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Freiwilliges Soziales Jahr Interesse am Freiwilligendienst in Bremen schwindet

Das Interesse an einem Freiwilligen Sozialen Jahr ging im vergangenen Jahr deutlich zurück. Das berichten Träger, die zu Einsatzstellen vermitteln. Vier junge Leute erzählen, was ihnen das FSJ gebracht hat.
07.06.2023, 05:00 Uhr
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Interesse am Freiwilligendienst in Bremen schwindet
Von Lisa Duncan

Für alle, die nach dem Schulabschluss nicht wissen, was sie beruflich machen wollen, kann ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) sinnvoll sein. Das ist nur ein Aspekt des FSJ: Nicht ohne Grund stieß Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Debatte um eine soziale Pflichtzeit an, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Tatsächlich nehme das Interesse am FSJ aktuell ab, berichten der Soziale Friedensdienst (SFD) Bremen und die Diakonie Bremen, die beiden größten Träger für das FSJ in der Hansestadt.

Hinzu kommt, dass nur wenige Freiwillige danach eine Ausbildung in der Einsatzstelle anstreben: Bei der Diakonie trifft das auf etwa 30 von 100 Teilnehmern zu. Abhilfe gegen den Fachkräftemangel bietet das FSJ also kaum. Vier junge Leute haben ihren Freiwilligendienst bei der Diakonie Bremen fast beendet und erzählen, was ihnen der Einsatz gebracht hat.

15 Jugendliche leisten derzeit ihr FSJ im Diakoniekrankenhaus Bremen. Die 17-jährige Jennifer Gacenbiler ist eher untypisch: Wenn sie im Juli ihr FSJ am Diako beendet hat, beginnt sie dort am 1. August ihre Pflegeausbildung. Wie legt man Verbände an? Was passiert bei der Visite? Obgleich Gacenbiler als Freiwillige nur reine Hilfstätigkeiten übernehmen darf, hätten 39 Stunden wöchentliche Arbeitszeit auf Station ihr einen realistischen Einblick ins Berufsbild gegeben. "Die Menschen kommen krank zu uns. Wenn sie wieder nach Hause gehen, sieht man ihnen die Dankbarkeit an", schildert Gacenbiler. Pflege sei ein vielseitiger Beruf: "Es gibt einen geregelten Ablauf, aber jeder Tag ist anders."

Betreut werden die FSJler während ihres Freiwilligenjahrs von zwei Stellen: im Diako von Markus Janßen, Leiter des Bereichs Pflegeausbildung, bei der Diakonie von Ulrike Nachtwey als Fachbereichsleitung Freiwilligendienste. Die engmaschige Betreuung "soll sicherstellen, dass durch das FSJ keine Arbeitskräfte ersetzt werden", so Nachtwey. Fachkräftemangel in der Pflege sei ein Thema, daher begrüßt Markus Janßen, wenn sich FSJler für eine Ausbildung entscheiden – "vorausgesetzt, das Alter passt", sagt er. Mindestens 17 Jahre alt sollten Azubis ihm zufolge sein.

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Ulrike Nachtwey zufolge sind 2022 deutlich weniger FSJ-Bewerbungen eingegangen als ein Jahr zuvor. "Das ist für uns schon dramatisch", sagt sie. Früher betreute die Diakonie etwa 150 Freiwillige. Der aktuelle Jahrgang sei mit 105 Teilnehmern gestartet, inzwischen seien es noch 87. Nicht immer funktioniere es zwischen den Jugendlichen und der Einsatzstelle. "Wir merken, dass die Jugendlichen psychisch belastet sind. Das ist durch Corona mehr geworden", schildert Nachtwey. Manche schrecke die 39-Stunden-Woche ab. Doch ein FSJ in Teilzeit sei nur in begründeten Fällen möglich, etwa wegen Kindererziehung oder Angehörigenpflege. "Wir warten händeringend, dass sich das ändert."

Ähnliche Probleme hat der SFD: Als größter Träger in Bremen könnte er 250 Einsatzkräfte in 200 Einrichtungen vermitteln – theoretisch. "Wir legen viel Wert darauf, die jungen Leute gut zu betreuen", sagt Uwe Wrede, stellvertretender Leiter der Abteilung Jugendfreiwilligendienste beim SFD. Seit einem Jahr lasse die Anzahl der Bewerbungen deutlich nach, auch Abbrüche würden mehr – etwa zehn bis 20 Prozent. Als Gründe zieht Wrede die Nachwehen von Corona, mangelndes Selbstvertrauen oder Verunsicherung aufgrund der Hierarchien der Berufswelt in Betracht.

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Jana Bildhauer hat einen konkreten Plan: Seit der achten Klasse weiß die heute 21-Jährige, dass sie Medizin studieren will, bekam aber mit ihrem Notendurchschnitt von 1,5 im Abitur keinen Studienplatz. Nach einer Rettungssanitäter-Ausbildung bringt sie das FSJ näher ans Ziel: Ein dreimonatiges Praktikum, das für Medizinstudenten Pflicht ist, hat sie während des Freiwilligenjahrs im Diako geleistet. "Erst dachte ich, ein Jahr noch und dann endlich studieren. Aber jetzt merke ich, dass ich mich richtig weiterentwickelt habe, auch menschlich", schildert Bildhauer. "Das FSJ hat meinem Wunsch eine Richtung gegeben."

Inzwischen hat sie einen Studienplatz an der Medical School in Hamburg. Aus ähnlichen Gründen macht Max-Julius Weber sein FSJ im Diako. Die Zusage für den Studienplatz in Göttingen hatte er und ging dennoch ins Praxisjahr: "Wer nach der Schule sofort studieren geht, merkt vielleicht erst im Pflichtpraktikum, dass er den Patientenkontakt nicht mag", sagt der 18-Jährige.

Auch Emma Rocksin möchte studieren, allerdings nicht Medizin, sondern Soziale Arbeit. Die 19-Jährige kam über die Diakonie Bremen zum FSJ in der Bahnhofsmission, die allerdings nicht ausbildet. Emma Rocksin war schon früh klar, dass sie direkt für Menschen da sein möchte: "Hier kümmern wir uns um alle, die reinkommen." Das seien Personen in prekären Lebenslagen, aber auch Reisende, die Hilfe benötigten. Die junge Frau kennt inzwischen die wichtigsten Adressen – von Kleiderkammern über Essensangebote bis hin zu psychologischen Hilfsangeboten. "Wir kennen die Gäste schon relativ gut, führen auch Beratungsgespräche. Wir werden aber in nichts reingeworfen, was wir uns nicht zutrauen", betont sie.

Zur Sache

Fakten rund um das Freiwillige Soziale Jahr

Der Einsatz dauert zwölf bis 18 Monate. In dieser Zeit arbeitet ein FSJler 39 Stunden pro Woche in einer Einrichtung seiner Wahl. Freiwilligendienstler haben Anspruch auf 28 Tage Urlaub im Jahr. Für das FSJ gibt es 420 Euro, für das Freiwillige Ökologische Jahr 315 Euro Taschengeld. FSJ-Teilnehmer sind sozialversichert, erhalten mindestens 25 Seminartage von der Vermittlungsstelle und am Ende gibt es ein Zeugnis. Bewerben kann sich jeder, der sich sozial oder ökologisch engagieren möchte, einen Schulabschluss und Deutschkenntnisse mindestens auf dem Niveau B1 hat und zwischen 16 und 26 Jahren alt ist. Die Bewerbungsfristen sind unterschiedlich, der Beginn ist laut Ulrike Nachtwey inzwischen auch in einer Flex-Gruppe ab 1. Oktober noch möglich. Mehr Infos unter www.freiwilligendienste-bremen.de.

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