Fliegen. Das war der einzige Traum, den Markus S.* je hatte. Um sich diesen Traum zu erfüllen, verließ er im Sommer 2012 sein Elternhaus in Süddeutschland. Sein Ziel war das 600 Kilometer entfernte Bremen. Dort, wo die Lufthansa ihre Flugschule hat.
Ein „unbeschreibliches Gefühl“ sei es gewesen, als er endlich den Ausbildungsvertrag vor sich liegen hatte, sagt der 24-Jährige. Kein Wunder, die Erleichterung nach dem Bewerbungsmarathon muss groß gewesen sein. In mehreren Runden musste sich er sich beweisen: Allgemeinwissen, Mathetest, Englischkenntnisse, erste Flugversuche im Simulator, psychologischer Test und am Ende ein achtstündiger medizinischer Check. Und dann hatte er es endlich geschafft. Markus S. ist einer von nur 300 Flugschülern, die Lufthansa jährlich einstellt. 3000 hatten sich beworben.70 000 Euro sollte die Ausbildung kosten. Für die Lebenshaltungskosten plante er noch einmal 20 000 Euro ein. Eine Vergütung würde es während der 23 Monate langen Ausbildungszeit nicht geben. Das wusste S. Deswegen hatte er sich alles genau ausgerechnet. Das Geld dafür hatten seine Eltern 21 Jahre lang gespart. „Für schlechte Zeiten“, sagt der 24-Jährige. „Damit ich ein finanzielles Polster habe.“ Oder damit er seinen Traum verwirklichen kann.
„Ich gehe langsam pleite“
Im Sommer 2014 hätte Markus S. fertig ausgebildeter Pilot sein müssen. So sah es der Plan vor: sechs Monate Theorie in Bremen, vier Monate Flugausbildung in Arizona, dann neun Monate Theorie und Praxis in Bremen und am Ende lernen die Auszubildenden in Frankfurt noch vier Monate die Abläufe am Boden kennen. Doch der Plan geht nicht auf. S. hat seine Ausbildung immer noch nicht abgeschlossen. Denn die Ausbildungsstationen folgen nicht direkt aufeinander. Dazwischen entstehen oft monatelange Pausen. Warum? „So richtig sagt uns das keiner“, erklärt S.
Die Schüler vermuten, dass Fluglehrer fehlen, weil diese für den regulären Flugverkehr gebraucht werden. Ein Lufthansa-Sprecher erklärt: Es seien neue Maschinen eingesetzt worden und die Lehrer hätten erst umgeschult werden müssen. Das lange, unerwartete Warten bringt viele der 850 Flugschüler mittlerweile in finanzielle Nöte: „Ich gehe langsam pleite“, sagt S.
Personalmangel scheint bei der Lufthansa nicht abwegig zu sein. Denn bei der Kernsparte des Konzerns, Lufthansa Passage, werden keine neuen Piloten eingestellt. Der Hauptgrund für den Einstellungsstopp liegt in der Bezahlung. Bei der LH-Passage, aber auch bei Lufthansa Cargo und Germanwings gilt der Konzerntarifvertrag (KTV). Der jährliche Brutto-Verdienst eines Kapitäns beträgt dort 225 000 Euro.
Wo sollen die jungen Piloten also unterkommen? Zuletzt wurden sie an die Töchter Austrian Airlines, Brussels Airlines, den Regionalflieger Lufthansa-Cityline oder die schweizerische Edelweiss Air vermittelt. Dort waren sie befristet angestellt und verdienen deutlich weniger. Lufthansa-Personalvorstand Bettina Volkens erklärt in einem Schreiben: „Nachwuchsflugzeugführer stellen wir nicht in die sogenannten KTV-Gesellschaften ein, weil diese in vielen Teilen nicht wettbewerbsfähig sind.“ Das Unternehmen setze aber alles daran, angehenden Piloten möglichst bald einen Job anzubieten.
Sieben jahre Wartezeit auf eine Anstellung
Und dieses Angebot sieht dann so aus: Auf einer Konferenz im Lufthansa-Schulungszentrum im südhessischen Seeheim Ende Mai zeigte das Management den Azubis in Warteschleife die möglichen Wege auf. Sie müssen zwischen drei Möglichkeiten wählen: Sie können entweder weiter auf eine Anstellung in der Kernsparte warten oder sich zu einer der Tochter-Airlines bewegen oder das Unternehmen verlassen. Für Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), ist das Verhalten des Managements nicht akzeptabel. Den Nachwuchsfliegern stehe zu, in der Kernsparte die Ausbildung zu beenden und dann dort auch weiterzuarbeiten. Ferner sei die Wartezeit auf eine Anstellung, die inzwischen bis zu sieben Jahre betrüge, unzumutbar. Auch angesichts der Schulden von
70 000 Euro, die einige hätten, weil sie die Ausbildung mithilfe eines Kredits finanzieren mussten. Die Strategie des Lufthansa-Vorstandes ziele ganz klar darauf ab, den Nachwuchs systematisch zu den Billigablegern des Konzerns zu drängen.
Zu diesen Ablegern wird künftig auch Eurowings gehören. Die Fluggesellschaft soll die neue Billigmarke des Konzerns werden. Dort ist die „Ausgestaltung der tariflichen Bedingungen noch nicht abgeschlossen“, heißt es bei der Lufthansa. Doch Konzernchef Carsten Spohr plant, dass Eurowings mit bislang unerreicht niedrigen Kosten operiert. Sie sollen 40 Prozent unter denen der LH-Passage liegen. Dann könnte sich Lufthansa mit den Konkurrenten Easyjet und Ryanair messen. 40 Prozent weniger – in dieser Größenordnung würden sich auch die geplanten Abstriche bei der Bezahlung der Eurowings-Piloten bewegen, heißt es in Konzernkreisen.
„Das Gehalt ist die eine Sache“, sagt Markus S., der nun die gleiche Flugschule besucht, wie einst Carsten Spohr. Die Flugschüler störe aber auch, wie mit ihnen umgegangen werde, sagt der 24-Jährige. „Wir werden wie eine billige Ware behandelt, die in die Billigsparte gedrängt wird.“ Die Voraussetzungen die Ausbildung zu machen, seien einst andere gewesen. Damals sei nicht nur von einem Tarifvertrag die Rede gewesen, sondern auch von einer späteren Stationierung in Frankfurt oder München. „Jetzt soll womöglich Osteuropa mein Heimatflughafen werden“, sagt S.
Wenn der Traum zum Problem wird
Der junge Mann tendiert nun zur dritten Variante. Er überlegt, den Konzern vorzeitig zu verlassen. „Jetzt bin ich noch jung und kann noch etwas anderes machen.“ Denn Markus S. weiß auch, dass er mit einer abgeschlossenen Ausbildung keine andere Option hat, als für den Lufthansa-Konzern zu fliegen. „Die Lizenz, die wir machen, gilt nur für Flugzeuge der Lufthansa“, erklärt er. United Airlines, Tui-Fly oder Condor – alles ausgeschlossen.
„Ich werde studieren“, sagt der 24-Jährige. Was, weiß er noch nicht genau. „Mein Problem ist einfach, dass ich nur einen Traum hatte. Und das war das Fliegen. Eine andere Option gab es für mich nie.“
*Name von der Redaktion geändert.