Zunächst glückten dem Abiturienten Henrich Focke und seinen Freunden mit selbst gebauten Fluggeräten nur kurze Gleitflüge vom Osterdeich aus. Auch als der Student 1911 erstmals einen Acht-PS-Motor einsetzte, reichte es nur für kleine Hopser. Doch Focke ließ nicht locker, und aus den ersten Luftsprüngen wurde eine Bremer Erfolgsgeschichte, die nach ein Jahrzehnten auch den Weg ins All ebnete.
Wie sich die Luft- und Raumfahrt in Bremen über ein Jahrhundert hinweg entwickelt und Niederschläge immer wieder überwunden hat, ist in einem voluminösen, reich bebilderten Band nachzulesen, den die Bremer Experten Peter Kuckuk, Hartmut Pophanken und Klaus Schalipp jetzt im Verlag Edition Falkenberg herausgegeben haben. Es ist kein streng chronologisch aufgebautes Werk, sondern ein Sammelband, der 19 Beiträge von 15 Autoren zu den wichtigsten Bremer Aspekten der Luft- und Raumfahrt zusammenführt und ein abgerundetes Bild bis in die neueste Zeit liefert. Erwartungsgemäß fängt es mit dem genialen Flugzeugbauer Henrich Focke und anderen Luftfahrtenthusiasten an, die den Grundstein für eine erstaunliche Karriere des Flugzeugbaus in der Hansestadt legten. Focke und sein Freund Georg Wulf waren auch unternehmerisch ein gutes Team, bis es einen herben Rückschlag gab: Bei Flugmanövern mit der Ente F19 verunglückte Wulf 1927 tödlich. Dennoch konnte das Unternehmen Focke-Wulf weiter mit hervorragenden Produkten glänzen – so etwa mit dem robusten Doppeldecker Kiebitz. Cornelius Edzard und Max Middendorf flogen am 20. August 1929 mit dem Bremer Modell einen Streckenrekord von 1601 Kilometern.
Bei Focke-Wulf entstanden im Laufe der Zeit so berühmte Flugzeuge wie die Fw 200 Condor, die Fw 44 Stieglitz und der Jäger Fw 190. Nach dem Krieg folgten einige wegweisende, wenn auch kommerziell nicht so erfolgreiche Entwicklungen wie der Senkrechtstarter VAK 191B und der Kurzstreckenjet VFW 614, die im Buch eingehend dargestellt werden.
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Nachdem ihn die Nationalsozialisten aus der eigenen Firma gedrängt hatten, gründete Focke 1937 zusammen mit dem Kunstflugweltmeister Gerd Achgelis die Firma Focke-Achgelis in Delmenhorst. Diese wiederum wurde 1944 von der Weser-Flugzeugbau geschluckt, die ebenso wie Focke-Wulf im Krieg von Rüstungsaufträgen stark profitierte und Tausende Zwangsarbeiter beschäftigte. Die Entwicklung der Flugzeugfabriken im Stadtgebiet und näheren Umland nimmt in dem Buch breiten Raum ein. Die wichtigsten in Bremen konstruierten und gebauten Flugzeuge werden aufgelistet – in dieser Zusammenstellung ist das einmalig für die Standortregion Bremen. 1961 vereinigten sich Focke-Wulf und Weser-Flugzeugbau zu den Vereinigten Flugtechnischen Werken (VFW). Für Raumfahrtentwicklungen wurde zusammen mit der Hamburger Flugzeugbau der Entwicklungsring Nord (Erno) gegründet.
Sehr lesenswert sind zwei spannende Ingenieursbiografien, verfasst von den Söhnen. Der gebürtige Rostocker Gerhard Eggers (1912-1998) erwarb sich als technischer Geschäftsführer bei Focke-Wulf große Verdienste um den Flugzeugbaustandort Bremen und machte sich für die Fusion mit der Weser-Flugzeugbau stark. Gerhard Raeck (1912-1980), gebürtig aus Tangermünde, wurde nach Kriegsende in die Sowjetunion deportiert und war dort sowie später in der DDR als Luftfahrtingenieur tätig. Nach seiner Flucht in den Westen fasste er in leitender Position in Bremen Fuß: als Entwicklungsdirektor bei Erno.
Wie sich Bremen zum bedeutendsten Raumfahrtzentrum in Deutschland entwickelt hat, legt Klaus Schalipp im letzten Abschnitt des Buches gut strukturiert dar. Band „Ein Jahrhundert Luft- und Raumfahrt in Bremen: Von den frühesten Flugversuchen zum Airbus und zur Ariane“ hat 480 Seiten, ist im Verlag Edition Falkenberg erschienen und kostet 98 Euro. Die Herausgeber Peter Kuckuk, Hartmut Pophanken und Klaus Schalipp stellen das Werk bei der „Bremer Buchpremiere“ am Montag, 9. November, um 18 Uhr im Wall-Saal der Zentralbibliothek Bremen, Am Wall 201, vor.