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"Der Franz kann ja alles" Nachbarschaftshelfer: Ein Segen für einsame Bremer

Nachbarschaftshelfer unterstützen ältere, behinderte oder kranke Bremer im Alltag. Sie schenken ihnen nicht nur ihre Zeit, um für sie einzukaufen oder Ausflüge mit ihnen zu machen, sondern vor allem ihr Ohr.
28.03.2023, 05:00 Uhr
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Nachbarschaftshelfer: Ein Segen für einsame Bremer
Von Ulrike Troue

"Magst du schon einen Schritt reingehen", sagt Franz Novotny, hält seinem Begleiter, dem 73-jährigen Wolfgang, die Eingangstür auf und warnt dann schnell: "Vorsicht, Schwelle!" An diesem verregneten Nachmittag ist das Alte Fundamt das Ziel ihres kleinen Spaziergangs. "Rausgehen ist das Wichtigste für mich, ich habe kaum Bewegung und kaum jemanden, der längere Wege mit mir geht", erzählt der blinde Viertelbewohner Wolfgang, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung veröffentlicht  haben möchte. Der Nachbarschaftshelfer sei ein wahrer Segen. "Der Franz kann ja alles", fährt Wolfgang fort und erklärt: "Er kauft für mich ein, guckt eventuell meine Post durch und hat sogar mal meine Waschmaschine repariert."

Im Februar 2022 hat das DRK-Dienstleistungszentrum Mitte an Wolfgang einen ehrenamtlichen Nachbarschaftshelfer auf seine Anfrage hin vermittelt. "Franz hat ewig im Viertel gelebt, in der 'Lila Eule' Bier gezapft, da wusste ich gleich, aus welcher Ecke er kommt und dass unsere Welten zusammenpassen", erzählt der studierte Sozialpädagoge aus dem Steintor frei heraus. "Ich schätze an ihm, dass er gut zuhören kann und keine Hemmungen hat, von sich zu erzählen. Wir verstehen uns ganz gut, das ist ganz schön", findet er und ergänzt: "Wir können auch eine Weile nebeneinanderher gehen, ohne ein Wort zu sagen." 

Daraufhin nickt Novotny zustimmend – und lächelt. "Wir können uns gut unterhalten", bestätigt er. Und wer das Duo unterwegs auf der Straße oder im Café beobachtet, bekommt schnell den Eindruck, dass die beiden Männer inzwischen einen vertrauten freundschaftlichen Umgang miteinander pflegen.

"Mir hat es schon immer Spaß gemacht, mit älteren Menschen zu arbeiten", berichtet Novotny, der in einem Mehrgenerationenhaus in Burgdamm aufgewachsen ist. Acht Personen groß, mit Eltern, Großeltern, Onkel und Tante und seiner Schwester. "In so einer familiären Gemeinschaft lernt man, aufeinander zuzugehen und miteinander umzugehen", erklärt Novotny, der inzwischen in Findorff lebt.

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Über seine Schwiegermutter, die in einem Haus im Viertel lebte und um die er sich auch gekümmert hat, lernte Novotny weitere Bewohner und das dortige DRK-Dienstleistungszentrum kennen – und erfuhr zudem vom Unterstützungsbedarf vieler weiterer älterer Menschen.

Nachdem seine Frau verstorben war, schloss er sich vor acht Jahren dem ehrenamtlichen Team der organisierten Nachbarschaftshelfer an. Seither hat sich der Pensionär nach eigener Aussage um rund 20 ältere, kranke oder behinderte Bremerinnen und Bremer so lange gekümmert, wie sie in den eigenen vier Wänden zurechtkommen konnten und teilweise für sie sogar einen Antrag auf einen Pflegegrad gestellt. "Ich habe auch geputzt", so Novotny, "das mache ich jetzt aber nicht mehr." 

Zwei Mal habe er ehemalige Kunden noch gewisse Zeit danach besucht, schaut der Findorffer zurück. "Aber irgendwann muss man es auch abhaken", lässt er einen gesunden Menschenverstand durchblitzen, der zu gewissem Abstand aus Selbstfürsorge rät. In einem Fall war es eine blinde Dame, die er zum Schluss vier Mal pro Woche besuchte, ehe sie als Notfall in eine Klinik gebracht werden musste. "Das ist eine unheimliche Verantwortung", verdeutlicht Novotny und geht näher auf Ängste eines Menschen ein, "der völlig im Dunkeln lebt". Hernach erinnert er an eine demenzkranke Frau, die ihn oft gar nicht wiedererkannt habe. "Das schlägt mir Gott sei Dank nicht auf die Psyche", sagt er. Er bekomme bevorzugt "herausfordernde" Klienten vermittelt, aber das sei kein Problem. "Ich kann da gut mit umgehen." 

"Die Leute, die man betreut, sind ja auch dankbar", erklärt er seine Beweggründe zu diesem Ehrenamt. "Gerade alte, einsame Menschen haben Probleme, jemanden zu finden, der zuhört. Das kann man mal machen, deshalb mache ich das", sagt der Pensionär und stellt sein Licht wohl eher etwas unter den Scheffel. Denn mittlerweile ist der Findorffer drei Tage die Woche im Einsatz.

Außer Wolfgang besucht er zwei weitere Klienten: eine an Demenz erkrankte Frau im Alter von 74 Jahren, außerdem erledigt er für eine 84-jährige Bremerin die Gartenarbeit in der Saison. "Alle 14 Tage mal zwei Stunden richtig austoben ist schon eine Herausforderung", stellt der 71-Jährige fest. Bei gutem Wetter fährt er meist mit dem Rad oder Motorroller zu den Besuchsterminen. "Gott sei Dank bin ich noch fit", sagt er. Er wolle nämlich so lange wie möglich als Nachbarschaftshelfer aktiv bleiben.

Rückblickend ist Novotny davon überzeugt, dass sein beruflicher Weg ihm geholfen hat, Berührungsängste abzubauen. Er habe als Schichtleiter für eine Isoliertechnikfirma gearbeitet, sei dann als Verkäufer in den EDV-Bereich gewechselt und habe später als Selbstständiger diverse Firmen gegründet. "Ich habe gelernt, auf Leute zuzugehen und vor allem auch gut zuzuhören. Die Begegnungen mit Menschen haben viel Spaß gemacht" – und machen es ihm offensichtlich bis heute.

Info

Steckbrief:

Verein/Objekt:

Bremer Dienstleistungszentren / organisierte Nachbarschaftshilfe

Engagementbereich:

Ältere, behinderte oder kranke Menschen im Alltag unterstützen, damit sie so lange wie möglich in der eigenen Wohnung leben können: Ausflüge machen, putzen, einkaufen, Wäsche waschen, Spazierengehen, Begleitung zu Arztbesuchen oder ähnliches

Zeitaufwand:

möglichst ein oder zwei Nachmittage pro Woche für jeweils zwei, drei Stunden

Ansprechpartner:

die 17 Dienstleistungszentren in Bremen direkt, deren Standorte und Kontaktinfos über die Website (siehe unten) zu finden sind

Telefon: 791 99 50 (Paritätische Gesellschaft für soziale Dienste Bremen)

E-Mail: info@pgsd.deijorek@hwst.de

Internet: https://dlz-bremen.de

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