Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Höhere Preise, weniger Gäste? So könnte sich die Steuererhöhung auf die Bremer Gastronomie auswirken

Wie viel kann ich verlangen? Ab wann kochen die Kunden lieber selbst? Die Anhebung der Mehrwertsteuer führt bei Gastronomen zu schwierigen Entscheidungen. Ökonom Torben Klarl beurteilt die Anhebung als richtig.
23.11.2023, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
So könnte sich die Steuererhöhung auf die Bremer Gastronomie auswirken
Von Björn Struß

Die Sirtaki-Platte für 15,50 Euro, ein Lachssteak für 17 Euro oder Gyros für 16 Euro – so viel kostet es aktuell, im Restaurant Poseidon in Gröpelingen essen zu gehen. Diese Preise gelten voraussichtlich nur noch bis zum 31. Dezember. Denn die Bundesregierung will für den Verkauf von Speisen im kommenden Jahr wieder den regulären Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent verlangen. Seit Juli 2020 galt der ermäßigte Satz von sieben Prozent, um den Restaurants in der Corona-Krise den Rücken zu stärken. Gastronomieverbände warnen nun vor einer Pleitewelle und hoffen, dass die Steuererhöhung im Bundestag oder Bundesrat keine Mehrheit findet.

Dimitrios Mitsioulas muss seine Speisekarte komplett neu kalkulieren. „Für Hauptgerichte werde ich wahrscheinlich einen Euro mehr verlangen“, sagt er. Von zehn Euro, die er mit einem Gericht verdient, würden im Vergleich zum laufenden Jahr 1,20 Euro zusätzlich an den Staat gehen. Das Lachssteak – aktuell 17 Euro – müsste Mit­sioulas im Poseidon rein rechnerisch für rund 19 Euro verkaufen, um die gleiche Marge zu erwirtschaften. Ein Preisanstieg von einem Euro ist also moderat. Der Chef ist sich dessen bewusst: „Aber was nützen mir zwei oder drei Euro mehr, wenn die Kunden deshalb nicht mehr kommen?“

Lesen Sie auch

In dieser Zwickmühle stecken aktuell alle Gastronomen. Wie viel machen die Kunden noch mit? Ab wann kochen sie lieber selbst? Andreas Hoetzel muss Fragen wie diese für sechs Restaurants beantworten, er betreibt unter anderem das Il Blu im Viertel und die Osteria an der Schlachte. „Wir werden für alle Läden – auf Basis der hochgerechneten Umsätze 2023 – im nächsten Jahr etwa 400.000 Euro mehr ans Finanzamt zahlen müssen“, sagt Hoetzel. Diese Summe übersteige den erwirtschafteten Gewinn natürlich um ein Vielfaches.

Seitdem Russland die Ukraine angegriffen hat, müssen Gastronomen mit Kostensteigerungen umgehen. „Nur mit der Mehrwertsteuer von sieben Prozent ist es bisher gelungen, diese Kosten nicht eins zu eins an die Kunden weiterzugeben“, berichtet Hoetzel. In der Bremer Gastronomie erlebe er aktuell Fassungslosigkeit. Von einem Ende der Krise könne keine Rede sein. „Die Situation ist unverändert vom Existenzkampf geprägt“, warnt der Restaurantbetreiber.

Lesen Sie auch

Für Volkswirt Torben Klarl ist der reduzierte Steuersatz hingegen eine staatliche Subventionierung, die auslaufen sollte. Klarl forscht an der Universität Bremen. Die Umsätze der Restaurants bewegten sich in vielen Metropolen inzwischen wieder auf Vorkrisen-Niveau, gleichwohl überlebten einige Restaurants die Krise nicht. „Das ist aber ein Strukturwandel in der Branche selbst und ist auch auf veränderte Konsumgewohnheiten der Haushalte zurückzuführen“, argumentiert Klarl. Dies seien keine Argumente für eine Fortsetzung der Subventionierung, es liege kein Marktversagen vor.

Der Ökonom verweist zudem darauf, dass Haushalte mit einem hohen Einkommen auch viel Geld für Restaurantbesuche ausgeben. Dies treffe insbesondere auf kinderlose Personen zu. Für Klarl führt dies dazu, dass nicht alle Bürger gleichermaßen von der Subventionierung profitierten: „Sie benachteiligt relativ arme und kinderreiche Haushalte.“ Wer ohnehin kein Restaurant besucht, hat auch nichts davon, wenn die Preise stabil bleiben.

Ein weiterer Kritikpunkt: Von einer Senkung der Mehrwertsteuer profitieren laut Klarl insbesondere die Restaurantbetreiber und weniger die Kunden. „In Frankreich wurde im Jahr 2009 die Mehrwertsteuer für Restaurantdienstleistungen von 19,6 auf 5,5 Prozent gesenkt. Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Steuersenkung ging an die Restaurantbesitzer, der kleinste Teil an die Besucher“, erläutert der Ökonom. Für die 2020 in Deutschland umgesetzte Steuersenkung sei die Datenlage noch zu dünn, um sie wissenschaftlich zu analysieren.

Für die Gastrogemeinschaft Bremen, in der etwa 400 Mitgliedsbetriebe organisiert sind, ist die Mehrwertsteuer grundsätzlich ungerecht strukturiert. Denn Lieferdienste zahlen einen ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent. „Wer Service am Platz bietet, wird dafür bestraft“ kritisiert Thorsten Lieder, Geschäftsführer der Gastrogemeinschaft. Die niedrigere Besteuerung der To-Go-Konkurrenz sei schlichtweg Quatsch. Lieder hat auch einen konkreten Verbesserungsvorschlag: „Wir fordern einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie, der zwischen zehn und elf Prozent liegen könnte.“

Detlef Pauls, Vorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) in Bremen, hat derweil die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Steuererhöhung im Bundestag keine Mehrheit findet. „Ich wünsche mir, dass diese Bundesregierung bald Geschichte ist“, so Pauls. Kanzler Olaf Scholz (SPD) wirft er Wortbruch vor, auch andere Politiker haben den Gastronomen seiner Ansicht nach falsche Hoffnungen gemacht.

Dem Aufruf einiger Gastronomieverbände, die Restaurants am kommenden Montag aus Protest nicht zu öffnen, schließt sich Dehoga Bremen nicht an. „Unserer ­Ansicht nach ist es nicht richtig, wenn unsere Gäste unter diesem Streit leiden“, erläutert Hauptgeschäftsführerin Nathalie Rübsteck.

Lesen Sie auch

Zur Sache

Abstimmung im Bundesrat

Im Bundesrat wird Mecklenburg-Vorpommern gegen eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes stimmen. Dies kündigte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) gegenüber der "Rheinischen Post" an. Mit der Frage, wie sich Bremen im Bundesrat positioniert, hat sich der Senat laut Sprecher Christian Dohle noch nicht befasst. Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) hatte sich vergangene Woche für eine reduzierte Mehrwertsteuer ausgesprochen.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)