Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Rolf Becker beurteilt die neue Inszenierung und spricht über seine Zeit bei Hübner Rückkehr nach Mahagonny

Rolf Becker ist Bremen verbunden, seit er in der Ära Hübner von 1966 bis 1969 Oberspielleiter der Oper war. Jetzt war der bekannte Film- und Theater-Schauspieler im Rangfoyer des Theaters am Goetheplatz mit einer szenischen Lesung über die Geschichte des Geldes zu Gast.
14.02.2013, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Sigrid Schuer

Rolf Becker ist Bremen verbunden, seit er in der Ära Hübner von 1966 bis 1969 Oberspielleiter der Oper war. Jetzt war der bekannte Film- und Theater-Schauspieler im Rangfoyer des Theaters am Goetheplatz mit einer szenischen Lesung über die Geschichte des Geldes zu Gast.

Ostertor. "Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank ?" Klar, dass Rolf Becker jüngst seinen Vortragsabend im bis auf den letzten Platz besetzten Rangfoyer des Theaters am Goetheplatz mit seinem Lieblingsdichter Bert Brecht begann. Udo Siemers, selbst Banker und Vorsitzender des Internationalen Kulturforums Theater Bremen, der den Schauspieler eingeladen hatte, nahm’s gelassen. Und mit dem Zitat aus Brecht/Weills "Dreigroschenoper" war Becker gleich mitten drin im Thema.

",Denn wie man sich bettet, so liegt man’ – über Brechts Mahagonny, die Deutsche Bank, Europa und Griechenland" war der Titel der szenischen Lesung. Becker nahm das gebannt lauschende Publikum mit auf eine rund dreistündige Reise durch die Geschichte des Geldes – von Sophokles, Aristoteles, Aristophanes und Cicero über die Bibel, "Das Kapital" von Karl Marx und "Die Ermittlung" von Peter Weiss bis hin zu Elfriede Jelinek und zu Volkswirtschaftsprofessor und Turbokapitalismuskritiker Hans Christoph Binswanger. Rosa Luxemburg und Kurt Tucholsky beschrieben die Verelendung der Menschen durch ökonomische Krisen und Massenarbeitslosigkeit. Genauso wie Bert Brecht in "Die Heilige Johanna der Schlachthöfe". Und das klingt, als wäre es ein Stück von heute, berichtet aus dem ins Bodenlose stürzenden Griechenland. Erkenntnis des Abends: Im Grunde hat sich nichts geändert.

Rolf Becker ist einer der letzten Repräsentanten der großen Schauspielkunst, er liest seine Texte nicht, er lebt sie. So tobte und winselte er als Molières "Der Geizige", der sein Geld verloren hat. Welche brandaktuelle Sprengkraft die Kernaussagen der Opernrevue "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny", die Brecht und Weill 1929 in der Weltwirtschaftskrise schrieben, heute noch haben, bewies Becker, als er mit Brecht den "Kampf aller gegen alle", ausrief. Eine Analyse ökonomischer Krisen, die schon Marx in "Das Kapital" beschrieb. Fesselnd, wie der bekennende Linke mit donnernder Stimme Parallelen zog zum Untergang Babylons und der Netzestadt Mahagonny, in der man alles kaufen kann und in der es eine Todsünde ist, nicht bezahlen zu können. "Wenn einer tritt, dann bin ich es, und wenn einer getreten wird, bist du’s", die realistische Brutalität, die in Brechts Texten steckt, vermag Rolf Becker immer wieder aufs Neue zu faszinieren.

"Wunderbare Aufführung"

1935, fünf Jahre nach der Uraufführung von "Mahagonny" wurde Rolf Becker in Leipzig geboren. Er machte 1955 am Alten Gymnasium in Bremen das Abitur.Er inszenierte "Mahagonny" selbst in der Zeit, als Kurt Hübner ihn zum Oberspielleiter der Oper berufen hatte. Am 7. September 1968 war Premiere. "Wir hatten damals einen Teil der Produktionskosten darauf verwendet, das Portal mit Blattgold zu verzieren", erinnert er sich. "Die ,Mahagonny’-Inszenierung von Benedikt von Peter, die jetzt am Theater am Goetheplatz läuft, ist eine Klasse besser als unsere. Eine wunderbare Aufführung, die einen Stellenwert in der Geschichte des europäischen Theaters hat. Mit welcher Leichtigkeit und Direktheit das Publikum aus seinen Sesseln geholt wird, das ist ein Durchbruch auf dem Gebiet der Oper", schwärmte er.

Und doch gab es so manche an diesem Abend, die Beckers Interpretation viel schärfer fanden. Dieser Meinung ist beispielsweise die pensionierte Geschichtslehrerin Annemarie Hildebrandt aus Schwachhausen, die ihn lange und gut kennt. Gemessen an der doch eher gemäßigten Revolution, die unter dem neuen Intendanten Michael Börgerding am Theater Bremen entfacht werde, sei der kritische und basisdemokratische Ansatz, den Becker als Oberspielleiter der Oper von 1966 bis 1969 vorlebte, wesentlich radikaler.

"Wir wollten eine andere Theaterform, eine stärkere Einbindung des Publikums. Die Verwaltungskosten sollten drastisch reduziert werden und das Publikum sollte lediglich eine Schutzgebühr statt Eintritt bezahlen", sagt Becker. "Das war natürlich eine totale Illusion." Bei der Inszenierung von Aristophanes’ "Frauenvollversammlung" kam es zum Eklat. Becker teilte den Zuschauern mit: "Wir brechen hier ab, den Rest des Stückes können Sie in den Reclam-Heftchen nachlesen, die wir ausgelegt haben."Das Publikum, das auf der Bühne saß, sei fassungslos gewesen, als der Vorhang fiel, "und wir forderten: ,Trennen Sie sich von dieser GmbH!’. Kurt Hübner blieb gar keine andere Wahl, als mich zu entlassen".

"Stalinisten am Werk" empörte sich eine große deutsche Tageszeitung damals. "Ich wurde an allen deutschen Theatern gesperrt", sagt Becker. "Mein einziges Glück war es, dass Ivan Nagel, damals Intendant des Schauspielhauses Hamburg, in der Vorstellung war und mich trotzdem nach Hamburg engagierte." Erinnerungen an dieses Stück Theatergeschichte wurden wach, als er später mit Freunden und Bekannten im "Theatro" zusammensaß. Besonders herzlich fiel das Wiedersehen mit Manni Laudenbach aus. Der Schauspieler, der in der Neustadt lebt, ist mit Becker befreundet, seitdem die beiden 2006 in "Nimmer Meer" mitspielten. Mit dem Film räumte Toke Constantin Hebbeln, ein Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg, in Los Angeles den Oscar für den besten Film eines Nachwuchsregisseurs ab. "Ich habe übrigens gerade mit Rolfs Sohn Ben Becker in Wien in Büchners ,Woyzeck’ gespielt", sagt Laudenbach. "Ben hat den Hauptmann gespielt und ich den Narren."

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)