Fast sechs Jahre ist es her, dass sich Werder-Ultras nach dem Bundesliga-Spiel gegen Mainz 05 vor der „Schänke“ im Bremer Viertel zusammenrotteten – am Donnerstag hat vor dem Landgericht der Prozess gegen vier angeblich Beteiligte begonnen. Ein besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs wird ihnen vorgeworfen.
Es ist der 16. Dezember 2017 gegen 18.20 Uhr, als sich laut Anklage rund 120 Personen, die zu den Bremer Ultras gehören, auf Höhe eines Einkaufsmarktes in Sichtweite der „Schänke“ (Vor dem Steintor) bewaffnen. Sie schnappen sich Mülltonnen, Werbeschilder, einen „Fußgängerleitpfahl“, wie er amtlich heißt, einen Heizpilz, Tische und Stühle. All dies werfen sie gegen das Lokal, weil sie darin eine Gruppe von Nazis oder Hooligans vermuten. Nach der Wurfattacke – sämtliche Scheiben gehen dabei zu Bruch – ziehen sich die Ultras Richtung Sielwallkreuzung zurück und warten ab. Lange müssen sie dass nicht, denn etwa 30 mutmaßliche Gegner stürmen aus der „Schänke“ vor das Lokal. Die Ultras sollen danach erneut diverse Gegenstände wie Glasflaschen und eine Leiter auf die angeblichen Nazis geworfen oder sie damit geschlagen haben.

Die Schänke im Bremer Viertel.
Was dann folgt, nennt die Staatsanwältin bei ihrer Anklageverlesung eine „wechselnde Dynamik“ zwischen den Gruppierungen. Die Gegenstände werden zwischen den Gruppen hin und her geworfen. Schließlich bewegen sich die Ultras in Richtung Sielwall, ein Teil der Gruppe aus der „Schänke“ setzt ihnen noch einmal nach. Die Bilanz: Eine am Kopf verletzte Zeugin, die sich in ärztliche Behandlung begibt, weitere Verletzte, die auf eine Behandlung verzichten, rund 1.300 Euro Sachschaden an Geschäften und einem Fahrzeug.
Handy-Sequenzen zeigen Szenerie
„Heute vor 29 Jahren“, sagt einer der Angeklagten auf die Frage der Vorsitzenden, wann er geboren sei. Mit seiner Antwort führt er den Anwesenden noch einmal vor Augen, wie lange der Vorfall zurückliegt. Zum Tatzeitpunkt waren alle Angeklagten Anfang 20. Warum es so lange dauerte, bis dieser Prozess eröffnet wurde? Einer der Beschuldigten war ein Jahr im Ausland, was die Ermittlungen verzögerte, es kam Corona, und nun, wenn die Rückstände beim Landgericht aufgearbeitet werden, haben Haftsachen Priorität.
Die Richterinnen der Strafkammer 2 haben die undankbare Aufgabe, Licht ins Dunkel zu bringen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nach der Anklageverlesung werden mehrere Handy-Sequenzen abgespielt, die die Szenerie zeigen sollen: Dunkel gekleidete Menschen werfen in der Dunkelheit Gegenstände. Man hört klirrendes Glas und den Aufprall von Metall auf dem Asphalt. Eine Gruppe weicht zurück, die andere setzt nach. Und als sich die Menschen Richtung Sielwallkreuzung entfernt haben, laufen acht behelmte Polizeibeamte hinterher.
Die unübersichtliche Situation, die wegen Kapuzen und teilweise Schals unkenntlichen Beteiligten, der weit zurückliegende Tatzeitpunkt – die Aufklärung dürfte schwierig werden. Zumal laut Anklage die vier Männer sich am Geschehen in ganz unterschiedlicher Weise beteiligten: Zwei waren demnach in der vorderen Reihe präsent, einer warf Gegenstände, der andere ließ einen aufgenommenen Stuhl wieder fallen. Einer machte auffordernde Gesten, der andere sorgte dafür, dass die Ultra-Gruppe sich nicht auflöste („Kommt zurück!“). Alle vier Männer, so jedenfalls die Anklage, hätten durch ihre Anwesenheit die jederzeitige Eingriffsbereitschaft signalisiert. Das muss die Staatsanwaltschaft so sehen, damit die Angeklagten wegen Landfriedensbruchs verurteilt werden können.
Acht weitere Verhandlungstage angesetzt
Schwierig dürfte es bei einem der Angeklagten werden, der laut Anklage mit einer Kapuze über dem Kopf zwar „in einer der vordersten Reihen“ stand, aber lediglich an einem Straßenschild lehnte und seinen Oberkörper hin und her bewegte. Er habe eine „angespannte Körperhaltung“ gehabt, heißt es in der Anklage, und habe sich dann, als es zu den Übergriffen kam, entfernt. Aus Anwesenheit, Verweilen und „Maskierung“ des Mannes schließt die Staatsanwaltschaft auf einen zuvor gemeinsam gefassten Tatplan und eben seine jederzeitige Eingriffsbereitschaft. Daher sitzt er nun ebenfalls auf der Anklagebank.
Für das Verfahren sind zunächst acht weitere Verhandlungstage angesetzt, die möglicherweise aber nicht alle benötigt werden. Direkt nach dem ersten Verhandlungstermin am Donnerstag fanden noch im Schwurgerichtssaal Verständigungsgespräche von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigern statt. Nächster Verhandlungstag ist der 20. April.