Jeder ist einmal zur Schule gegangen, darum ist vielleicht in manchen Köpfen das Bild verankert, dass Lehrer nach dem Unterricht Freizeit haben. Aber stimmt das Klischee? Obwohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2019 per Urteilsspruch festgelegt hat, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit erfassen müssen, wird das bei Lehrern bisher nicht gemacht. In Bremen soll im August 2026 ein Modellversuch starten – der lange Vorlauf wird laut Bildungsressort unter anderem benötigt, um die Aufgaben von Lehrkräften zu definieren.
Wir haben zwei Lehrer gefragt, was sie im Laufe einer Woche zu tun haben und wann Feierabend ist. Markus Spannan ist Jahrgangsleiter in der Mittelstufe der Oberschule an der Hermannsburg in Huchting. Seine Hauptfächer sind Mathematik sowie Wirtschaft, Arbeit, Technik (WAT), außerdem unterrichtet er Information und Kommunikation, Gesellschaft und Politik sowie Coding (Programmieren). Ein Halbjahr zuvor gab er zudem als einer von drei Lehrkräften Schwimmunterricht. Der studierte Bauingenieur ist als Quereinsteiger zu seinem Beruf gekommen. Er ist mit 24 von 27 Stunden Unterrichtsverpflichtung in Teilzeit beschäftigt. Für den WESER-KURIER hat Spannan kurz vor Ende des Schuljahres eine Arbeitswoche dokumentiert: wann er gearbeitet hat und welche Aufgaben jeweils auf seinem Stundenplan standen.
Die Woche sei arbeitsintensiv gewesen, da sie im Zeichen der Lernentwicklungsberichte stand, erklärt der 48-Jährige. Diese würden viel Zeit in Anspruch nehmen: "Hierbei insbesondere die erste Seite, bei der jeder Schüler und jede Schülerin einer Klasse einen reflektierenden persönlichen Brief bekommt, der Auskunft über die Entwicklung des Kindes im letzten Schuljahr und Anregungen gibt, welche Ziele es sich für das nächste Schuljahr vornehmen könnte", sagt Spannan. Darüber hinaus gibt es statt Noten Berichte, die in Form von anzukreuzenden Kompetenzen Auskunft über die Leistungen der Schüler geben.
Im Kollegium arbeiten viele am Wochenende
Besonders sei die Woche auch deshalb gewesen, weil Spannan nicht am Wochenende gearbeitet habe – anders als sonst. Ihm zufolge ist das im Kollegium gang und gäbe: "Das merkt man daran, dass sie dann meist schnell erreichbar sind."
Die protokollierte Woche geht am Montag um 8.30 Uhr los mit "Unterricht und Nachbereitung". Das setzt sich mit Pausen bis 16.30 Uhr fort, dann folgt eine zweistündige Gesamtkonferenz. "Konferenzen haben wir jede Woche, die Gesamtkonferenz ist dreimal im Halbjahr", berichtet Spannan. Der Arbeitstag endet nach 10 Stunden und 20 Minuten. Die letzte Amtshandlung: eine Stunde Unterrichtsvorbereitung, Feierabend um 22 Uhr.
"Wenn man acht Stunden unterrichtet hat, fällt es unmittelbar danach schwer, sich zu konzentrieren", erklärt Markus Spannan das Arbeiten zu später Stunde. Permanent präsent sein zu müssen, ziehe Energie. "Ich sag mal: Ich höre meinen Namen 300 Mal am Tag. Es macht Spaß, mit den Schülern zu arbeiten, aber man ist ein bisschen wie ein Showmaster", findet der Mathelehrer.
Zehn-Stunden-Tage sind keine Seltenheit
Am Dienstag hat Spannan neben dem Unterricht und dessen Nachbereitung insgesamt neun Lernentwicklungsberichte geschrieben. Die Gesamtarbeitszeit fällt mit 7 Stunden und 25 Minuten deutlich kürzer aus als am Montag. Am Mittwoch und Donnerstag ballen sich Gespräche mit Schülern und die Kommunikation mit Eltern, Ursachen könnten etwa Konflikte sein. "Wenn wir merken, da baut sich was auf, geben wir vorab den Eltern Bescheid", erläutert der Pädagoge. An beiden Tagen knackt Spannan die Zehn-Stunden-Marke. Am Ende der Woche hat der in Teilzeit beschäftigte Lehrer 45 Stunden und 15 Minuten gearbeitet.
Ähnlich geht es dem 30-jährigen Kollegen Stefan Müller (Name geändert), der an einer Oberschule mit gymnasialer Oberstufe mit 27 Stunden Unterrichtsanteil in Vollzeit beschäftigt ist. Der Politik- und Sportlehrer erfasst seine Arbeitszeit schon eine Weile, will aber nicht mit seinem richtigen Namen in die Zeitung. Wenn er davon ausginge, dass er in den Sommerferien jeden Tag frei hätte, käme er auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von 43 Stunden. "Aber: Jeder arbeitet in denn Sommerferien, um sich auf das neue Schuljahr vorzubereiten", sagt er.
Auch Sportlehrer müssen sich vorbereiten
Sportlehrer seien davon nicht ausgenommen. "Es kommt darauf an, welchen Anspruch man an seine Arbeit hat", erklärt Müller. Heute sei im Sportunterricht nicht nur der praktische Anteil gefragt, sondern auch die Reflexion über Bewegung und den Leistungsgedanken. "Was passiert bei der Atmung? Warum schwitzt man? Wie erleben wir Sport? Warum wählen wir keine Mannschaften mehr?", zählt er beispielhaft auf. Klausuren gebe es zwar nicht, aber dafür müsse man Sportveranstaltungen organisieren, von den Bundesjugendspielen bis zum Spendenlauf. Im Fach Politik sei die Vorbereitung intensiver, denn er müsse sich tagesaktuell informieren und politische Prozesse auch langfristig verstehen, wenn etwa Abi-Themen wie Rechtsextremismus auf dem Plan stünden.
Wie viel Arbeitseinsatz eine Lehrkraft zeige, sei individuell, auch im negativen Sinne. "Es gibt Klassenleitungen, die machen keine Klassenfahrten mehr, weil die Vorbereitung aufwendig ist und sie vor Ort 24 Stunden für die Schüler verantwortlich sind", berichtet Müller.
Emotional anstrengend findet er die Lautstärke im Unterricht, lange Konferenzen und Bürokratie. "Ich freue mich aber jeden Tag auf die Schüler, es wird nie langweilig." Müller sieht es als Vorteil, dass man sich die Zeit einteilen kann. "Andererseits sagt einem keiner, wann man fertig ist."
Wunsch nach Arbeitszeiterfassung
Viel Arbeit hin oder her – auch Spannan liebt seinen Beruf. "Was ich mag, ist, dass ich kreativ sein kann. Ich habe viele Freiheiten, viel Kontakt mit Menschen, gucke auch sehr oft in strahlende Gesichter." Selbst nach 17 Berufsjahren gebe es immer etwas Neues, zum Beispiel habe er sich Grundkenntnisse im Programmieren für das Profil Coding angeeignet.
Der Schritt, dass Lehrer ihre Arbeitszeit aufschreiben, sei längst überfällig, sagt Spannan, denn es schaffe Sensibilität für die Belastung von Kollegium und Schulleitung. Zudem könne es zu mehr Effizienz beitragen. "Ich habe Schulleitungen erlebt, die sagen, man soll Arbeitsblätter in DIN A3 kopieren, um Kopien zu sparen." Dass es viel Zeit koste, die Blätter in zwei Hälften zu teilen und zu sortieren, sei nebensächlich. "So wird den Lehrkräften vermittelt: Deine Arbeitszeit kostet nichts. Kein anderer Arbeitgeber würde das so machen." Er vermutet, dass durch die Arbeitszeiterfassung offengelegt werde, dass Lehrkräfte mehr machen, als sie müssten. "Ob das für alle gilt, kann ich nicht beurteilen. Und es hängt bestimmt auch von der Schule ab."

Arbeitszeiterfassung für Lehrer: Markus Spannan von der Oberschule an der Herrmannsburg.