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Jan van Aken im Interview Linken-Spitzenkandidat will "das Geld da holen, wo es ist"

Deutschlands Infrastruktur ist erneuerungsbedürftig. Das notwendige Geld will Linken-Spitzenkandidat Jan van Aken "da holen, wo es ist", wie er im Interview mit dem WESER-KURIER sagt.
14.02.2025, 05:00 Uhr
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Linken-Spitzenkandidat will
Von Jürgen Theiner

Herr van Aken, die Linke hat gerade viel Zuspruch, allein in Bremen gab es in den ersten Februartagen über 100 Neumitglieder. Weshalb rennen Ihnen die Leute gerade die Bude ein?

Eine Frage, bei der ich es liebe, sie den Menschen selbst zu stellen. Viele sagen mir dann: Wir müssen jetzt was tun. Alles rutscht nach rechts, es gibt Hetze gegen Bürgergeldempfängerinnen, und niemand tut mehr etwas für niedrige Mieten oder für das Klima. Das ist das, was ich am häufigsten zu hören bekomme.

Das aktuelle Hoch bei den Linken kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Partei um ihre parlamentarische Existenz kämpft. Im Osten war sie mal Volkspartei, jetzt ist die Linke dort nicht mal mehr in allen Landtagen vertreten – im Westen schon gar nicht. Wie konnte es so weit kommen?

Hallo? Wir sind in Bremen in der Regierung! Was den Osten angeht, so muss man einfach sagen, dass viele der damaligen PDS-Mitglieder aus der Wendezeit und auch unserer damaligen Wählerinnen und Wähler nicht mehr leben. Über die Jahrzehnte hat sich im Osten zudem der Blick auf die Wende und die damit verbundenen Probleme gewandelt. Und was unsere Achterbahnfahrt in den Umfragen angeht: Viele Neumitglieder sagen mir, dass sie jetzt, wo die BSW-Truppe weg ist, endlich eintreten können.

Machen Sie es sich nicht ein bisschen einfach, wenn Sie alle Probleme der Vergangenheit bei Frau Wagenknecht abladen?

Für viele gab es eine große Unklarheit. Bei der Linken war es eine Zeit lang so, dass der Bundesparteitag beispielsweise beschloss: Wir sind für Maßnahmen gegen den Klimawandel und für das Verbrenner-Aus, und am nächsten Tag erklärte eines der prominentesten Parteimitglieder genau das Gegenteil.

Das Migrationsthema spielte keine Rolle? Viele Menschen gerade aus dem unteren Drittel der Gesellschaft, die für die Linke ansprechbar wären, empfinden die massive Zuwanderung nicht gerade als Bereicherung. Können Sie das nachempfinden?

Die Thema Migration ist doch nicht denen vorbehalten, die ein geringeres Einkommen haben. Dass wir damals bei Wahlen eher abstiegen, hat vor allem einen ganz einfachen Grund: Die Menschen mögen verständlicherweise keine zerstrittenen Parteien. Es lag also nicht daran, dass wir betonten, dass kein Mensch im Mittelmeer sterben darf, sondern es war unser Durcheinander, das uns lähmte. Mit dem klaren Fokus auf soziale Themen kam der Erfolg zurück. Und es gibt noch etwas: Wir haben gute Laune, und das merken die Menschen.

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Migration ist mindestens seit der Flüchtlingswelle 2015/16 ein Riesenthema.

Nein, da muss ich widersprechen. Der Bundestagswahlkampf 2021 war vor allem ein Klimawahlkampf und ein Kampf um einen höheren Mindestlohn. Dass das Migrationsthema jetzt die medialen und öffentlichen Debatten zu beherrschen scheint, liegt leider auch daran, dass alle anderen Parteien ständig über die fehlende Sicherheit und die angebliche Gefahr reden, die von Migranten ausgehen würde. Es geht doch darum, dass wir alle hier gut und sicher miteinander leben können.

Sie selbst haben kürzlich in einem Interview zu Protokoll gegeben, dass eine Million Zuwanderer pro Jahr eine „völlig überschaubare Zahl“ seien. Für das Land Bremen sprächen wir dann über fast 10.000 Menschen, für die es keine Wohnungen und kaum geeignete Jobs gibt, für die Kinder keine Schulen. Ist das nicht fahrlässig?

Man sollte nicht alles glauben, was in der Regenbogenpresse steht. Ich habe gesagt, dass wir es geschafft haben, eine Million Ukrainer aufzunehmen. Und das war auch richtig. Am Ende ist das auch immer eine Frage des Geldes und der Vorbereitung. Wenn jetzt die Hälfte der Mittel für Integration durch den Bund gekürzt wird, dann spüren das die Kommunen natürlich als allererste. Auch deswegen rumpelt es zuweilen bei der Integration.

Es geht aber auch um die Verfügbarkeit von Wohnraum, und den gibt es schlicht nicht. Die Neubautätigkeit ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Nicht nur Zuwanderer finden keine Wohnungen, das Problem betrifft auch die einheimische Bevölkerung. Wie wollen die Linken neuen Wohnraum schaffen?

Da gibt es mehrere Ansätze. Der erste sind die rund zwei Millionen leer stehenden Wohnungen. Zugegeben, davon befinden sich einige in Gebieten, wo es keinen Wohnungsmangel gibt. Aber ich bin mir sicher: Wenn wir einen Rundgang durch Bremen machen, dann sehen wir das ein oder andere Haus, das leer steht.

Aber das sind nicht die Dimensionen, die gebraucht werden.

Nein, aber diese Kapazitäten könnte man ganz leicht an den Markt kriegen, indem man die Immobilien-Konzerne zu einer Strafzahlung von zehn Euro für jeden leer stehenden Quadratmeter heranzieht. Was glauben Sie, wie schnell sich diese Wohnungen wieder füllen würden! Und es gibt auch Kommunen, wo es einen höheren Leerstand als in Bremen gibt. Auch hier könnten staatlicherseits mehr Möglichkeiten geschaffen werden, dorthin zu gehen. Es geht ja auch um Kitas und Schulen, nicht nur Wohnraum. Und dann gibt es noch den Missbrauch.

Sie meinen die Nutzung als Airbnb- und Ferienwohnungen besonders in Großstädten?

Genau. Da geht einiges mit Kontrollen, Barcelona hat das vorgemacht. Aber natürlich brauchen wir viertens auch Neubau.

Wie kurbelt man den an?

Indem man Geld auf den Tisch legt. 20 Milliarden pro Jahr für den sozialen Wohnungsbau. Und wenn dann große Firmen sagen: Nö, für die magere Rendite bei einem Mietendeckel bauen wir nicht mehr, dann gibt es ja auch kommunale Träger und gemeinwohlorientierte Genossenschaften, die das übernehmen können.

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Deutschland muss nicht nur Wohnungen bauen, sondern große Teile seiner Infrastruktur erneuern. Die Bahn, Straßen und Brücken – vieles befindet sich in einem erbarmungswürdigen Zustand. Wie kommen wir da raus?

Die Lösung heißt Vermögensteuer. Natürlich kostet es Geld, die von Ihnen genannten Probleme in den Griff zu bekommen. Es muss irgendwo herkommen, also muss man es da holen, wo es ist. Es kann ja nicht sein, dass sich das Vermögen der Milliardäre innerhalb weniger Jahre verdoppelt hat, und zugleich stürzen unsere Brücken ein. Das Geld ist da, es ist nur an der falschen Stelle.

Das notwendige finanzielle Volumen wäre aber doch kaum nur über eine erhöhte Vermögensteuer zu mobilisieren.

108 Milliarden jährlich würde unser Konzept reinbringen, das ist schon eine ganz schöne Hausnummer. Und wir können immer noch das machen, was Konrad Adenauer getan hat. Nämlich eine einmalige Vermögensabgabe zu erheben. Das Grundgesetz eröffnet so eine Möglichkeit durchaus.

Ein Problem, das insbesondere ältere Menschen beschäftigt, ist die Kostenexplosion bei der stationären Pflege. Bremen ist bei der monatlichen privaten Zuzahlung aktuell Bundesspitze mit 3456 Euro. Wie muss die Politik dieses Problem angehen?

Es ist eine Katastrophe. Meine Eltern haben ihr ganzes Erspartes aus 50 Jahren Arbeit in einem Pflegejahr ausgeben müssen. Wir brauchen eine Pflegeversicherung, die mehr abdeckt. Ein Teil des Problems ist aber auch, dass es sich bei den stationären Pflegeeinrichtungen größtenteils um private Einrichtungen handelt, die mit der Altenpflege Geld verdienen wollen.

Wenn die Pflegeversicherung mehr abdecken soll, braucht sie mehr Einnahmen. Das verteuert aber die ohnehin schon hohen Lohnnebenkosten.

Ich muss dem einzelnen Arbeitnehmer nicht mehr abknöpfen. Ich muss mehr Leute mit reinnehmen in das Versicherungssystem. Das ist die Vorstellung einer Bürgerversicherung. Es müssen darüber hinaus auch Kapitaleinkünfte für die Kranken- und Pflegeversicherung herangezogen werden.

Welche politische Gestaltungsperspektive sehen Sie für die Linke nach der Wahl am 23. März? Eine Mehrheit links der Mitte im Bundestag zeichnet sich gegenwärtig überhaupt nicht ab.

Ich war jahrelang bei Greenpeace. Die haben noch nie mitregiert – aber was haben die alles verändert! Für Veränderungen braucht man vor allem gesellschaftliche Mehrheiten, und die erreicht man durch breite Bündnisse mit Gewerkschaften, Kirchen, Umweltverbänden und vielen anderen Akteuren. So erzeugt man öffentlichen Druck, der letztlich auch zu Ergebnissen führt. Das haben wir schon beim Mindestlohn gesehen, und so werden wir auch den Mietendeckel durchsetzen.

Das Gespräch führte Jürgen Theiner.

Zur Person

Jan van Aken

ist Bundesvorsitzender der Partei Die Linke. Gemeinsam mit Heidi Reichinnek tritt er bei der Bundestagswahl als Spitzenkandidat an. Van Aken ist promovierter Biologe. Er gehörte dem Bundestag bereits von 2009 bis 2017 an.

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