Von einem Anstieg des Strompreises an der Börse um mehr als 580 Prozent schreibt das "Handelsblatt" am Donnerstag: Die Megawattstunde (MWh) werde im 4. Quartal fast 600 Euro kosten. Das trifft private Verbraucher ebenso wie Wirtschaftsunternehmen und die öffentliche Verwaltung – voraussichtlich aber mit einer erheblichen Verzögerung.
"Die Welle kommt noch", sagt Angela Dittmer, Sprecherin des stadteigenen Versorgers SWB. Dort setzt man auf eine langfristige Beschaffungsstrategie: An der Strombörse in Leipzig kauft das Bremer Unternehmen die prognostizierten Strommengen für seine Kunden zwei Jahre im Voraus. Allerdings werde niemals der gesamte Bedarf an einem Tag gekauft, erklärt Dittmer, "damit sich Preisschwankungen ausgleichen können".
Beim Thema Gas und Strom unterscheidet Frank Thoss, Energieexperte der Handelskammer Bremen, zwei Grundprobleme: die Preise und die Sicherheit der Gaslieferungen. Würden größere unverzichtbare Produktionsanlagen mit Gas betrieben, sei nicht sicher, ob man dies mit Einsparungen an anderer Stelle sicherstellen könne. Bei den Preisen käme es auf die Marge beim Verkauf an: Wenn sie niedrig sei, könne die Weitergabe der galoppierenden Stromkosten an die Kunden ein Produkt unverkäuflich machen.
"Nehmen Sie einen Zulieferer aus einer beliebigen Branche, der zu festgelegten Preisen einen Nachproduzenten bedient: Das kann er gar nicht, wenn seine Energiekosten um ein paar Hundert Prozent steigen", verdeutlicht Thoss. "Dann muss er entweder nachverhandeln oder Verlust machen." Besonders betroffen von der Strompreisexplosion seien in Bremen die Stahlwerke, das Nahrungsmittelgewerbe sowie der Kraftfahrzeug- und Maschinenbau.
Thoss ist unbedingt dafür, dass die Kohlekraftwerke bis auf Weiteres am Netz bleiben, um die teure Gasverstromung zu senken. Erneuerbare Energien allein könnten dies nicht auffangen: "Warum nimmt man denn Gas? Weil es schnell verfügbar ist. Die Erneuerbaren stehen eben nicht bei jeder Belastungsspitze zur Verfügung." Die Bremer Politik müsse vor allem dafür sorgen, "dass die Netze stabil bleiben".
Eine längere Laufzeit der deutschen Kernkraftwerke, wie sie die CSU fordert, erwähnt der Handelskammer-Vertreter nicht. Die auch für die Energieversorgung zuständige Umweltsenatorin Maike Schaefer (Grüne) erteilt dem eine Absage: "Der Ausstieg aus der Atomenergie zum Ende dieses Jahres ist Gesetz", betonte sie. Atomkraft sei "eine Hochrisikotechnologie von gestern", zudem sei die Endlagerfrage noch immer ungeklärt. "Wir müssen jetzt auf den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien setzen, sowohl On- als auch Offshore pushen und repowern. Bayern muss endlich seine Hausaufgaben machen und Windkraft ausbauen, statt auf Auslaufmodelle zu setzen.“
Wie kommen die Strompreise überhaupt zustande? Was die Kunden derzeit verbrauchen, wird anhand der Beschaffungskosten in den Jahren 2020 und 2021 berechnet. Dittmer betont, dass Beschaffung und Vertrieb des Stroms knapp 44 Prozent der Gesamtkosten ausmachen. Mehr als die Hälfte seien staatlich bestimmt: Steuern und Abgaben, etwa für Netznutzung und Messung. Mit dem Wegfall der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sei auch dieser Anteil gesunken: "Mit einem Basispreis von 22,23 Eurocent je Kilowattstunde (KWh) sind wir preislich auf dem Niveau von vor zehn Jahren", sagt die SWB-Sprecherin.
Dies zu halten, hat die SWB nur bedingt in der Hand. Denn das Energiewirtschaftsgesetz zwingt alle Stromproduzenten, ihren gesamten Strom an der Börse anzubieten. Das macht die SWB-Gesellschaft Erzeugung und Entsorgung. Eine andere SWB-Gesellschaft – Vertrieb – beschafft den Strom dort. "Das bedeutet, dass der in Bremen erzeugte Strom physisch natürlich in Bremen verbraucht wird, aber zu den über den Börsen-Mechanismus definierten Konditionen", stellt Dittmer klar. Immer wenn, die in Bremen produzierte Menge nicht ausreicht, fließt Strom aus dem europäischen Verbundnetz nach Bremen hinein.
Offenbar ist nicht die Menge, sondern der Preis das Problem. Er steigt, weil die teuerste Art der Erzeugung – Gasverstromung – nach einem Bericht des ARD-Magazins "Plusminus" auf einen Rekordanteil geklettert ist. Ursache sei ein unerwartet hoher Ausfall von französischen Kernkraftwerken wegen Wartungsarbeiten und notwendigen Reparaturen von Rissen und Korrosionsschäden. Dies fange Deutschland mit dem Export von 8,3 Terawattstunden (8,3 Milliarden KWh) auf. Um sie liefern zu können, müsse man aber mehr Gas verstromen – was einerseits in den Speichern fehlt und andererseits die Preisexplosion beim Strom befeuert. Denn obwohl zwei Drittel des deutschen Stroms aus Kohle und alternativen Energieträgern gewonnen werden, erhielten sämtliche Anbieter an der Börse den Preis des teuersten Anbieters.