Bärbel Bas hat recht. Die Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), man könne sich diesen Sozialstaat nicht mehr leisten, ist Unsinn. Ob die SPD-Vorsitzende und Bundesarbeitsministerin für diese inhaltliche Feststellung unbedingt auf tierische Exkremente verweisen musste, sei dahingestellt. Denn auch ohne jeden Kuhdung-Vergleich gibt es keinen ausufernden, wachsenden Sozialstaat, der die Möglichkeiten des Gemeinwesens übersteigt.
In Wirklichkeit liegt die Sozialleistungsquote und damit der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland seit mehr als zwei Jahrzehnten auf dem gleichen Niveau von plus/minus 30 Prozent. Schon seit 30 Jahren sind Werte über 27 Prozent der Normalfall, was übrigens auch im Vergleich zu anderen Industriestaaten kein sonderlich hoher Anteil ist. Deutschland steht damit sogar eher im unteren Mittelfeld.
Deswegen ist natürlich längst nicht alles in Butter. Reformen in den sozialen Sicherungssystemen sind notwendig. Allerdings nicht so, wie sich Friedrich Merz das vorstellt. Denn zur Realität gehört auch, dass es zahlreiche Disfunktionalitäten im Sozialstaat gibt, die zwar viel Geld kosten, von denen die, nun ja, Kunden des Sozialstaates aber wenig haben.
Der Teufel steckt zumeist im Detail: Beim Wohngeld wird einem Antragsteller zum Beispiel ein relativ hohes Schonvermögen von 60.000 Euro eingeräumt, das für die laufenden Wohnkosten nicht verbraucht werden muss. Sparkonten mit weniger Einlage müssen daher bei Antragstellung gar nicht angegeben werden. Wer allerdings vergisst, die Zinsen dieser Konten als Einnahme anzugeben, sobald es mehr als 100 Euro sind, muss mit einem aufwendigen Kontrollverfahren rechnen: Sämtliche Bankunterlagen sind offen zu legen, Kontoauszüge der jüngsten drei Monate einzureichen.
Die Behörde ist anschließend damit beschäftigt, in der Mehrzahl der Fälle festzustellen, dass sich Zinseinnahmen von umgerechnet zehn oder 20 Euro im Monat kaum aufs Wohngeld auswirken. Die Kosten für die Kontrollen dürften die eingesparten Ausgaben um ein Vielfaches übersteigen, denn die wenigsten Antragsteller beziehen relevant höhere Zinseinnahmen. Die Ursache des Effekts ist das per Gesetz verfügte Missverhältnis von relativ hohem Schonvermögen und geringer Freigrenze bei den Zinsen.
Noch gravierender kann es werden, wenn der Antragsteller monatelang auf sein Wohngeld warten muss, weil die Behörde mit der Bearbeitung hinterherhinkt. Denn bevor es zur Überbrückung unter Umständen Bürgergeld gibt, ist erst einmal eigenes Erspartes einzusetzen. Hier ist das Schonvermögen mit 40.000 Euro etwas kleiner, warum auch immer. Bezieht man irgendwann doch Bürgergeld und die Nachzahlung des Wohngelds ereilt einen, gilt das wiederum als anrechenbares Einkommen. Das Bürgergeld wird also gekürzt, auch wenn die Nachzahlung einen Zeitraum betrifft, an dem es noch gar nicht bezogen werden konnte.
Solche Widersprüche gibt es an vielen Stellen, etwa bei der Sicherung des Existenzminimums für Kinder. Was als Minimum gilt, hängt vom Alter ab. Beim Unterhaltsrecht sieht man einen steigenden Bedarf ab dem 13. Lebensjahr, beim Bürgergeld aber erst ab dem 14. Lebensjahr. Einen nachvollziehbaren Grund für diese Unterschiede gibt es nicht.
Die von der CSU so geliebte Mütterrente ist auch so ein Fall. Die geplante weitere Anrechnung von Erziehungszeiten kostet ziemlich genau den Betrag, den Merz beim Bürgergeld einsparen möchte: rund fünf Milliarden Euro pro Jahr. Für die einzelne Rentenbezieherin bedeutet das um die 20 Euro im Monat zusätzlich. Es sei denn, ihre Rente ist so niedrig, dass die sogenannte Grundrente oder sogar Grundsicherung im Alter bezogen wird. Denn dann wird die zusätzliche Mütterrente ebenfalls als Einkommen verrechnet. Unterm Strich bringt sie also gerade denjenigen Frauen nichts, die am ehesten einen Zuschlag gebrauchen könnten.
Ja, es gibt reichlich Reformbedarf, aber nicht so, wie die regierenden Parteien das aktuell diskutieren.