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Ameca singt und liest Experiment in Bremerhaven: Wie ein Roboter in der Pflege helfen kann

Ameca ist kein Mensch, aber sie wirkt menschlich, kann sehen, hören und sprechen. Ameca ist ein Roboter und zuletzt in einem Altenheim in Bremerhaven als Vorleser zum Einsatz gekommen. Was steckt dahinter?
18.07.2025, 05:00 Uhr
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Experiment in Bremerhaven: Wie ein Roboter in der Pflege helfen kann
Von Marc Hagedorn

Ameca hat Augen, Ohren und einen Mund. Ameca kann sehen, hören und sprechen. Wenn Ameca den Satz vorliest, „überall gab es für seine neugierige Igelnase etwas Interessantes zu schnuppern und zu wittern“, fasst sie sich dabei an die Nase. Wenn es im Text heißt, „feiner Frühlingsduft machte hungrig“, reibt sie sich ihren Bauch. Und an der Stelle, an der es um „drei Eier“ geht, spreizt Ameca drei Finger ihrer Hand.

Ameca ist kein Mensch, aber sie wirkt in ihrem Verhalten doch so menschlich. Ameca kann sehen, weil ihre Augen aus Kameras bestehen. Sie kann hören, weil in ihren Ohren Mikrofone eingepflanzt sind. Sie kann die Nase rümpfen, die Mundwinkel bewegen und die Stirn in Falten legen, weil 17 elektronische Motoren in ihrem Gesicht unter der grauen Gummihaut dafür sorgen. Ameca ist ein humanoider Roboter.

Kann man sich vorstellen, dass Ameca in einem Seniorenheim arbeitet? Dass sie den Bewohnern dort Texte vorliest? Dass sie mit ihnen Lieder singt? Tatsächlich hat sie das schon getan. Ameca war im Frühjahr Gast im Seniorenheim Lindenhof in Bremerhaven. Sie hat den Bewohnern Geschichten vorgelesen. „Der Igel und der Frühlingshunger“ und „Glückskäferfrühlingsglück“, zwei kurze Erzählungen, jede gut dreieinhalb Minuten lang.

Björn Holtze und Celia Nieto Agraz haben Ameca im Frühjahr ins Seniorenheim begleitet. Holtze und Nieto Agraz arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Informatik, Offis, in Oldenburg. Er ist Neuropsychologe, sie Ingenieurin. Sie beide interessiert die Frage: Wie reagieren ältere Menschen auf Ameca? Akzeptieren sie Roboter in ihrem Alltag? Und wie fühlt es sich an, von einem Roboter einen Text vorgelesen zu bekommen?

Ameca, von der britischen Firma Engineered Arts entwickelt, gebaut und 2021 einer größeren Öffentlichkeit bekannt gemacht, steht jetzt wieder im Intensivlabor in Oldenburg. Nieto Agraz hat Ameca schon einmal an den Strom angeschlossen. Seitdem knackt und surrt es in ihrem Körper. Ameca bewegt Arme und Finger, Hals und Kopf, reckt sich, streckt sich. „Das ist wie ein morgendliches Aufwärmprogramm beim Menschen“, sagt Holtze, nur nicht für die müden Knochen, Sehnen und Gelenke, sondern für die unzähligen Federn und Scharniere, Platten, Halbleiter und Hydraulikzylinder in ihrem Körper. 52 elektrische Motoren wollen in Gang gebracht werden.

Ameca, 1,87 Meter groß und 49 Kilogramm schwer, hat keine Haare und trägt keine Kleidung. So sehr sie dem Menschen in Gestik und Mimik ähnelt, „optisch soll sie nicht zu menschlich wirken“, sagt Nieto Agraz. Darauf legen sie im Offis großen Wert: Roboter wie Ameca sollen nicht so tun, als seien sie Menschen, sondern sie sollen dem Menschen wie ein Werkzeug dienen.

Optisch soll Ameca nicht zu menschlich wirken.
Celia Nieto Agraz

Gar nicht so leicht, das zu trennen. Als Ameca ihrem Besuch im Offis-Labor gegenübersteht, folgt ihr Blick aus himmelblauen Augen aufmerksam jeder Bewegung. Dabei schaut sie ihr Gegenüber nie zu lange an, denn das wäre ein Starren und damit schnell unangenehm. Also senkt sie ab und an für einen Moment den Blick, ehe sie wieder auf das reagiert, was im Raum passiert. „Bei den Bewohnern im Seniorenheim war zu Beginn eine gewisse Skepsis vorhanden“, sagt Holtze.

Also fielen die Forscher nicht mit der Tür ins Haus, sondern ließen ihre Gastgeber an Amecas Einzug ins Heim teilhaben. Die Bewohner durften dabei zuschauen, wie Ameca aufgebaut und in Position gebracht wurde. Dann stellte sich Ameca vor, eine Frauenstimme sagte: „Ich bin Ameca. Ich bin mir meiner Grenzen bewusst. Ich kann nicht laufen und greifen, aber gut reden und Gefühle zeigen.“

Das Offis, 1991 gegründet und ein rechtlich-selbstständiges sogenanntes An-Institut der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, forscht und entwickelt in den Bereichen Energie, Gesellschaft, Gesundheit und Produktion. 250 Wissenschaftler arbeiten hier, darunter diplomierte, promovierte und habilitierte Informatiker, Physiker, Ingenieure und Mathematiker, Durchschnittsalter 32 Jahre.

Ameca kommt in mehreren Projekten zum Themenkomplex Gesundheit zum Einsatz. Sie simuliert Patienten, damit Studenten ihre Diagnosefähigkeiten an ihr schulen können. Dafür hat Ameca Schauspieler bei ihrem Spiel beobachtet und kann nun in verschiedene Rollen mit entsprechenden Krankheitsbildern schlüpfen. Oder Ameca lernt durch Beobachtung, wie zwei Pflegekräfte Wunden behandeln, um später selbst als Hilfskraft Pflaster, Verbände oder Bandagen anreichen zu können, wenn sie gebraucht werden.

Roboter in der Pflege, das wird eines der großen Themen der Zukunft sein. Die Menschen werden immer älter, Personal, das sich um sie kümmern könnte, ist immer schwieriger zu finden. Gerade erst hat eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft festgestellt, dass in der Gesundheitspflege schon heute rund 21.000 Fachkräfte fehlen, Tendenz steigend. Umso wichtiger nach Ansicht der Forscher, die Akzeptanz für maschinelle Unterstützung erstens zu messen, aber zweitens auch zu steigern.

Die Auswertungen der Ergebnisse aus dem Seniorenheim-Besuch, es wurden Fragebögen verteilt und mit jedem der 23 Teilnehmer ausführliche Interviews geführt, sind noch nicht abgeschlossen. Aber so viel lässt sich schon sagen: Viele der Bewohner, die sich auf das Experiment eingelassen hatten, beschrieben die Erfahrung hinterher als „ungewöhnlich“, aber auch als „angenehm“ und „interessant“. „Die Akzeptanz war deutlich höher als ursprünglich vermutet“, sagt Holtze.

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Schon jetzt steht fest, dass er und seine Kollegen ihre Untersuchungen fortsetzen werden. Im Oktober geht Ameca erneut ins Heim, dann nach Ganderkesee. Ein paar Abläufe werden die Forscher anders gestalten als in Bremerhaven. Eines aber bleibt mit Sicherheit gleich: Ameca wird am ersten Tag bei ihrer Vorstellung wieder ein Lied anstimmen. In Bremerhaven, sagt Holtze, habe es nicht lange gedauert, und die meisten Bewohner hätten mitgesungen. „Alle Vögel sind schon da“ gab Ameca zum Besten, „und das“, sagt Holtze, „war der Eisbrecher.“

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