Kinder aus Flüchtlingsfamilien sollen möglichst schnell zur Schule kommen, denn Spracherwerb und Bildung sind der Schlüssel zur Integration – kein Bildungsexperte, kein Politiker, der dieser Feststellung nicht zustimmen würde. Für Hunderte Flüchtlingskinder in Bremen sieht die Realität anders aus. Theoretisch gilt auch für sie die Schulpflicht. Doch die Bildungsbehörde schafft es bisher kaum, entsprechende Kapazitäten bereitzustellen. An diesem Montag soll zunächst für 90 Kinder aus der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) Birkenfelsstraße in der Überseestadt ein Anfang gemacht werden.
Das Problem ist über die Jahre gewachsen, weil das Aufnahmesystem für Asylbewerber überlastet ist. Flüchtlingsfamilien, die in Bremen ankommen, werden zunächst der Landeserstaufnahme in Vegesack zugewiesen. Diese Einrichtung reicht allerdings längst nicht mehr aus, sodass in mehreren Stadtteilen Außenstellen entstanden sind, zuletzt auf dem Hulsberg-Gelände.
Eigentlich sollen die Neuankömmlinge nur kurze Zeit in den EAE des Landes verweilen und von dort in Übergangswohnheime (ÜWH) der Stadt Bremen wechseln. Die meisten Kinder besuchen dann Regelschulen in den jeweiligen Stadtteilen. Aus diesem Grund war für die Minderjährigen in den Landeserstaufnahmen bisher keine Beschulung vorgesehen – man ging ja davon aus, dass sie binnen weniger Wochen in die ÜWH umziehen. Doch genau an dieser Stelle hakt es. Die Übergangswohnheime sind voll. Es dauert also immer länger, bis Flüchtlingsfamilien die EAE des Landes verlassen können. Aktuell beträgt die Wartezeit drei bis sechs Monate. Und das ist deutlich zu viel, um die eigentlich schulpflichtigen Kinder sich selbst zu überlassen.
Betroffen sind vor allem Kinder im Grundschulalter, aber auch Jugendliche. Für rund 500 von ihnen steht die Schulpflicht derzeit nur auf dem Papier. "Dabei wäre es enorm wichtig, die deutsche Sprache so früh wie möglich an die Kinder heranzubringen", sagt Uwe Eisenhut. Er leitet den Fachbereich Asyl bei der Awo Bremen, die im Auftrag der Sozialbehörde die meisten EAE betreut. Eisenhut spricht von "vergeudeter Zeit". Viele Eltern in den Erstaufnahmeeinrichtungen drängten vehement auf Unterricht für ihre Kinder. "Ich weiß von Fällen, in denen Eltern mit ihrem Nachwuchs auf eigene Faust zu Schulen in den Stadtteilen gegangen sind und versucht haben, sie dort anzumelden, was natürlich nicht geklappt hat", berichtet Eisenhut. Er würde gern Lernangebote im näheren Umfeld der bestehenden EAE organisieren. So ließen sich für die Kinder aus den Leichtbauhallen am Hulsberg möglicherweise Räume in der Friedensgemeinde an der Humboldtstraße oder im Bürgerhaus Weserterrassen finden, um dort für ein paar Stunden pro Tag und in provisorischer Form Unterricht abhalten zu können. Allerdings müsse die Bildungsbehörde mitziehen und das notwendige pädagogische Personal stellen.
Im Haus von Senatorin Sascha Aulepp (SPD) erkennt man inzwischen die Dimension des Problems, auch wenn es einige Zeit gedauert hat. An der EAE Birkenfelsstraße gibt es ab dieser Woche eine schulische Erstversorgung für 90 Kinder in jeweils drei Gruppen an den Vor- und Nachmittagen. Die Behörde hat hierfür drei Räume in unmittelbarer Nachbarschaft der Grundschule Überseestadt angemietet. Damit es losgehen kann, haben Bremer Grundschulen und Vereine für die Ausstattung der Klassenzimmer gespendet. Für die pädagogische Betreuung steht ein Team aus vier Lehrkräften beziehungsweise Lernbegleitungen und einer ehemaligen Grundschulleiterin als Koordinatorin bereit. Aulepp bekennt sich zu dem Ziel, "dass gerade neu zugewanderte Kinder zügig ein Lernangebot bekommen, um sie so schnell wie möglich zu integrieren". Die Senatorin sagt: "Dieser Lernort muss Schule machen. Wir brauchen auch in anderen Stadtteilen genau solche Räume und solche Teams, die die Kinder nach ihrer Ankunft auf ihrem Weg ins Regelschulsystem unterstützen."
Das Vorhaben steht und fällt allerdings mit der Verfügbarkeit pädagogischen Personals. Über eine entsprechende Stellenausschreibung ("Lehrkräfte für neu zugewanderte Schüler:innen") sollen auch Fachkräfte für sogenannte Willkommensschulen im Sekundarbereich I gewonnen werden. Dass dies kein einfaches Unterfangen wird, liegt auf der Hand – nicht nur Bremen bemüht sich am weitgehend abgegrasten Arbeitsmarkt. Die Anforderungen für Interessenten wurden deshalb schon abgesenkt. Als Einstellungsvoraussetzung reichen beispielsweise ein Bachelor-Abschluss oder eine ausländische Lehramtsqualifikation ohne Anerkennung in Deutschland.