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Publikumsmagnet Forum in Groningen „So etwas fehlt in Bremen“

Wie bringt man die Menschen dazu, ins Stadtzentrum zu kommen und dort zu verweilen? Das fragt man sich schon länger in Bremen. In Groningen findet man eine Antwort. Ein Besuch im Forum am Nieuwe Markt.
29.11.2021, 21:26 Uhr
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„So etwas fehlt in Bremen“
Von Marc Hagedorn

Maurice hat den besten Arbeitsplatz in der ganzen Stadt. Achte Etage, bodentiefe Fensterfront. Der Student hat es sich auf einem Stuhl bequem gemacht. Auf seinem Schoß ruht ein Laptop, und wenn Maurice vom Bildschirm aufschaut, kann er über die Dächer Groningens blicken.

Maurice Jager schreibt an seiner Bachelorarbeit. Es ist eine Möglichkeit, seinen Tag im Forum in Groningen zu verbringen. 2,8 Millionen Besucher waren seit der Eröffnung im November 2019 hier, und das, obwohl das Gebäude wegen Corona zwischenzeitlich neun Monate lang komplett geschlossen war. „Das Forum ist ein Anziehungspunkt für die Menschen“, sagt Pernille Claessen, die sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Hauses kümmert.

 „Ich komme jeden Tag hierher“, sagt Maurice Jager. Er hat ein schönes Zimmer in der Stadt, 20 Quadratmeter groß. Bett, Fernseher, Playstation, alles da. Aber auch sein Problem. „Viele Möglichkeiten, um sich ablenken zu lassen“, sagt er und lacht, „aus geplanten zehn Minuten Pause werden dann schnell zwei Stunden.“ Also hat er vor einem halben Jahr seinen Arbeitsplatz ins Forum verlegt. Er kommt jeden Morgen kurz nach der Öffnung um 9 Uhr, spätestens um 9.30 Uhr, sonst sind alle Arbeitsplätze belegt. Wie Maurice machen es Hunderte. Sie kommen zum Lernen ins Forum.

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Jung und alt, Studenten und Rentner, Familien mit Kindern und Singles, Touristen und Einheimische – sie besuchen im Forum Ausstellungen, leihen sich Bücher aus, trinken einen Kaffee oder lesen Zeitung. Das Forum wirkt wie ein Shopping-Center, aber es ist ein Center, in dem es nichts zu shoppen gibt. Wer nicht will, muss kein Geld ausgeben, sondern darf hier einfach nur verweilen.

Das Forum. Sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr geöffnet. Platz für 1250 Fahrräder gibt es und für 385 Autos auf vier Etagen in der Tiefgarage. Einen „urbanen Kulturraum“ nennen die Planer das Forum. Es ist eine öffentliche Bibliothek mit 92.000 Büchern, ein Kino mit fünf Sälen, ein Museum auf 17.000 Quadratmetern. Und gleichzeitig ist es keine Bibliothek, kein Kino und kein Museum, wie man es sich klassischerweise vorstellt. Das Forum ist zehn Stockwerke und 45 Meter hoch, frei zugänglich und mitten im Zentrum von Groningen gelegen. Ein architektonischer Hingucker.

Als „überdimensionalen Findling“ und „freundlichen Riesen“ hat ihn ein Fachmagazin einmal bezeichnet. Viel Luft, viel Licht. Ganz unten ein riesiges Atrium, überall und kreuz und quer Rolltreppen, die die Stockwerke miteinander verbinden. Allein wegen der Architektur, sagt Pernille Claessen, kämen täglich Tausende Besucher.

Hank Buunk hält sich im Wonderland auf, so heißt hier die Kinderbuchabteilung der Bibliothek im ersten Stock. Aber was heißt schon Bibliothek? „Das fühlt sich ganz anders an“, sagt Buunk. „Freundlich, hell und großzügig“ findet Buunk die Räume. „Man fühlt sich nicht gezwungen, ein Buch auszuleihen oder zu lesen“, sagt sie, „man kann hier auch einfach relaxen, plaudern, Zeit miteinander verbringen.“

Buunk ist mit ihrer Freundin Rahwa hier, einer Ärztin aus Äthiopien. Buunk kümmert sich um die junge Frau und deren Tochter, die umherkrabbelt, aber auch mit Bauklötzen spielen könnte. „Sie macht hier ihre ersten Begegnungen mit Büchern“, sagt Buunk. Ein paar ältere Kinder sitzen am Computer, einige leihen sich auch Bücher aus. Buunk kommt regelmäßig hierher. Gerne fährt sie auch nach Deutschland. In Bremen sei sie schon viele Male gewesen, „eine liebenswerte Stadt“, sagt sie, „aber so etwas wie das Forum fehlt in Bremen.“

Das hat inzwischen auch die Bremer Politik gemerkt. Seit vielen Monaten bemühen sich die Verantwortlichen, das Zentrum ihrer Stadt zu beleben. Transformartini, Open Space, Pop-Up-Läden, viel wird versucht und ist versucht worden. Einen Ort wie das Forum in Groningen gibt es in Bremen aber tatsächlich nicht.

Vielleicht kann am Brill, im ehemaligen Sparkassengebäude, so etwas Ähnliches entstehen. 10.000 Studierende und Universitätsangestellte will man an den Standort bringen. Das klinge interessant, sagt Buunk, als sie davon hört, „Bremen und Groningen sind sich nicht unähnlich“, findet sie. Liberal und offen, dazu Studentenstadt. In Groningen ist jeder vierte der 210.000 Einwohner an einer Hochschule eingeschrieben. In Bremen sind es knapp 40.000.

Im Forum sind jeden Tag Hunderte Studenten. Sie verteilen sich in der Bibliothek, deren Abteilungen sich über mehrere Etagen erstrecken. Oder sie lümmeln sich auf den Stufen des Atriums vor dem großen Bildschirm, der Nachrichten, Werbung und kleine Filmeinspieler zeigt. Manchmal übertragen sie hier auch Fußballspiele oder Formel-1-Rennen. Wer eine Pause braucht, geht in eines der Cafés oder nach ganz oben in die Bar auf dem „Roof top“, aufs Dach.

Hier genießen an diesem Tag auch Nynke Veenstra und ihre Mutter Yta Schotanus den 360-Grad-Blick auf ihre Heimatstadt. Sie wohnen etwas außerhalb von Groningen, sind mit dem Rad gekommen und haben sich am Forum verabredet, um den Tag gemeinsam zu verbringen. „Das ist für viele Groninger inzwischen ein fester Treffpunkt“, sagt Schotanus, die oft und gern hierher kommt, um die Stadt zu überblicken.

Dabei kann man in der Nähe viel entdecken. Die Martinikirche im Nordwesten, den Grote Markt im Westen, im Südwesten das Lokal De Drie Gezusters, das jeder Student und jeder Tourist kennt, und direkt am Forum der Nieuwe Markt, der neue Markt mit einem Plaza, der so auch in Italien liegen könnte.

Jahrzehntelang sei dieser Flecken östlich des Großen Marktes eine „Dead End Zone“ gewesen, wie Forumsfrau Pernille Claessen es ausdrückt, eine „Sackgasse“, und das sei noch freundlich formuliert. Dunkel, etwas abgerockt, ein paar Billigläden, wenig Laufpublikum, dafür ein Klotz von Parkhaus, so sah das hier seit dem Zweiten Weltkrieg lange aus.

Inzwischen ist hier jeden Tag Leben. Von morgens bis abends. Als Erstes kommen die Studenten und Museumsbesucher, sie bleiben den ganzen Tag über im Forum, ehe ab Nachmittag und bis zum späten Abend die Kinogänger eintreffen. Verabreden und Verweilen, Lesen und Lernen, Schauen und Schnacken. „Die Kombination aus diesen Faktoren ist das Erfolgsrezept des Forums“, sagt Pernille Claessen.

Vor allem die Ausstellungen, die sie hier seit der Eröffnung gezeigt haben, waren Publikumsmagneten. Es ging um populäre Kunst, Technik oder Wissenschaft. Wallace und Gromit und Shawn, das Schaf. Künstliche Intelligenz und Animationen. Aktuell läuft eine Schau über die Entwicklung von Videospielen vom Computer Space von 1971 über Commodore 64 bis Street Fighter 4 und Playstation 5.

An dem ausgestellten Spielautomaten mit dem kurvigen Gehäuse aus Fiberglas kommen auch der Mann und die Frau im Foyer nicht vorbei, die mit ihren zwei Kindern durch das Forum schlendern. Der Nachwuchs ist neugierig geworden, und auch der Vater scheint Lust zu haben. Man diskutiert kurz, offenbar Besucher aus Deutschland. Dann steht die Entscheidung fest. Die Familie kauft kurzentschlossen Karten für die Ausstellung.

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