Kaum ist das schöne Wetter da und die Corona-Regeln sind aufgrund gesunkener Inzidenzwerte gelockert worden, da reklamieren Autoposer die Sielwall-Kreuzung mit getunten Fahrzeugen – viele aus dem Bremer Umland – wieder für sich. Die Bilder der letzten beiden Wochenenden erinnern an den Corona-Sommer 2020, als es beim sogenannten "Cornern" zu Massenaufläufen am Sielwall kam und die Abstands- und Maskenpflicht ignoriert wurde.
Die derzeitige Situation wird nicht nur von Anwohnern, sondern auch von den Wirten als unerträglich empfunden, das unterstrichen sie auf einer virtuellen Sitzung des Beirates Mitte und des gemeinsamen Fachausschusses Handel und Gewerbe der Beiräte Mitte und Östliche Vorstadt. "Es kann ja nicht sein, dass wir uns als Kneipiers alle brav an die Hygiene-Regeln halten und unsere Gäste um 23 Uhr vor die Tür setzen, während draußen am Sielwall die Hölle los ist", sagte Jan Strauß (Linke), der selbst im "Eisen" arbeitet.
Die Polizei will am bevorstehenden Wochenende mit einem verstärkten Einsatz von Kräften reagieren, um die Situation in den Griff zu bekommen. Thorsten Lieder von der Bremer Gastro-Gemeinschaft appellierte indes an den Senat, mit Blick auf die Fußball-EM, die Sperrstunde um 23 Uhr zu kippen. Sein Argument: In und vor den Kneipen sei die Situation von den Gastronomen weit besser zu kontrollieren. Karin Take von der Wirtschaftsförderung unterstrich, dies sei ein Weg, um Exzesse zu verhindern. Konsens bestand schließlich darin, "dass die Gastronomen nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sind", wie Steffen Eilers (Grüne), Sprecher des Beirates Östliche Vorstadt, unterstrich.
Das räumte auch Daniel Fries als Anwohner des Sielwalls ein. Zuvor hatte er kritisch angemerkt, dass ein Teil der Gastronomen über Jahre hinweg die Situation mit befördert hätten. Er zeigte sich genauso wie Jonas Friedrich (Grüne) genervt von lauten Hupkonzerten nachts um halb zwei. Daniel Fries schilderte die Situation im Viertel: Kinder könnten nur noch in den von der Straße abgewandten Häuserseiten schlafen, Fensterscheiben würden mit Farbe beschmiert und gingen zu Bruch. Die Betrunkenen nutzen seiner Schilderung nach die Vorgärten als Toilette. Und vieles werde nicht geahndet, so sein Eindruck.
Deutliche Worte zu den Szenen am Sielwall fand auch die Leiterin des Ortsamtes Mitte/Östliche Vorstadt, Hellena Harttung. Genauso wie Florian Kommer, Geschäftsführer der Grundstücksentwicklungsgesellschaft Klinikum Bremen-Mitte: "Das sind beunruhigende Bilder, die nicht tragbar sind".
Sperrung an den Wochenenden
Der Lokalpolitiker Jonas Friedrich warf die Frage auf, weshalb der Beschluss zur Sperrung des Sielwalls an den Wochenend-Abenden, den die Beiräte Mitte und Östliche Vorstadt bereits im letzten Sommer gefasst hätten, nicht schon längst umgesetzt worden sei. Er richtete einen Appell auch an die grüne Mobilitätssenatorin Maike Schaefer, die nun das Amt für Straßen und Verkehr angewiesen hat, die Sperrung so schnell wie möglich umzusetzen. Dass dies erst am ersten Juli-Wochenende der Fall sein wird und nicht schneller geht, stieß etwa bei Ulf Sommerfeld, Geschäftsführer der "Wohnzimmer" und "Betreutes Trinken" GmbH im Viertel auf Unverständnis.
Stefan Schafheitlin von der Bürgerinitiative Leben im Viertel (LIV) drängte darauf, die Situation am Sielwall zur Chefsache zu machen und eine eigene Beiratssitzung dafür anzuberaumen. Hellena Harttung hatte allerdings schon Vertreter des Ordnungsamtes und des Innenressorts zur Fachausschuss-Sitzung "Handel und Gewerbe" eingeladen.
"Kippen des Stadtteils"
Anwohner Daniel Fries: "Meine Nachbarschaft und ich, wir beobachten gerade das Kippen eines ganzen Stadtteils. Das ist ein großes Gesprächsthema hier im Viertel". Der Ton sei in den letzten Jahren aggressiver und rücksichtsloser geworden. Es gelte, dem Partyvolk zu vermitteln, dass das Viertel kein rechtsfreier Raum sei, so Fries. Er zeigte sich auch genervt von der Tatsache, dass Drogendealer inzwischen bereits am Vormittag am Sielwall-Eck präsent seien.
Der Familienvater brachte zum wiederholten Mal die Einrichtung eines Stadtteilmanagements ins Spiel. Die Polizei hat angekündigt, am nächsten Wochenende konsequent das Verbot von Alkohol-Verkauf außer Haus und –Konsum im öffentlichen Raum zu ahnden. Was Norbert Caesar, Vorsitzender der Interessengemeinschaft "Das Viertel" dazu veranlasste zu fragen, weshalb es nicht möglich sei, den US-amerikanischen Weg einzuschlagen und den Konsum von Alkohol nur noch in gastronomischen Betrieben zu erlauben.