Frau Schaefer, im Koalitionsvertrag gibt es ein Kapitel namens Bodenpolitik. Darin heißt es, dass der Senat eine Bodenstrategie erarbeiten will. Wie sieht sie aus?
Maike Schaefer: Wir im Ressort reden lieber von Flächenstrategie. Wir haben eine Strategie erarbeitet, die unter der Maxime steht, mit Grund und Boden sparsamer umzugehen. Wir sind ein Stadtstaat mit begrenzter Fläche, für sie gibt es die unterschiedlichsten Konkurrenzen – wir brauchen Platz fürs Wohnen, fürs Gewerbe, für die Naherholung und Grünflächen. Deswegen gucken wir genau hin, wenn es um die Flächenentwicklung geht.
Wie sieht die Strategie aus – können Sie bitte Beispiele nennen?
Wir sind zum Beispiel dabei, eine Flächenfondsgesellschaft zu gründen. Mein Ressort hat sich im vergangenen Jahr angesehen, welche Flächen wir erwerben beziehungsweise in Erbbaupacht oder mittels Konzeptvergabe vergeben können, statt sie zu verkaufen. Das sind stadtweit zwischen 50 und 100 Grundstücke. Zudem gilt es, über einen Baulandbeschluss und eine kooperative Baulandentwicklung zu diskutieren. Das heißt, dass der Senat verbindliche Regularien für Grundstücksverkäufe vorschreibt und Investoren beispielsweise am Bau von Erschließungsstraßen, einer Kita oder einer Schule finanziell beteiligt werden. Außerdem nutzen wir bei Schlüsselprojekten wie bei Coca-Cola/Könnecke, dem Hachez-Gelände oder dem Steingut-Quartier die Möglichkeit, ein Vorkaufsortsgesetz zu beschließen. Ob wir die Flächen dann wirklich kaufen, ist eine andere Frage. Auf jeden Fall ermöglicht uns das Vorkaufsrecht, von Anfang an Einfluss auf die Entwicklung für das Gelände zu nehmen.
Einfluss inwiefern?
Wir legen Standards für Klimaneutralität fest. Das gilt sowohl für den Umfang der bebauten Fläche als auch für den Anteil der begrünten Fläche sowie für die Frage, welche Energiestandards gesetzt werden sollen und wie das Mobilitätskonzept aussieht.
Muss sich der Staat auch in diesem Feld einmischen?
Ich glaube schon. Der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger ist, dass sich die Stadt in ihrem Sinne entwickelt. Es ist legitim, dass Investoren Geld verdienen möchten, es ist ihr Bestreben, viel Wohnraum zu schaffen. Dann gehen die Gebäude in die Höhe und in die Breite, und die Frage ist, wie viel Grünfläche dann noch bleibt. Wenn wir einen gesunden Mix haben wollen an Sozialwohnungen, an Grünflächen und Energiestandards, sollten wir Vorgaben formulieren.
Es gibt doch Vorschriften, die Gebäude begrenzen, durch die Landesbauordnung.
Das stimmt. Aber man hat an der Debatte um das Gelände der Sparkasse am Brill gesehen, dass es zwar eine Festlegung für das Areal gibt, aber die Investoren trotzdem andere Pläne hatten, die vier hohe Türme vorgesehen haben und statt 48.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche rund 72.000.
Daraus ist nichts geworden, weil die rot-grün-rote Koalition dem nicht zugestimmt hat. Es gab also eine Handhabe. Es hört sich beinahe so an, als wären alle Investoren Ihrer Ansicht nach nur an maximaler Rendite interessiert, ohne Rücksicht auf die Nachbarschaft, den Klimawandel und die Stadtgesellschaft.
Nein, das ist ausdrücklich nicht meine Meinung. Aber natürlich haben wir als Verantwortliche für die Stadtentwicklung oftmals andere Vorstellungen als ein Investor.
Ist eben das nicht ein Vorurteil? Es gibt Investoren, die aus eigenem Antrieb ökologische, nachhaltige und soziale Konzepte verfolgen.
Beispiel?
Die Dr.-Hübotter-Gruppe hat den Ehrgeiz, kleine Gartenstädte zu schaffen, "die diesen Namen wirklich verdienen". Es gibt die "Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen", die Vereinigung "Architects for future" und die Umweltbank, die solche Projekte finanziert.
Sicher, man kann mit Investoren Glück haben, aber man hat es nicht in der Hand. Wir haben als Stadt Interessen, hinter denen politische Beschlüsse stehen, und eine Verantwortung, die über das eine Projekt hinausgeht und die gesamte Stadt umfasst. Deshalb gibt es städtebauliche Wettbewerbe, weil wir auch Ansprüche an die architektonische Qualität haben. Wenn Grundstücke von privat an privat gehen, gibt es ungleich mehr Diskussionsbedarf, was die Ansprüche angeht. Anders ist es, wenn die Stadt von vornherein ihre Vorstellungen festlegt. Dann wissen auch die Investoren genau, woran sie sind.
Laut Koalitionsvertrag will die Stadt auch Flächen zurückkaufen, quasi rekommunalisieren. Gibt es dafür ein Budget?
Die Finanzierung des Flächenfonds ist Teil der Haushaltsberatungen. Das Geld wird eventuell vom Finanzressort zur Verfügung gestellt und könnte durch Umschichtungen frei werden, beispielsweise beim Sondervermögen Infrastruktur. Das machen wir auch bei anderen Zielen, die uns wichtig sind. Wenn wir mehr Geld für den Radverkehr ausgeben wollen, sparen wir es bei den Ausgaben für den Straßenerhalt für Pkw ein.
Gibt es bei den Ausgaben für die Infrastruktur Umschichtungspotenzial? Gibt es nicht gerade hier Nachholbedarf?
Es geht nicht darum, dass wir Infrastruktur-Projekte streichen, sondern bestimmte Investitionen verzögern sich auch oder lassen sich verschieben. Wir werden uns das genau ansehen. Das gilt auch für den Umfang des Flächenfonds.
Schulden kommen nicht infrage?
Die Schuldenbremse gilt nach wie vor, daran wird nicht gerüttelt. Der Bremen-Fonds ist dazu da, die Folgen einer unvorhersehbaren Sondersituation abzufedern. Es ist eine Frage der Prioritäten, die wir im Haushalt setzen.
Schwierig wird es in der Gewerbeflächenpolitik – wenn ein Investor kommt und sagt: Ich biete mehrere Hundert Arbeitsplätze will von Ihren städtebaulichen Vorstellungen aber nichts wissen.
Vor dieser Frage stehen wir derzeit nicht. Im Gegenteil, wie man an Kellogg, Coca-Cola und Rickmers sieht. Wir haben auch da eine Lösung gefunden, mit der alle Beteiligten zufrieden sind. Die Reismühle zieht in ein Gewerbegebiet, wo sie sich weiterentwickeln kann. Ihr ehemaliges Gelände wird für Wohnbebauung frei. Dazu haben wir mit der Käuferin, der Specht Gruppe, einen Letter of Intent vereinbart – auch das ist im Übrigen ein Modell, das die städtebaulichen und übergeordneten Interessen wahrt.
Kommen wir zum Erbbaurecht. Teil der Strategie ist es auch, möglichst keine kommunalen Flächen mehr zu verkaufen, sondern sie zu verpachten - zumindest, was die Wohnbebauung betrifft. Die Große Koalition hat meist Flächen verkauft, weil sie Geld brauchte, um anderes zu finanzieren. Halten Sie solche Zwangslagen für ausgeschlossen?
Wir verkaufen Flächen da, wo es sich anbietet. Wir legen die Hand nicht auf jede Fläche, die in Bremen zum Verkauf steht, sondern es geht uns, wie gesagt, um strategisch wichtige Flächen.
Wird vom Erbbaurecht in Bremen schon Gebrauch gemacht?
Ja, sehr umfangreich. Das Erbbaurecht hat in Bremen gewissermaßen Tradition. Vor allem für Baugemeinschaften und Genossenschaften ist das ein attraktives Finanzierungsmodell, aber auch für Familien, die nicht genug Eigenkapital haben, um ein Haus und ein Grundstück zu finanzieren - als Alternative zu einer Hypothek.
Es gibt auch Kritiker dieses Modells: Zum einen stellt sich die Frage, was passiert, wenn der Vertrag ausläuft, wenn die Hausbesitzer sterben und die Laufzeit nur noch kurz ist. Zum anderen kann sich der Zins ändern und – anders als bei einer Hypothek – hält die Zahlung an, bis das Nutzungsrecht erlischt. Es kann Eigenbedarf angemeldet werden, oft scheint es Streit um die Entschädigung zu geben, wenn der Vertrag endet.
Das halte ich für Schwarzmalerei. Das Erbbaurecht ist eine Möglichkeit, die wir gezielt anbieten wollen, um auch den Menschen das Wohnen im Eigenheim zu ermöglichen, die ansonsten finanziell dazu nicht fähig wären. Das ist eine Förderung von sozialem Wohnungsbau. Wenn sich eine Kommune eindeutig für dieses Modell entscheidet, wüsste ich nicht, was dagegen sprechen sollte, bestehende Verträge zu verlängern.
Ein Regierungswechsel beispielsweise ...
Die meisten Verträge laufen über 99 Jahre, ich glaube, das ist Absicherung genug. In vielen Fällen werden die Grundstücke auch den Pächtern zum Kauf angeboten, wenn der Pachtvertrag endet und nicht verlängert werden soll. Das sind jedenfalls unsere Erfahrungen.
Aber Bremen steht weiterhin in der Konkurrenz zum Umland, wo man eventuell doch auf eigenem Grund bauen kann, weil die Grundstücke erschwinglich sind.
Es ist nicht so, dass es in Bremen keine Flächen mehr gäbe, die gekauft und bebaut werden könnten. Gerade auch in Bremen-Nord, wo ich lebe. Dort entstehen weiterhin Einfamilienhäuser auf eigenem Grundstück. Wir verfolgen einen Mix, der möglichst allen Umständen und Wünschen der Bürgerinnen und Bürgern gerecht wird. Im Übrigen beginnt in den Kommunen im sogenannten Speckgürtel auch ein Umdenken. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Gemeinden ein Neubaugebiet nach dem anderen ausgewiesen haben. Auch da wird über Erbbaurecht-Modelle diskutiert.
Rot-Grün hat zwölf Jahre in Bremen regiert. Warum wurde diese Flächenpolitik nicht schon früher verfolgt?
Die Lage hat sich verschärft: Die niedrigen Zinsen haben zu einem Bauboom geführt, die Flächen werden knapper und knapper – bundesweit. Deshalb ist es an der Zeit, mit dieser knappen Ressource bewusster und verantwortungsbewusster umzugehen, gerade in einer Stadt, gerade in einem Stadtstaat. Das tun wir jetzt.
Das Gespräch führte Silke Hellwig.