Ein bislang wenig beachtetes Verkehrsmittel könnte künftig eine größere Rolle im Bremer ÖPNV-Konzept spielen: die Fähre. „Regelmäßige Fährverbindungen könnten die Stadt besser zusammenführen“, sagt Sofia Leonidakis, Vorsitzende der Linken-Bürgerschaftsfraktion. „Viel befahrene Straßen würden entlastet, Stau vermieden und ein Beitrag zum Klima- und Umweltschutz geleistet.“ Die Idee, sich die Weser zunutze zu machen, gibt es schon länger – durch erste Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie, die dem WESER-KURIER vorliegen, bekommt sie neuen Auftrieb.
Welche Verbindungen werden diskutiert?
In der ersten Variante geht es um eine Verbindung zwischen der Waterfront und dem Molenturm in der Überseestadt. Die zweite Variante ergänzt die erste um eine komplette Weserquerung zum Lankenauer Höft. Eine Längsverbindung sieht die dritte Variante vor, bei der sechs Standorte miteinander verknüpft würden: die Waterfront, der Landmarktower in der Überseestadt, Woltmershausen, das Kellog-Areal, die Schlachte und das Weserstadion. In der vierten Variante wird Bremen-Nord berücksichtigt, das über eine Schnellfähre mit den sechs städtischen Standorten verbunden werden könnte. Die potenziellen Anlegestellen im Norden liegen in Farge, Blumenthal, Vegesack und Mittelsbüren.
Was wurde untersucht?
Die Standorte wurden auf ihre Bevölkerungs- und Arbeitsplatzdichte untersucht. Die Anbindung an den ÖPNV und die Erreichbarkeit mit dem Auto, dem Rad oder zu Fuß flossen ebenfalls in die Bewertung ein. Auch die touristische Attraktivität spielte eine Rolle. Eine besonders wichtige Frage: Welche anderen Standorte können die Fahrgäste mit der Fähre wie schnell erreichen? Dabei wurden neben den Fahrzeiten auch Fußwege zu Haltestellen sowie Warte- und Umsteigezeiten berücksichtigt.
Mit wie viel Fahrzeit ist zu rechnen?
Mit der Fähre wäre man laut Studie von der Waterfront bis zum Lankenauer Höft 36 Minuten, mit dem ÖPNV 73 Minuten unterwegs (jeweils mitsamt Fußwegen und Wartezeiten). Die Fahrt mit dem Auto dauere 33 Minuten. Im Längsverkehr vom Landmarktower nach Woltmershausen wird eine Reisezeit von 19 Minuten genannt (ÖPNV: 53 Minuten, Auto: 25 Minuten). Von Bremen-Nord nach Bremen-Süd wäre die Reisezeit mit der Fähre und dem ÖPNV vergleichbar (Vegesack-Woltmershausen: 83 und 76 Minuten). Wer die anderen Fährverbindungen benutzte, bräuchte größtenteils mehr Zeit als mit ÖPNV oder Auto – von der Schlachte zur Waterfront beispielsweise eine Stunde mit der Fähre und eine halbe Stunde per ÖPNV. Wer von der Schlachte nach Woltmershausen muss, wäre wiederum mit allen drei Verkehrsmitteln ungefähr gleich schnell.
Wie groß ist das Passagier-Potenzial?
Die letzte Variante, die die meisten Standorte vereint und auch Bremen-Nord anschließt, bietet laut Studie „ein starkes Verlagerungspotenzial“ für verschiedene Zielgruppen. Auf dieser Route bestehe ein theoretischer Bedarf von etwa 18.500 Fahrten pro Tag. Sprich: Es könnten beispielsweise 9000 Passagiere täglich jeweils eine Hin- und Rückfahrt mit der Fähre antreten. Trotz der wasserseitig längeren Fahrtzeiten nennt die Studie unter anderem Berufspendler aus Bremen-Nord, die in der Innenstadt arbeiten, als potenzielle Passagiere. „Hier kann der Weserlängsverkehr einen erheblichen Beitrag zur Entlastung landseitiger Infrastrukturen beitragen“, heißt es. Die errechneten 18.500 Fährfahrten könnten laut Studie täglich etwa 10.500 Autofahrten und rund 8000 ÖPNV-Fahrten an Land ersetzen.
Welche Fragen sind noch offen?
Der letzte Teil der Studie wird derzeit noch erarbeitet – die Zwischenergebnisse sollen am Mittwoch in der Wirtschaftsdeputation diskutiert werden. Offene Fragen sind unter anderem die Kosten, die Wirtschaftlichkeit sowie die bestmögliche Taktung und Linienführung. Eine mögliche Anbindung an das niedersächsische Umland wird ebenfalls überdacht. Auch die Frage, welche Art von Fähren geeignet ist, muss noch näher untersucht werden.
Wie reagieren Politiker auf die Studie?
Die Zwischenergebnisse seien vielversprechend, sagt Linken-Politikerin Leonidakis. Durch eine Einbindung in den ÖPNV sei die Fähre auch für Alltagswege bezahlbar. SPD-Wirtschaftspolitiker Volker Stahmann lobt die Studie, betont aber: „Die Umsetzung muss betriebswirtschaftlich und technisch möglich sein.“ Das Konzept werde an den Anforderungen des ÖPNV gemessen – nicht an denen einer touristischen Attraktion.
Eine Fährverbindung von Bremen-Nord in die Innenstadt habe großes Potenzial, sofern sie eine tatsächlich Alternative zu Auto, Bus und Bahn sei, sagt auch Thore Schäck (FDP). Niemand werde eine Fähre nutzen, die mehr als anderthalb Stunden unterwegs ist. „Daher ist es jetzt entscheidend, dass umgehend eine Kosten-Nutzen-Analyse für die einzelnen Optionen stattfindet“, sagt Schäck, der sich Fähren mit einem nachhaltigen Antrieb wünscht. Sofern die Zwischenergebnisse bestätigt würden, sollte rasch „ein tragbares Konzept unter Einbeziehung der Fährunternehmen, dem VBN und der BSAG entwickelt werden“, fordert Leonidakis.