Was genau in dem Waldstück bei Moskau passierte, möchte Timur nicht erzählen. Nur so viel: Er wurde entführt, verprügelt und am Ende entstand ein Video, aus dem hervorgeht, dass er homosexuell ist. Mit diesem Video erpressten die Peiniger den jungen Mann. Am Ende blieben ihm und seinem Freund als Ausweg nur der Asylantrag in Deutschland. Hilfe bekommen sie in Bremen.
Timur, der eigentlich einen anderen Namen trägt, sitzt im Rat-und-Tat-Zentrum im Bremer Ostertor, als er seine Geschichte erzählt. Das Zentrum ist Anlaufstelle für homosexuelle Menschen aus Bremen und umzu. Dort bekam das Pärchen in der schwierigen ersten Zeit in Deutschland Unterstützung. Der junge Mann, der viel jünger wirkt als seine 27 Lebensjahre vermuten lassen, ist nicht allein. Sein Lebensgefährte, nennen wir ihn Ali, sitzt neben ihm. Seit knapp einem Jahr leben sie in Deutschland. Ihre Geschichte lässt tief blicken auf die institutionelle und gesellschaftliche Homophobie in den ehemaligen Sowjetrepubliken.
Liebe in Moskau
Kennengelernt haben sich Ali, eher dunkle Haut, feine Gesichtszüge und mit dunkelbraunen Augen und Haaren, und Timur, braune Haare und hellerer Teint, 2015 über eine Dating-App für Schwule. Schnell kamen sich die beiden näher, trafen sich bald in Moskau und zogen zusammen. Die Wohnung gehörte einer Freundin, später wollten sie in eine Eigentumswohnung ziehen, hatten Geld in einen Neubau investiert. Anfeindungen erlebten sie in ihrem direkten Wohnumfeld: Eine ältere Nachbarin habe sie beschimpft, ihnen die Polizei auf den Hals gehetzt.
Dating-Apps für Schwule ermöglichen die Kontaktaufnahme zu möglichen Partnern in einem Umfeld, in dem es gefährlich sein kann, seine Homosexualität offen zu zeigen. Die Apps bergen aber auch ein Risiko: Verbrecher machen sich das homophobe Klima in Russland und in den ehemaligen Sowjetrepubliken zu nutze und erstellen Fake-Profile und nehmen Kontakt zu ihren Opfern auf. Später drohen sie, sie vor ihren Familien, Arbeitgebern und Freunden zu outen, um Geld oder andere Gefälligkeiten zu erpressen. Genau das ist Ali und Timur widerfahren.
Ali ist in Usbekistan geboren, ein Land, in dem Homosexualität unter Strafe steht. Er erzählt von entwürdigenden Untersuchungen. „Wenn du einen Pass haben willst in Usbekistan, dann gibt es eine ärztliche Untersuchung und es wird untersucht, ob du Analsex hattest.“ Würde dies vermutet, drohe Verhaftung und Strafe. Ein willkürliches Vorgehen, mit dem Menschen erpresst werden. „Du musst Schweigegeld zahlen, sonst kommt es zu einem Prozess.“ Während seiner Jugend verbarg er seine Homosexualität. „Ich musste meinen Freunden erzählen, dass ich eine Beziehung zu einem Mädchen habe.“ Eine gute Freundin spielte für ihn diese Rolle. Mit 17 zog es ihn zum Arbeiten in die russische Hauptstadt Moskau. Dort fühlte sich Ali zunächst freier und sicherer.
Von der Familie bedroht
Verheerend war die Dating-App. Über diese lernte Ali einen vermeintlich schwulen Mann kennen. Diesen wiederum machte er mit Timur bekannt – er sollte bei einer Wohnungssuche helfen. Der Mann entpuppte sich als Polizist und presste mit Komplizen zuerst Ali mit der Drohung, ihn zu outen, Geld ab. Als dieser sich später weigerte, Geld zu zahlen, wurde Timur Ziel der Erpresser. Die Täter entführten ihn in das Waldstück und zwangen ihn mit Gewalt zu dem Videogeständnis.
Timurs Eltern sind Tschetschenen, er selber ist aber im benachbarten Dagestan geboren, wuchs dort auf. Bis zu seiner Flucht lebte er in Moskau in bescheidenem Wohlstand: Er besaß eine Konditorei. 2016 machten er und Ali zu Silvester Urlaub in Hamburg. Dort erreichte sie die Nachricht, dass die Erpresser das Video von Timur veröffentlicht hatten. Timur sprach mit seiner Familie. „Mein Bruder hat gesagt, die ganze Familie schäme sich.“ Schlimmer noch: Er versprach etwas zu unternehmen, damit Timur die Familie nicht mehr beschämen könne. Eine unverhohlene Drohung.
Zurück nach Russland wollten sie nicht mehr, stattdessen überlegten sie, nach Weißrussland zu gehen. Eine Freundin überredete die beiden schließlich, in Deutschland Asyl zu beantragen. Nicht zuletzt, weil die Geheimdienste der ehemaligen Sowjetrepubliken zusammenarbeiteten. Angst hat Timur vor allem vor seinem Onkel. Er ist, so sagt es Timur, beim tschetschenischen Geheimdienst und ein entfernter Verwandter des tschetschenischen Diktators Kadyrow, der Schwule als „Teufel“ bezeichnet. „Wir haben mehr Angst vor dem Onkel als vor den Erpressern“, sagt Ali.
Noch in Hamburg haben sich die beiden muslimischen Männer an einen Polizisten gewandt. Danach folgte das aufreibende Asylverfahren. „Wir hatten Angst, dass der Antrag abgelehnt wird. Wären wir abgeschoben worden, dann hätte uns Gefängnis gedroht oder wir wären einfach verschwunden“, sagt Ali. Für die Lage der Menschen in den Ex-Sowjetrepubliken zeichnet er ein düsteres Bild: „Es ändert sich dort gar nichts, in diesen Ländern ist kein Mensch sicher, es geht nicht nur um Homosexuelle, sondern es verschwinden Menschen in Geheimgefängnissen.“
Nach dem Asylantrag in Hamburg kamen die beiden Männer in ein Auffanglager in Bramsche. Jetzt leben sie in einem Übergangswohnheim in einer Gemeinde in Niedersachsen. Unwohl fühlen sie sich aber auch da: Viele Menschen aus denselben Herkunftsländern lebten dort, die ihre Ressentiments, teils religiös bestimmt, gegen Schwule mitgebracht hätten. Ali und Timur suchen mithilfe des Rat-und-Tat-Zentrums nun nach einer eigenen Wohnung. Nach Bremen, wo sie sich sicher fühlen, können sie nicht ziehen, sie müssen in Niedersachsen bleiben. Und sie müssen sich ein neues Leben aufbauen. „Deutsch lernen und integrieren, einen Job finden und nicht abhängig sein von irgendeinem Amt“, sagt Ali. Mit seinem früheren Leben hat Timur abgeschlossen: „Ich habe ein Trauma von der Gesellschaft, in der ich gelebt habe.“
Bremer Aktionsplan gegen Homophobie
Bremen setzt beim Kampf gegen Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bi und Transgender (LGBT) auf einen Landesaktionsplan. Am Donnerstag, 15. Februar, wird der erste Zwischenbericht in der Sozialdeputation vorgestellt. Der Landesaktionsplan geht auf einen Beschluss der Bremischen Bürgerschaft von 2014 zurück. In Zusammenarbeit mit dem Rat-und-Tat-Zentrum und mehreren Senatsressorts entstand 2015 ein Maßnahmenpaket mit einem ganzen Bündel an Vorschlägen für den Kampf gegen Homophobie. Ziele des Aktionsplans: Akzeptanz fördern, Gewalt bekämpfen und Beratungs- und Selbsthilfeangebote verbessern.
Einige Mittel, die der nun veröffentlichte Zwischenbericht nennt, um diese Ziele umzusetzen: Medienkoffer für Kitas und Schulen, die die Vielfalt des menschlichen Zusammenlebens kindgerecht zeigen, offene Gruppenangebote für Schwule und Lesben und nicht zuletzt die Wiederbelebung des Christopher Street Days in Bremen. Ein Café im Rat-und-Tat-Zentrum richtet sich speziell an Menschen mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Ethnie Diskriminierungen ausgesetzt sind. Bei der Polizei Bremen wurde außerdem eine Meldepflicht für homophobe Straftaten eingeführt.