Es gibt weltweit diverse Unternehmen, die an der Entwicklung von elektrisch angetriebenen Flugzeugen arbeiten. Wann könnte der Zubringerflug von Bremen oder von Hamburg nach Frankfurt mit einem solchen Flugzeug erfolgen?
Björn Nagel: Es gibt eine dynamische Start-up-Szene rund um das elektrische Fliegen, die sehr kreative Flugzeugkonzepte und revolutionäre Technologien zum Teil schon ab 2024 in die Luft bringen möchte. Es sind Flugzeuge mit bis zu 19 Passagiere und bis zu 800 Kilometer Reichweite angekündigt, so dass innerdeutsche Shuttleflüge zum Greifen nahe zu sein scheinen. Die Versprechen der Start-ups sind angesichts der verfügbaren Technologien extrem ambitioniert. Das einzige bisher zugelassene elektrische Flugzeug stammt vom Hersteller Pipistrel und bietet zwei Personen eine maximale Flugzeit von 50 Minuten bei einer Fluggeschwindigkeit von 165 Stundenkilometern. Damit kommt man auch bei Gegenwind von Hamburg bis nach Bremen aber noch lange nicht Non-Stop nach Frankfurt.
Wo sind die Grenzen von elektrisch angetriebenen Flugzeugen hinsichtlich Passagierzahl und Reichweite?
Der springende Punkt beim elektrischen Fliegen ist die Energiedichte der Batterien, also die Menge an elektrischer Energie, die pro Kilogramm Batterie gespeichert werden kann. Die gegenwärtig in der Entwicklung befindlichen Batterien sind noch grob dreißig Mal schwerer als Kerosin. Trotz der besseren Energieeffizienz von elektrischen Antrieben im Vergleich zu Verbrennungsmotoren sind Reichweiten von bis zu 400 Kilometer zurzeit eine realistische Annahme. Mit dieser Reichweite lohnen sich jedoch keine großen Flugzeuge jenseits der Zulassungsklasse bis 19 Passagiere.
Werden Batterien künftig leistungsfähiger sein?
Die Batterietechnologien werden mit Hochdruck weiterentwickelt und die Leistungen konnten um etwa fünf Prozent pro Jahr verbessert werden. Wenn diese Geschwindigkeit aufrechtgehalten werden kann, sind Regionalflugzeuge mit 50 bis 70 Passagieren in ungefähr 20 Jahren denkbar.
Ist der elektrische Antrieb also nur für Kurzstrecken und Regionalflüge geeignet?
Der voll-elektrische Antrieb mit Batterie und Elektromotor bietet einfach noch nicht die notwendigen Reichweiten, die für den sinnvollen Einsatz von Verkehrsflugzeugen notwendig sind. Es gibt aber sehr aussichtsreiche Konzepte für hybrid-elektrische Antriebe, in denen Batterien mit Brennstoffzellen oder Verbrennungsmotoren und Generatoren kombiniert werden. Die intelligente Kombination der Technologien könnte in klimaneutralen Regionalflugzeugen mit bis zu 70 Passagieren schon in zehn bis 15 Jahren auf den heutigen Strecken abheben.
Was sind aus ihrer Sicht die aussichtsreichsten Antriebsarten, die das kommerzielle Fliegen mit Null-Emissionen auf der Mittel- und Langstrecke ermöglichen?
Es ist technisch nicht möglich, die heutige Flugzeugflotte kurzfristig durch neue Muster zu ersetzen oder ganz andere Antriebe nach zu rüsten. Deshalb sind nachhaltige Flugkraftstoffe für die gegenwärtigen Triebwerke notwendig. Bei diesen künstlichen Kraftstoffen stammt der enthaltene Kohlenstoff aus der Luft, so dass mit dem vom Triebwerk ausgestoßenen CO2 ein geschlossener Kreislauf entsteht und das Fliegen nahezu klimaneutral ist. Als Ausgangsstoffe sind Biomasse oder Wasserstoff geeignet.
Das klingt doch gut.
Ja, aber die Herstellung von synthetischem Kerosin aus Wasserstoff ist extrem energieaufwendig. Deshalb wird intensiv daran geforscht, Wasserstoff direkt als Energieträger zu verwenden. Damit lassen sich entweder heutige Triebwerke oder Brennstoffzellen in hybrid-elektrischen Antrieben betreiben, wobei in beiden Fällen gar kein CO2 emittiert wird. Wasserstoff muss für Luftfahrtanwendungen jedoch bei minus 253 Grad verflüssigt werden, was die Handhabung äußerst anspruchsvoll macht und aufwendig isolierte Drucktanks erfordert.
Welcher Antrieb wird sich durchsetzen?
Die verschiedenen Energieoptionen haben verschiedene Vor- und Nachteile, und es lässt sich heute noch nicht absehen, welches Konzept sich am Markt durchsetzen wird. Für Regionalflugzeuge bieten Brennstoffzellen ein besonders großes Potenzial, auf der Kurz-/Mittelstrecke könnte Wasserstoff mit Turbinen zum Einsatz kommen, und auf der Langstrecke scheint kein Weg an synthetischem Kerosin vorbei zu führen.
Geht es nur um den Antrieb oder muss das Flugzeug der Zukunft ganz neu gedacht werden?
Die geringe Verfügbarkeit und der hohe Preis von klimaneutralen Energieträgern macht es erforderlich, dass der Energieverbrauch von Flugzeugen zukünftig noch deutlich weiter gesenkt werden muss. Heute liegt der Verbrauch von neuen Flugzeugen bei rund drei Litern Kerosin pro hundert Kilometern pro Passagier. Es ist unser Ziel, diesen Wert bis 2050 zu halbieren. Mit dieser Ambition muss das Flugzeug selbst dann komplett neu gedacht werden, wenn mit synthetischem Kerosin keine revolutionäre neue Antriebsarchitektur Einzug hält. Für Wasserstoff müssen voluminöse Tanks in den Rumpf oder am Flügel integriert werden. Brennstoffzellen und Elektromotoren erfordern eine leistungsfähige Kühlung. Es wird sich also Einiges ändern. Deshalb sind auch ganz andere Flugzeugkonfigurationen wie Nurflügler Gegenstand der Forschung. Ob die tatsächlich Vorteile gegenüber den etablierten „Drachenkonfiguration“ bieten, muss sich erst noch zeigen. Vielleicht unterscheiden sich die zukünftigen Flugzeuge äußerlich gar nicht so sehr von heutigen Flugzeugen. In gewisser Weise ist es bei Flugzeugen wie bei Menschen: Die inneren Werte zählen mehr als das schöne Äußere.
Norddeutschland ist im zivilen Flugzeugbau durch Airbus mit seinen Standorten in Hamburg, Bremen, Buxtehude, Stade und Varel traditionell gut aufgestellt. Auch das DLR ist gut vertreten. Alle forschen am Flugzeug der Zukunft. Ist man auf einem guten Weg?
Alle Beteiligte haben frühzeitig begonnen, Technologiebausteine für das klimaneutrale Fliegen zu erforschen und sich damit eine gute Ausgangsbasis verschafft. Noch wichtiger ist aber der laufende Ausbau der nicht produktspezifischen Fähigkeiten zum Produktentwurf in der Luftfahrt. Mit der Einführung von Methoden, die nicht nur das Produkt, sondern den gesamten Entwicklungsprozess digital abbilden, wird es möglich, auch revolutionäre Produktarchitekturen effizient zu optimieren und miteinander zu vergleichen. Diese Fähigkeit ist in der gegenwärtigen Situation entscheidend, wo weder absehbar ist, welche Technologieoptionen sich durchsetzen werden, noch welchen Anforderungen hinsichtlich Passagierkapazität, Geschwindigkeit und Flughöhe das nächste Flugzeug genügen muss.
Wie optimistisch sind Sie, dass der zivile Flugzeugbau auch beim Flugzeug der Zukunft im Norden eine tragende Rolle spielen wird?
Hier im Norden haben wir einen Schwerpunkt auf die Verknüpfung des Entwurfes des Flugzeugs mit seiner Produktion gelegt, sodass neue Bauweisen gleichzeitig den Anforderungen des klimaneutralen Fliegens und den Fertigungsverfahren in zukünftigen Fabriken und Industrie 4.0 Technologien genügen. In der Luftfahrt stehen wir herausfordernden Zeiten gegenüber. Technisch haben wir uns sehr gut darauf vorbereitet. Wichtig ist daneben aber auch die strategische Positionierung am Markt.
Wo sehen Sie im Norden Leuchtturmprojekte, die einen wesentlichen Beitrag für das Flugzeug der Zukunft leisten können?
Unsere größte Stärke ist das sehr gut etablierte Forschungsnetzwerk, in dem Industrie, Mittelstand, Forschungszentren und Universitäten langfristig vertrauensvoll zusammenarbeiten. Ermöglicht wird das schon seit vielen Jahren durch das Luftfahrtforschungsprogramm der Bundesregierung mit einer Vielzahl an Projekten. Regional sind die Innovation-Hubs Center for Eco-Efficient Materials and Technologies in Bremen, kurz Ecomat und das ZAL, das Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung in Hamburg, hervorzuheben. Jeweils durch die Stadt gefördert findet die Forschung aller Partner unter einem Dach statt und Infrastrukturen werden gemeinsam genutzt. Das sind ideale Umgebungen, um innovative Ideen zu entwickeln und in die Praxis zu bringen. Neben neuen Technologien entstehen hier auch neue Geschäftsideen und Start-ups.
Haben Sie Beispiele?
Ein Beispiel für ein Leuchtturmprojekt aus dem ZAL-Umfeld ist das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Innovation geförderte EPSIA, in dem wir digitale Fabriken für zukünftige Flugzeuge gemeinsam mit Airbus erforschen oder die gemeinsame Initiative zur Zertifizierung von Wasserstofftanks im Ecomat. Ein ganz neuer Leuchtturm im Norden ist das Wasserstoff Innovations- und Technologiezentrum für die Luftfahrt und die Schifffahrt, das Teil des vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur geförderten Deutschen Zentrums für die Mobilität der Zukunft wird.
Sie leiten in Hamburg das DLR-Institut für Systemarchitekturen in der Luftfahrt, in Braunschweig ist das DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik und es gibt noch weitere Standorte, die sich mit der Zukunft des Fliegens beschäftigen. Was ist die Stärke des DLR?
Die 54 Institute des DLR sind komplementär ausgerichtet. Gemeinsam decken wir die gesamte Breite der Luftfahrt ab. Damit das System Luftfahrt gut funktioniert, müssen alle Elemente im System vom Antrieb über die Flugzeugtechnologien, die Produktion und den Betrieb synergetisch aneinander angepasst sein. Die disziplinenübergreifende Zusammenarbeit ist charakteristisch für das DLR, weil nur so Antworten auf die übergreifenden Fragen wie das klimaneutrale Fliegen gegeben werden können.
Wie groß ist der Austausch zwischen den DLR-Instituten und der Flugzeugindustrie?
Unsere Arbeit ist auf eine enge Zusammenarbeit mit Industrie und Mittelstand aber auch mit anderen Forschungspartnern wie den Universitäten ausgerichtet. Das DLR Institut für Systemarchitekturen in der Luftfahrt ist 2017 am Standort ZAL Hamburg eigens dafür gegründet worden um zu erforschen, wie Lösungen für die Luftfahrt von Morgen im Zusammenwirken der vielen Elemente des Systems Luftfahrt im Verbund der vielen dafür notwendigen Spezialisten innerhalb und außerhalb des DLR entwickelt werden können. Diese Kompetenzen bringen wir aktiv in das Virtuelle Product House des DLR im Ecomat in Bremen ein, wo Mitarbeiter vieler DLR-Institute die Schnittstelle zwischen den industriellen Bedarfen vor Ort und den Forschungsaktivitäten des DLR bilden.
In wie viel Jahren werden Flüge von Deutschland nach Mallorca mit Null-Emissionen stattfinden?
Im Einklang mit den von Airbus kommunizierten Zielen halte ich es für realistisch, dass in weniger als 20 Jahren ein klimaneutrales Verkehrsflugzeug am Markt verfügbar gemacht werden kann. Damit stellt sich dann jedoch auch die Herausforderung an den Energiesektor, genügend regenerative Energie für dessen Betrieb bereitzustellen.