- Wie soll das Primärarztsystem für schnellere Termine bei Fachärzten sorgen?
- Was halten Bremer Hausärzte davon?
- Patienten, die trotzdem direkt Fachärzte aufsuchen, müssen sich an den Kosten beteiligen – das fordert die Bundesärztekammer. Richtig so?
- Gibt es für ein verbindliches Primärarztsystem überhaupt genug Hausärzte mit freien Kapazitäten?
- Wie ist die Lage bei Hausärzten in Bremen?
Viele Patienten kennen das: Wollen sie einen Termin beim Orthopäden, Hautarzt oder einem anderen Facharzt vereinbaren, sind wochen- oder sogar monatelange Wartezeiten fast schon die Regel. Das soll sich nach Plänen der wohl künftigen Bundesregierung aus Union und SPD ändern: Die Arbeitsgruppe Gesundheit in den Koalitionsverhandlungen schlägt ein „verbindliches Primärarztsystem“ vor.
Heißt: Der Weg zum Facharzt führt als erste Anlaufstelle über den Haus- oder Kinderarzt, diese überweisen im Bedarfsfall weiter. Ausnahmen sollen für Augenheilkunde und Gynäkologie gelten. Für Patienten mit spezifischen chronischen Erkrankungen könnte es Jahresüberweisungen geben. Ziel sei eine schnellere und zielgerichtetere Terminvergabe. Jährlich könnten 500 Millionen Euro eingespart werden.
Wie soll das Primärarztsystem für schnellere Termine bei Fachärzten sorgen?
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Bremen unterstützt die Pläne und sieht mehrere Effekte. „Ohne Primärarztsystem konsultieren Patienten oft mehrere Fachärzte direkt, auch wenn dies nicht notwendig ist. Das führt zu doppelten Untersuchungen und bindet Kapazitäten. Mit einem zentralen Arzt als Koordinator wird dieses Problem reduziert“, sagt KV-Sprecher Christoph Fox. „Wenn Fachärzte hauptsächlich Überweisungen von Primärärzten erhalten, können sie ihre Kapazitäten besser planen. Sie müssten weniger Zeit für Erstdiagnostik aufwenden und können sich auf spezifische Fälle konzentrieren, was die medizinische Versorgung verbessert.“ In Ländern wie Dänemark, Niederlande, Frankreich, Spanien oder Schweden sei das System bereits umgesetzt.
Was halten Bremer Hausärzte davon?
„Ich finde es gut, dass endlich angekommen ist, wie sinnvoll eine Steuerung durch die Primärversorgung ist. Ich glaube aber nicht, dass wir alle Menschen dazu zwingen können. Der Weg dahin muss langsam und akzeptierend sein, damit es funktioniert“, sagt der Bremer Hausärzte-Vorsitzende Holger Schelp. Er könne sich vorstellen, „dass Versicherte, die sich freiwillig anschließen, einen Bonus erhalten oder weniger Krankenkassenbeiträge zahlen“. Auf freiwilliger Basis könnten sie sich jetzt schon in die hausarztzentrierte Versorgung einschreiben und so vom Hausarzt als Lotsen profitieren.
Patienten, die trotzdem direkt Fachärzte aufsuchen, müssen sich an den Kosten beteiligen – das fordert die Bundesärztekammer. Richtig so?
Danach sei schon oft gerufen worden, sagt Schelp. „Ich halte Selbstbeteiligung im Sinne der Versorgung nicht für richtig. Die Versicherten zahlen alle schon Krankenkassenbeiträge. Ansonsten kommen wir in den Ruf, dass Besserverdienende bevorzugt werden.“ Bei einem verbindlichen Primärarztsystem müssten die Regeln für alle gelten, betont die KV. Ob eine Selbstbeteiligung eingeführt werde, hänge von der konkreten Ausgestaltung ab.
Gibt es für ein verbindliches Primärarztsystem überhaupt genug Hausärzte mit freien Kapazitäten?
Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz in Deutschland, Eugen Brysch, meldete Zweifel an: Pro Praxis dürften 2000 Patienten mehr zu betreuen sein. Zudem gebe es Regionen, wo schon heute Hausarztpraxen Neupatienten ablehnten und überlastet seien. Dies sei einer der Gründe, warum ein Wechsel nicht übers Knie gebrochen werden sollte, sagt Schelp. „Ich habe auch die Sorge, dass dann Menschen, die noch keiner hausärztlichen Praxis zugeordnet sind, ein Problem bekommen.“ Dass Hausärzte durch das Primärarztsystem schnell überfordert werden könnten, trifft laut KV nicht zwangsläufig zu: Hausärzte übernähmen die Erstdiagnose und steuerten den Facharzt-Zugang; dies bedeute nicht, dass sie alle Patienten ständig betreuen müssten. „Viele Routinefälle wie Rezeptverlängerungen oder Befundbesprechungen können digital oder telefonisch geklärt werden“, so Fox. Ärztehopping, bei dem Patienten mehrere Hausärzte aufsuchten, werde erschwert.
Wie ist die Lage bei Hausärzten in Bremen?
In Bremerhaven gebe es bei Hausärzten, Hautärzten, Kinder- und Jugendmedizinern sowie Kinder- und Jugendpsychiatern eine „drohende Unterversorgung“, so Fox. Auch in der Stadt Bremen liege der Versorgungsgrad bei Hausärzten nur noch bei 103 Prozent. Bis zur Marke 110 Prozent können sich laut Fox Ärzte niederlassen. 21,5 Arztsitze könnten demnach sofort übernommen werden. „Allein es fehlen die Hausärzte dazu.“ Wegen des hohen Durchschnittsalters und Nachwuchsmangels sei davon auszugehen, dass sich die Lage weiter verschlechtere. „Die knapper werdende Arztzeit muss sinnvoll eingesetzt werden. Unkoordinierte Arztbesuche blockieren Ärzte unnötig und treiben die Kosten in die Höhe, mit negativen Folgen für alle“, so Fox. Auch die Krankenkassen fordern eine bessere Patientensteuerung.