Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Weihbischof Wübbe im Interview "Gott will nicht, dass wir leiden"

Debatten über Traditionen, Priestermangel, Missbrauchsskandale und nun auch noch Finanznöte - der Osnabrücker Weihbischof Johannes Wübbe, der auch für Bremens Katholiken zuständig ist, weicht keinem Thema aus.
29.10.2021, 21:02 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Joerg Helge Wagner

Die Katholische junge Gemeinde hat gerade vorgeschlagen, Gott zu gendern, damit man ihn sich nicht immer als alten weißen Mann mit Bart vorstellt. Wie findet das der Vorsitzende der Jugendkommission der Bischöfe?

Johannes Wübbe: Ich finde es ehrenwert und positiv, dass sich junge Christen darüber Gedanken machen, wie sie sich Gott vorstellen. Früher wurde das Gottesbild geprägt durch Schulunterricht, in den Kinderjahren. Immer wieder begegnet mir die Aussage: Ich kann mir Gott nicht als alten Mann mit langem weißen Bart vorstellen, der womöglich noch den Fuß auf die Erdkugel gesetzt hat - Gott muss doch anders sein.

Nämlich wie?

Wenn man etwas mehr in die Bibel einsteigt, erfährt man, dass die Anrede Gottes als Vater vor allem etwas über sein Wesen aussagen soll. Das ist nicht als Festlegung des Geschlechts gedacht. Entsprechend ist der Impuls der KjG: Gott ist so vielfältig, so anders...

Also muss man ihn mit Sternchen oder Kreuzchen schreiben?

Ob sich das durchsetzt, wird man sehen. Ich werde demnächst mit der KjG darüber sprechen. Jedenfalls ist es gut, dass sich ein katholischer Jugendverband damit auseinandersetzt.

Vor gut drei Wochen haben Sie hier in Bremen Firmlinge getroffen. Hatten Sie den Eindruck, dass die katholischen Teenager heute besonders aufmüpfig oder zumindest kritisch sind?

Ich bin auf junge Menschen gestoßen, die sich aus ganz unterschiedlichen Motiven haben firmen lassen. Bei den einen war es eine gewisse Gruppendynamik im Freundeskreis, für andere war es ganz persönlich sehr wichtig. Manche haben viele Fragen an die Kirche - die möchten auch, dass die Kirche sich anders darstellt. Andere wollten wissen, was und wie ich als Weihbischof glaube.

Im Gegensatz zur Kindstaufe ist die Firmung ja ein willentlicher Akt der jungen Gläubigen, auf den sie sich gezielt vorbereiten. Sind Sie in Ihren Gesprächen da auf viel Eifer und Ernsthaftigkeit gestoßen? Oder eher auf Verlegenheit?

Gott sei Dank gibt es diese Verlegenheit nicht. Mal geht es um die Institution Kirche und ihre Schwierigkeiten, sich zu ändern - mal geht es um sehr persönliche, existenzielle Glaubensfragen.

Zum Beispiel?

Gibt es einem Himmel? Falls ja, gibt es dann auch eine Hölle? Wenn es beide gibt: Glauben Sie, dass Menschen dort existieren?

Und was glauben Sie?

Ich bin überzeugt, dass es einen Himmel gibt. Ich stelle ihn mir vor als einen Ort, an dem ich mit Gott in großer Nähe lebe und von dem ich nicht wieder weg will. Im Gegensatz dazu wäre die Hölle ein Ort der Gottverlassenheit. Dem Gott, an den ich glaube, traue ich ganz viel Liebe und Barmherzigkeit zu, sodass die Menschen nicht schnell dort landen werden.

Nun gibt es schon sehr irdische Orte, die man als Hölle bezeichnen kann. Warum lässt Gott die zu?

Das treibt auch viele Jugendliche um. Wieso kann es im Ahrtal so eine verheerende Flutkatastrophe geben, die so viele Menschenleben ausgelöscht hat? Ich war gerade mit einer Firmgruppe zusammen, die mit ihrem Kaplan dort zehn Tage lang mit wiederaufgebaut haben. Die fragen schon: Warum gibt es das Leid in der Welt? Ich bin davon überzeugt, dass unser Gott nicht will, dass wir leiden. Trotzdem gibt es das Leid. Theologisch erklären wir das mit der Erbsünde, aber das ist ein ganzes Kapitel für sich.

Sie sind zur Visitation in Bremen, besuchen die Stadt in diesem Jahr also mehrfach und intensiv. Was für ein Gemeindeleben finden Sie in Bremen, in der Diaspora, vor?

Hier zeichnet es sich dadurch aus, dass es viele unterschiedliche Nationen in den Gemeinden gibt. Gleichzeitig gibt es Sorgen und Fragen wie anderswo auch: Wie soll es mit der Gemeinde weitergehen? Was soll sie auszeichnen in der Zusammenarbeit mit Caritas und anderen Playern hier in der Stadt.

Machen die vielen Nationen manches schwieriger, weil manche - etwa die Polen - eher konservative Vorstellungen vom Glauben haben, während andere liberaler sind?

Zunächst sind der Glaube und das Gemeindeleben für die Angehörigen der verschiedenen Nationalitäten hier in Bremen auch ein Stück Heimat. Die bringen natürlich die Traditionen aus ihrer Heimat mit, wie sie dort ihren Glauben gelebt haben - und müssen sich gleichzeitig in die hiesigen Gemeinden integrieren.

Es gibt also keine tiefen Konflikte wie in der evangelischen Kirche in Bremen?

Ich würde das Wort "Konflikte" gerne durch "Ringen" ersetzen. Man ringt darum, wo es langgehen soll. Was soll bewahrt werden, wo müssen wir uns verändern und öffnen, etwa beim Zugang zu Ämtern? Das ist die Zukunft der Kirche.

Lesen Sie auch

Das Bistum muss sparen, wird heute berichtet. Welche Auswirkungen wird das auf die Gemeinde in Bremen haben?

Wir sind gerade dabei, das in den Gremien zu beraten. Das wird dann natürlich auch noch einmal mit dem Bischof und den Vertretern der Gemeinden diskutiert. Grundsätzlich wollen wir natürlich in allen gesellschaftlichen und kirchlichen Bereichen, wo wir jetzt unterwegs sind, auch bleiben: Diakonie, Caritas, Bildung, Kindertagesstätten. Aber wir werden ernsthaft sparen müssen.

Es geht um 90 Millionen Euro in zehn Jahren, richtig?

Das sind auch meine Informationen. Da stehen uns große Einschnitte bevor, und gleichzeitig wollen wir mit den verbleibenden Mitteln Akzente setzen. Das wollen wir aber auch vor Ort diskutieren, das soll nicht allein eine kleine Kommission rund um den Bischof in Osnabrück entscheiden.

Ist das die größte Herausforderung, die Sie aktuell zu bewältigen haben?

Es ist ein großes Problem. Natürlich mache ich mir auch Sorgen, dass aus unterschiedlichen Gründen ganz viele Menschen die Kirche verlassen. Das heißt ja nicht immer, dass sie nicht mehr christlich leben wollen - aber sie wollen eben der Institution Kirche nicht mehr angehören.

Welche Rolle spielt das Thema Missbräuche und deren Aufarbeitung dabei?

Dies und das Auftreten der Kirche ist ein ganz gewichtiger Grund, warum sich Menschen abwenden.

Kritiker werfen der Kirchenführung - also auch Ihnen als Weihbischof - mangelndes Schuldbewusstsein, Schutz der Täter und Vertuschungsversuche vor. Was läuft hier schief?

Ich kann nur für das Bistum Osnabrück sprechen. Und hier sind wir seit einem Jahrzehnt dabei, die Vorkommnisse aufzuarbeiten. Vor einem Jahr hat der Bischof noch einmal eine historisch-kritische Aufarbeitung durch die Universität Osnabrück in Auftrag gegeben.

Wann ist da mit Ergebnissen zu rechnen?

Im kommenden Frühjahr wird es einen ersten Zwischenbericht geben. Wir arbeiten zudem schon seit vielen Jahrzehnten mit der Staatsanwaltschaft zusammen. Wenn es einen Vorwurf gibt, dann wird da nichts vertuscht. Seitens des Bistums oder des Bischofs wird kein Täter und auch kein Beschuldigter geschont. Man wirft uns aber vor, damit zu spät angefangen zu haben.

Zu recht?

Man muss berücksichtigen, dass Opfern so schweres Leid zugefügt wird, dass sie erst spät dazu in der Lage sind, darüber zu sprechen. Wir haben bei uns einen ganz stringenten Ablauf, was zu tun ist, wenn sich jemand mit solch einer schlimmen Erfahrung an uns wendet. Und wenn es Vorwürfe gibt, dass etwas vertuscht werde, gehen wir dem auch nach.

Sehen Sie einen Zusammenhang von Missbrauch und Zölibat?

Nein. Da stütze ich mich auf die MHG-Studie der Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen. Die sagt ganz klar, dass der Zölibat keine Ursache für den Missbrauch ist. Wer allerdings den Zölibat lebt, muss eine reife, gefestigte Persönlichkeit sein.

Der Zölibat ist ja erst seit dem 11. Jahrhundert wirklich verbindlich, und besonders in Deutschland war er von Anfang an hochumstritten. Warum muss man nach fast 1000 Jahren immer noch daran festhalten?

Zunächst sind wir als deutsche Kirche ja Teil der Weltkirche: "katholos" bedeutet "weltumfassend". Ich bin derjenige, der die Themen aus Deutschland auf dem synodalen Weg unterstützt und der kritisch nachfragt, ob denn unbedingt für Geistliche der Zölibat vorgeschrieben werden muss. Gleichzeitig ist es eine sehr wertvolle Lebensform, mit der viele Geistliche eine gute Erfahrung gemacht haben. Aber müssen Ehelosigkeit und der Verzicht auf Sexualität Bedingung sein? Nicht nur in Deutschland fehlen uns Priester, und ein Grund dafür ist der Zölibat. Am Ende ist es ein Thema für ein drittes Vatikanisches Konzil, also eine Weltversammlung der katholischen Kirche.

Stichwort Gleichberechtigung und Maria 2.0: Die Aktivistinnen fordern Zugang für alle Menschen zu allen kirchlichen Ämtern. Ist das sinnvoll? Falls ja: Wann ist es so weit?

Sinnvoll ist es auf alle Fälle. Und unter Papst Franziskus gibt es die Freiheit, über alle Fragen zu diskutieren, also müssen wir das auch ernsthaft tun. Ich halte es aber nicht für realistisch, dass diese Frage schon in den nächsten drei bis fünf Jahren entschieden wird. Es geht ja um nicht weniger, als eine Tradition weltweit zu kippen. Doch eine Tradition kann man nicht erhalten, bloß weil sie eine Tradition ist - sie muss auch gut begründet sein.

Wie bewerten Sie die Entwicklung der Ökumene, das Verhältnis zu den anderen Kirchen?

Wir sind in der katholischen Kirche leider noch nicht an dem Punkt, wo wir ganz offen und herzlich zur eucharistischen Gastfreundschaft, also zum gemeinsamen Abendmahl, einladen können.

Wäre es für alle Christen nicht die beste Lösung, es gäbe überhaupt nur eine einzige Kirche? Und nicht eine katholische, protestantische, orthodoxe...

Das kann man sich wünschen. Aber warum nicht eine Vielfalt von Kirchen, die ja aus unterschiedlichen Traditionen entstanden sind, die sich aber gegenseitig respektieren und annehmen?

Das Gespräch führte Joerg Helge Wagner

Zur Person

Johannes Wübbe (55)

ist seit 2013 Weihbischof im Bistum Osnabrück, als solcher unterstützt er Bischof Franz-Josef Bode. Wübbe studierte in Münster und Freiburg, 1993 wurde er im Osnabrücker Dom zum Priester geweiht. 2000 bis 2010 war er Diözesanjugendseelsorger, 2013 wurde er von Bode izum Bischof geweiht. Sein Wahlspruch lautet „In spe credere“ (In Hoffnung glauben).

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)