Das bisherige Vorgehen, Corona-Beschlüsse in erster Linie von Inzidenzwerten abhängig zu machen, wird mehr und mehr infrage gestellt. Beim Treffen der Ministerpräsidenten und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Dienstag soll diskutiert werden, welche Rolle die Sieben-Tage-Inzidenz in Zukunft für die Bewertung der Pandemielage spielen soll.
Nach Meinung von Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) muss das bisherige Vorgehen überdacht werden. Durch die höheren Impfquoten habe sich die Lage geändert. „Man muss es multifaktoriell machen“, sagte er, also in die Bewertung zum Beispiel auch die Zahl der belegten Intensivbetten oder der schweren Krankheitsverläufe einbeziehen. Alternativ könnten höhere Schwellenwerte bei den Infektionszahlen festgelegt werden. Denn klar sei: „Man kann eine hohe Inzidenz bei Impfstatus null Prozent nicht mit einer hohen Inzidenz mit Impfstatus 70 Prozent vergleichen.“
Niedersachsen strebt laut Staatskanzleichef Jörg Mielke (SPD) eine einfachere Corona-Strategie ohne starre Inzidenzstufen an. Neben einem allgemein gültigen Basisschutz mit einer Maskenpflicht in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln sollte man nur noch den Zugang zu besonders gefährdeten Bereichen wie zum Beispiel Schulen explizit regeln, erklärte Mielke am Montag auf einer Sondersitzung des Sozialausschusses des Landtags. „Wir müssen davon wegkommen, immer nur reflexartig auf hohe Infektionszahlen zu reagieren.“ Wichtig sei vielmehr, in Risikobereichen den Zugang für geimpfte, genesene und auch getestete Menschen zu regeln.
Niedersachsens Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) hatte vor wenigen Tagen angeregt, die Quote der vollständig geimpften Menschen im Land sowie die Belastung des Gesundheitssystems in den Blick zu nehmen. Seit Mitte Juli müssen laut Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums alle Patientenaufnahmen wegen Covid-19 in Krankenhäusern gemeldet werden, um die Lage detaillierter im Blick zu behalten. Erfasst werden auch Alter, Art der Behandlung und Impfstatus der Betroffenen.
Umgang mit Ungeimpften
Zur künftigen Corona-Strategie gehören auch Entscheidungen über den Umgang mit Ungeimpften und Tests. Wer nicht immunisiert sei, spüre bereits einen gewissen Druck, weil er sich jedes Mal testen lassen müsse, um an bestimmten Aktivitäten teilzunehmen, so Bovenschulte. „Das kann sehr lästig sein und ab Herbst auch etwas kosten.“ Wer sich nicht impfen lassen wolle, dürfe auf Dauer nicht die Solidargemeinschaft mit den Kosten für Tests belasten.
In einem Fünf-Punkte-Plan zur Pandemiebekämpfung hat Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Montag unter anderem gefordert, Tests müssten auf absehbare Zeit wieder selbst bezahlt werden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte bereits vorgeschlagen, die Gratis-Tests Mitte Oktober auslaufen zu lassen. Eine Ausnahme soll für Menschen gelten, die nicht geimpft werden könnten.
Von dem Vorschlag von Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), künftig einen negativen PCR- statt einen Schnelltest zu verlangen, hält Bovenschulte nichts: „Die sind so teuer, da können sich nur reiche Ungeimpfte den Zugang erkaufen.“ Auch eine Ausweitung der Tests für sämtliche Treffen in Innenräumen, wie sie Laschet am Montag ins Gespräch gebracht hatte, ist seiner Meinung nach nicht erforderlich. „Wir haben in Bremen die Haltung, dass ab einer Inzidenz von 35 in Innenräumen ein Test nötig ist. Das scheint mir auch eine gute Logik zu sein.“
Unter anderem Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatten sich jüngst für kostenpflichtige Schnelltests ausgesprochen.
SPD-Chefin Saskia Esken verlangte einen Preisdeckel für Corons-Tests, um eine „Abzocke der Ungeimpften“ zu verhindern. FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae dagegen meint: „Die Kostenlosigkeit der Tests möglichst lange, auch bis in das Jahr 2022 hinein aufrecht zu erhalten, ist gut angelegtes Geld.“