Der Rotorblatthersteller Carbon Rotec geht in die vorläufige Insolvenz. Das haben die Mitarbeiter des Unternehmens am Donnerstagnachmittag in einer gut zweistündigen Betriebsversammlung erfahren. 13 Uhr in der voll besetzten Halle 10: Verfahrensmechaniker, Bootsbauer, Maler, Lackierer, Büroangestellte. Sie alle haben sich eingefunden, um zu erfahren, wie es mit ihrem Betrieb weitergehen wird. Die Mitarbeiter der Nachtschicht haben eigens die Nacht zuvor freibekommen, damit sie zur Mittagszeit dabei sein können.
Auch ein Vertreter des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums, Mitarbeiter der Arbeitsämter Bremen, Bremerhaven, Oldenburg und Delmenhorst sowie der Geschäftsführer der IG Metall Wesermarsch, Martin Schindler, sind gekommen. Am Ende seien sie alle nicht viel schlauer gewesen als vor der Versammlung, sagt Mitarbeiter Peter Kröger (Name geändert). „In der kommenden Woche soll die vorläufige Insolvenz beim Amtsgericht Brake eingereicht werden“, nennt der Maler und Lackierer die Kernaussage der Betriebsversammlung. Wie es konkret weitergeht, weiß er immer noch nicht. „Eigentlich stehen wir genauso da wie vorher. Wir hatten gehofft, dass wir erfahren, wem wann gekündigt wird“, sagt der langjährige Mitarbeiter ernüchtert.
Bis zum Jahresende Gehalt
Einen kleinen Lichtblick hat die Versammlung für Peter Kröger aber doch gebracht. „Wir wissen jetzt, dass wir bis zum Jahresende unser Gehalt kriegen und dazu noch Weihnachtsgeld.“ Ferner habe der Betriebsrat versprochen, mit der Geschäftsführung darüber zu verhandeln, dass alle Mitarbeiter eine Abfindung erhalten. Während Oliver Bialowons im Unternehmen neu die Geschäfte führt, geht die Suche nach einem Investor weiter. Das niedersächsische Wirtschaftsministerium hat Unterstützung zugesagt. Ein Mitarbeiter von Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) betonte, dass Niedersachsen den Standort halten wolle. Für die Kollegen, die das Unternehmen verlassen müssen, will Carbon Rotec der Agentur für Arbeit drei Büros auf dem Gelände zur Verfügung stellen, hieß es in der Betriebsversammlung. Auf diese Weise sollten die Wege zu einer neuen Anstellung verkürzt werden.
„Alle Beteiligten – die neue Geschäftsführung, der Betriebsrat und die Gewerkschaft – setzen sich dafür ein, ein neues, zukunftsfähiges Unternehmenskonzept zu erarbeiten, damit der Carbon-Rotec-Standort Lemwerder mit möglichst vielen Arbeitsplätzen erhalten bleibt“, sagt Martin Schindler, Geschäftsführer der IG Metall Wesermarsch. Die Inhalte der Betriebsversammlung will er nicht kommentieren. „Wegen der noch laufenden Gespräche möchte ich dazu keine Aussage treffen“, sagt Schindler.
Mit Bedauern und Kritik an der Geschäftsführung hat die Politik in Lemwerder auf die Krise bei Carbon Rotec reagiert. „Ich fühle mit jedem, der seinen Arbeitsplatz verliert und hoffe, dass jeder einzelne schnell eine neue Stelle findet“, hatte Wolf Rosenhagen (CDU) bereits zu dem Zeitpunkt betont, als lediglich der angekündigte Abbau von 320 der insgesamt 460 Arbeitsplätze bekannt war. Die SPD äußerte sich ähnlich. Erst später hatte sich die Nachricht verbreitet, dass Carbon Rotec zahlungsunfähig ist und eine Schließung des Werks droht, falls sich während der vorläufigen Insolvenzverwaltung keine Sanierungsperspektive ergibt.
Ihr Mitgefühl und ihre Hochachtung gelte den Beschäftigten, die angesichts des absehbaren Arbeitsplatzverlustes noch die Motivation aufbrächten, ihre Verträge bis zum Jahresende zu erfüllen, sagt Bürgermeisterin Regina Neuke. Der Arbeitsplatzverlust sei in erster Linie schlimm für die betroffenen Beschäftigten. Zugleich sieht sie sich bestätigt, wie wichtig es ist, die Gemeinde als Wirtschaftsstandort breit aufzustellen und Alternativen anbieten zu können.
An Massenentlassung 1994 erinnert
Der Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion, Meinrad-M. Rohde, fühlt sich an die Massenentlassungen 1994 beim Flugzeugbauer Dasa erinnert, aus dem der ASL-Betrieb mit halbierter Mitarbeiterzahl hervorging. Ging es damals stets um die strategische Neuausrichtung eines Großkonzerns, ist für den Arbeitsplatzverlust bei Carbon Rotec nach Ansicht Rohdes vor allem die Politik verantwortlich. „Hier muss ein privates Unternehmen Arbeitsplätze streichen, weil eine ganze Branche unter falschen politischen Entscheidungen ins Stocken geraten ist.“ Der jetzige Arbeitsplatzabbau unterstreiche, „dass wir sehr schnell das ehemalige Flughafengelände erschließen müssen, um Unternehmen und damit neue Arbeitsplätze nach Lemwerder zu bekommen.“
Kritisch bewertet Lemwerders Politik das Verhalten von William Tang, der die Geschäfte von Carbon Rotec seit der Übernahme durch einen chinesischen Investor Anfang 2014 führt und das Unternehmen Mitte 2016 kaufte (Management-Buy-out). Bedauerlich findet Harald Schöne (FDP), dass Tang sich seit Wochen nicht öffentlich zur Situation bei Carbon Rotec äußert.
Wolf Rosenhagen von der CDU kritisiert in diesem Zusammenhang, dass ein im Sommer bereits ausgehandelter Interessenausgleich und Sozialplan von der Geschäftsführung wieder verworfen wurde. „Und jetzt kommt es Knall auf Fall. Das ist kein ordentlicher Umgang mit Mitarbeitern.“ Nach Einschätzung Rosenhagens tragen Unternehmen, die sich wie Carbon Rotec verhalten, zum allgemeinen Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung bei. Einen Zusammenhang zwischen der Krise bei Carbon Rotec und der Deckelung der Ausbauziele für Windkraft durch die Politik sieht er im Gegensatz zu Rohde nicht.
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