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Schule für Flüchtlingskinder Schulpflichtig, aber nicht in der Schule

Flüchtlingsrat und GEW fordern reguläre Schule für Flüchtlingskinder. Auch für sie gelte die Schulpflicht ab Tag eins. Doch die Bildungsbehörde beharrt auf dem Hauslehrermodell als „erster Struktur“.
06.06.2017, 18:43 Uhr
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Von Frank Hethey

Wer als junger Flüchtling nach Bremen kommt, ist schulpflichtig – aber deswegen nicht unbedingt in der Schule. Stattdessen werden derzeit knapp 100 Flüchtlingskinder durch „Hauslehrer“ direkt in den beiden Flüchtlingsunterkünften Falkenstraße (Bundeswehrhochhaus) und Lindenstraße in Vegesack unterrichtet.

Nach Ansicht des Flüchtlingsrats Bremen und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ein unhaltbarer Zustand, zumal weitere Kinder wochen- und monatelang auf einer Warteliste für Schulplätze stünden. „Wir kritisieren diese langfristige Des-Integration auf das Schärfste“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung.

In unterschiedliche Altersgruppen eingeteilt

Um die Ausgrenzung vom Bremer Bildungssystem zu beenden, seien „zeitnah umfassende Strukturinvestitionen notwendig“. Wobei „zeitnah“ heißen soll: rechtzeitig vor Beginn des neuen Schuljahres. Nach dem Hauslehrermodell werden laut Bildungsbehörde aktuell rund 70 schulpflichtige Kinder in der Erstaufnahmeeinrichtung Lindenstraße und 27 Kinder aus dem Bundeswehrhochhaus betreut.

Als Hauslehrer sind vier qualifizierte Lehrkräfte mit jeweils 20 Wochenstunden im Einsatz. Die Flüchtlingskinder sind in unterschiedliche Altersgruppen eingeteilt, zehn bis zwölf Kinder pro Gruppe erhalten täglich mindestens zwei Unterrichtsstunden.

„Dabei gilt die Schulpflicht in Bremen ab dem ersten Tag“, kritisieren Flüchtlingsrat und GEW. „Diese Praxis ist gleich ein mehrfacher Rechtsverstoß“, schimpft Marc Milies vom Flüchtlingsrat Bremen mit Hinweis auf EU-Gesetze und das Landesschulgesetz.

Kritiker wollen Argument nicht gelten lassen

Doch die Bildungsbehörde will das Hauslehrermodell als „reduziertes Beschulungsangebot“ nicht aufgeben. Grund: Es sei organisatorisch kaum möglich, Kinder auf die wenigen Schulen im Einzugsgebiet zu verteilen, wenn kurzfristig ein Transfer aus der Aufnahmeeinrichtung vorgesehen sei.

„Vor allem bei großen Notunterkünften erscheint daher eine zeitlich befristete Beschulung in der nächstgelegenen Schule nicht sinnvoll.“ Daher würden die schulpflichtigen Kinder während ihres Aufenthalts in der Notunterkunft vor Ort oder in naheliegenden Einrichtungen betreut.

Ein Argument, das die Kritiker nicht gelten lassen wollen. Die außerschulische Betreuung habe sich im Schuljahr 2015/16 noch mit den hohen Flüchtlingszahlen rechtfertigen lassen. Doch nun drohe eine „Verstetigung der Ungleichbehandlung“ von geflüchteten und einheimischen Kindern.

Erprobtes teilintegratives Modell

Um das zu verhindern, sei die Schaffung ausreichender Regelschulplätze erforderlich. Nicht irgendwann, sondern unverzüglich. „Die Planungen müssen bewältigen, was bisher versäumt wurde“, sagt Milies. Dabei müsse man noch nicht einmal bei null anfangen. Es gebe in Bremen bereits ein „erprobtes teilintegratives Modell“ an den Schulen.

Das sieht parallel zum Regelunterricht auch die Teilnahme an Sprachlernkursen vor, den sogenannten Vorkursen. Damit werde der Bedarf an Sprachunterricht gedeckt und dem Anspruch an ein optimales Lernumfeld Genüge getan. „Dieses Modell muss ausgebaut und personell und finanziell bedarfsgerecht ausgestattet werden“, fordert Bernd Winkelmann, Landesvorstandssprecher der GEW.

Was auch Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Fachpersonal mit einschließe. Die Behörde verteidigt indessen das Hauslehrermodell als „erste Struktur“ mit dem Ziel, die Wartezeit bis zum Auszug konstruktiv zu nutzen und schulpflichtige Kinder auf den zukünftigen Unterricht im Vorkurs vorzubereiten.

Schulanmeldung erst nach dem Auszug aus den Erstaufnahmen

Zwar solle die Hausbeschulung an der Falkenstraße zum neuen Schuljahr aufgelöst werden. Doch das hat nach Darstellung der Behörde allein mit der geringen Anzahl von Kindern vor Ort und den schnellen Transfers in Übergangswohnheime oder Wohnungen zu tun. Soll heißen: Künftig gibt es nur noch an der Lindenstraße ein Hauslehrermodell. Die beiden Lehrkräfte aus der Falkenstraße würden dann die Kollegen an der Lindenstraße unterstützen.

Derweil argwöhnen Flüchtlingsrat und GEW, das eben erst beschlossene „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ sei dazu geeignet, das teilintegrative Modell auszuhebeln. Sieht doch das neue Gesetz vor, dass Flüchtlingsfamilien künftig bis zu zwei Jahre in Aufnahmeeinrichtungen festgehalten werden können. Nach gängiger Praxis erfolge eine Schulanmeldung aber erst nach dem Auszug aus den Erstaufnahmen.

Die Folge: eine langfristige Ausgrenzung vom Bildungssystem. „Dann werden diese Kinder nie eine Schule von innen sehen“, befürchtet Milies. Unter dem Motto „Schule für alle“ setzen sich Flüchtlingsrat und GEW für gleiche Bildungschancen für Flüchtlingskinder ein. Die gemeinsame Kampagne läuft seit einigen Monaten auf Facebook und einer eigenen Website. Anstoß war die Kultusministerkonferenz im Oktober 2016 in Bremen mit der Ministererklärung, geflüchtete Kinder und Jugendliche zu integrieren und pädagogisch zu begleiten.

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