sich gerade präsentiert, zeigt, dass die Notwendigkeit einer Reform so dringend ist wie noch nie. Bei dem Thema kommt man aber nicht mehr mit Trippelschritten voran.

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Strebt Deutschland im Zuge einer solchen Reform weiterhin einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat an?

Das ist für uns eines von mehreren Zielen.

Gleichzeitig mit dem Beginn des deutschen Doppelvorsitzes könnte am 1. Juli die geplante Annexion palästinensischer Gebiete durch Israel beginnen. Was kommt da auf Deutschland zu?

Mit dem Vorsitz in der EU und im Sicher­heitsrat der Vereinten Nationen werden wir bei dem Thema eine moderierende Rolle ­einnehmen. Wir müssen versuchen, die sehr, sehr unterschiedliche Positionen in beiden ­In­stitutionen zusammenzuführen. Vom ­Vorsitz wird in solchen Situationen immer eine Mittlerrolle verlangt, allerdings eher in diesen Institutionen selbst, weniger vor Ort. Wir werden uns dennoch weiter auch um direkte Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern bemühen. Das bleibt die einzige Möglichkeit, die Annexion noch zu verhindern.

Das Gespräch führte Michael Fischer.

Info

Zur Person

Heiko Maas (53) ist seit März 2018 deutscher Außenminister. Mit der EU-Ratspräsidentschaft und dem Vorsitz im UN-Sicherheitsrat – beides beginnt an diesem Dienstag – steht dem SPD-Politiker die wichtigste Phase seiner bisherigen Amtszeit bevor.

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