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Amerika-Ausstellung des Übersee-Museums Roland unter Palmen

60 000 Menschen leben in Rolandia im brasilianischen Staat Parana. Man spricht Deutsch, und in der Stadt steht eine Kopie des Bremer Rolands. Etwas kleiner als das Original, dafür unter Palmen.
19.08.2015, 00:00 Uhr
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Von Sigrid Schuer

„Die Gedanken sind frei“: Dieses deutsche Volkslied wird akzentfrei von älteren Damen im Gemeindehaus der Kirche von Rolandia geschmettert. Man spricht Deutsch, das gilt immer noch in der im brasilianischen Staat Parana gelegenen Stadt. Das erlebte Hartmut Roder, Leiter der Handelskunde-Abteilung im Übersee-Museum, jüngst bei seinem Besuch in Rolandia. Im Herzen der 60 000-Einwohner-Stadt steht von Palmen umgeben eine Kopie des Bremer Rolands, die allerdings kleiner als das Original ist.

Die bremische Kaufmannschaft hatte 1957 die Herstellung der Roland-Kopie gesponsert, die von einem großen Bremer Steinmetzbetrieb ausgeführt wurde. Die Kaufleute wollten damit die Handelsbeziehungen zwischen der Hansestadt und Rolandia würdigen. „Die Beziehungen waren damals sehr eng“, erzählt Hartmut Roder. Der promovierte Historiker bereiste Südamerika, um gemeinsam mit dem Journalisten und Buchautoren Carl D. Goerdeler, früher Korrespondent für den WESER-KURIER, „Die Zeit“ und die „Frankfurter Rundschau“, neun Kurz-Filme für die neue Amerika-Ausstellung zu drehen, die im nächsten Jahr im Übersee-Museum eröffnet wird.

Dabei stand für die beiden das Motto des venezianischen Dichters Carlo Goldoni im Fokus: „Meine Helden sind Menschen!“ So trafen sie in Rio de Janeiro den Franziskaner Leonardo Boff, eine der legendären Galionsfiguren der Befreiungstheologie. Sie trafen aber auch Adrian von Treuenfels, den deutschen Honorarkonsul von Parana in Rolandia. Der 1953 geborene Diplomat wurde jüngst mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. „Gern würde er die Städtepartnerschaft zwischen Bremen und Rolandia wieder neu beleben. Die Beziehungen hatten ihren Höhepunkt 2009 anlässlich des 75. Jahrestages der Gründung der brasilianischen Stadt. Die deutschstämmigen Brasilianer sind Bremen in Gedanken immer noch intensiv verbunden“, erzählt Hartmut Roder. Fünf Prozent der Bevölkerung sind deutschstämmig. Rolandia entstand in den frühen 1930er-Jahren aus einer Ansiedlung deutscher Emigranten. Zu ihnen gehörte auch der aus Bremerhaven stammende Erich Koch-Weser.

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Der ehemalige Oberbürgermeister von Delmenhorst und Kassel war in der Weimarer Republik Reichsminister der Justiz und des Inneren und musste vor den Nationalsozialisten nach Südamerika fliehen, nachdem gegen den Anwalt ein Berufsverbot verhängt worden war. Sein in Rolandia geborener Sohn Cajo Koch-Weser war übrigens Staatssekretär im Kabinett von Gerhard Schröder und später Berater der Deutschen Bank in London. 1932 gründete der Tropenlandwirt Oswald Nixdorf das Settlement Rolandia. 1934 gründete er dann gemeinsam mit Erich Koch-Weser die gleichnamige Stadt als Hommage an Bremen. „130 Familien emigrierten bis 1938 nach Rolandia. Die 300 bis 400 Emigranten entwaldeten unter enormen physischen Strapazen den Dschungel, um unter spartanischen Bedingungen auf dem fruchtbaren Lehmboden ihrer diversen, großformatigen Facendas Kaffee anzubauen und zu exportieren“, erzählt Roder.

Noch heute gibt es einen deutschen Friedhof in Rolandia, auf dem auch der gebürtige Bremerhavener Erich Koch-Weser begraben liegt. Unter den deutschen Einwohnern ist auch die ursprünglich aus Hamburg stammende Familie Steidle, die die nach einem Werk des Dichters Heinrich Heine benannte Facenda „Bimini“ gründete, die heute neben dem Kaffeeanbau unter anderem zu einer Ökologie-Station für Schüler umfunktioniert wurde. Die Facendas existieren bis heute. Es wird aufgrund der kälteren klimatischen Bedingungen allerdings nicht mehr Kaffee, sondern Mais für die Ethanol-Produktion und Soja für die Schweinemast angebaut. „Rolandia ist eine prosperierende Stadt, in der es keine Favelas gibt. Immerhin ist Brasilien, das auch Austragungsort der Olympischen Spiele 2016 sein wird, der größte Lebensmittel-Exporteur der Welt“, berichtet Roder.

Goerdeler und Roder reisten weiter nach Rio de Janeiro, dort trafen sie den Vorsitzenden der deutsch-brasilianischen, katholischen Gemeinde Jürgen Wischermann und eben auch Leonardo Boff, die italienischstämmige, mittlerweile 76-jährige Ikone der Befreiungstheologie. „Boff spricht gut Deutsch, da er einst bei Karl Rahner in München promoviert hat“, erzählt Roder. Er war von diesen Persönlichkeiten genauso beeindruckt wie von der tiefen Spiritualität der Brasilianer generell. Papst Francesco hat erkannt, dass es ein schwerer Fehler der etablierten katholischen Kirche gewesen ist, die Befreiungstheologie abzulehnen und sich nicht um die Hälfte der Bevölkerung zu kümmern, die in Armut lebt. Die Folge: Die Brasilianer liefen in Scharen zu den Freikirchen über. „In den 1970er- und 1980er-Jahren bauten amerikanische Missionare Großkirchen“, erzählt Hartmut Roder. Er fing mit Carl D. Goerdeler in den riesigen Pfingstlertempeln die geradezu ekstatische Atmosphäre ein. Der selbst ernannte Bischof und Milliardär Edir Macedo leitet das Religionsunternehmen Igreza Universal do Reino (IURD), die Universalkirche des Reiches Gottes, die er 1977 ins Leben rief.

Die weltweit acht Millionen Mitglieder der fundamentalistischen Universalkirche müssen zehn Pozent ihres Einkommens an den umstrittenen Parteiengründer und Inhaber eines Fernsehsenders abgeben. Das Credo der schillernden Persönlichkeit: „Jedes finanzielle Opfer wird der Herr belohnen, genauso wie er es bei mir getan hat“. Dass Papst Francesco sich konsequent den Armen zuwendet und nicht müde wird, die Elite der katholischen Würdenträger in Rom auf seine „Kirche der Armen“ einzuschwören, könnte allerdings ein Silberstreif am Horizont für die Kirche bedeuten. „Leonardo Boff ist jedenfalls davon überzeugt, dass es Franziskus gelingen wird, nicht nur die katholische Kirche, sondern auch die Welt ein Stück weit zu verändern. Boff glaubt an eine Renaissance der Befreiungstheologie, die von den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt als Marxismus gebrandmarkt wurde “, so Roder.

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