Antonius Scheuermann: Wenn Sie zu uns ins Projekt kommen, bekommen Sie eine intensive Begleitung, und zwar so lange, wie es für Sie individuell notwendig ist, um in Arbeit zu kommen. Sie haben eine Ansprechpartnerin, die schon im Erstgespräch die Gesamtsituation mit Ihnen bespricht. Gemeinsam schauen Sie, welche Probleme gelöst werden müssen, die bisher hinderlich waren, beispielsweise bei der Kinderbetreuung. Ziel ist, einen stabilen Rahmen zu schaffen, und zwar mit Unterstützungsmöglichkeiten, die es im Stadtteil gibt, zum Beispiel, wenn es um Hilfe im Haushalt geht. Bei der Lösung der Probleme werden die Teilnehmerinnen intensiv begleitet.
Was bietet das Projekt, was andere Unterstützungsprogramme, die zum Beispiel die Agentur für Arbeit und das Jobcenter anbieten, nicht beinhalten?Wir arbeiten ganz eng mit dem Jobcenter zusammen. Unser Projekt ersetzt nicht die Leistungen, die durch das Jobcenter angeboten werden, sowohl was Beratung als auch Integrationsmaßnahmen angeht. Es bietet aber eine intensivere und individuellere Betreuung, die sich nach der ganz speziellen Situation der Alleinerziehenden richtet. Das geht so weit, dass die Beraterin bei Bedarf auch mal in die Familie geht und sich die konkrete Situation vor Ort anschaut. In der Begleitung werden zwei Aspekte berücksichtigt. Einerseits die psychosoziale Seite, bei der es darum geht, Mut zu machen und die Teilnehmerinnen auf ihre Kompetenzen hinzuweisen, die sie mitbringen. Andererseits die familiäre Situation, die stabilisiert werden soll. Beides wird parallel berücksichtigt und das leisten andere Programme bisher nicht.
Für wie viele Teilnehmer ist das Projekt offen?Wir gehen davon aus, dass wir mindestens 1000 Kontakte zu Frauen und Männern haben werden, die zu uns kommen. Davon möchten wir 250 in existenzsichernde Arbeit bringen. Das ist herausfordernd. Der Aspekt Existenzsicherung ist dabei zentral. Es soll sichergestellt werden, dass nicht in einem Niedriglohnbereich gearbeitet wird, der dann wieder durch aufstockende Sozialhilfe ergänzt werden muss. Im Gegenteil: Zugang zu dem Projekt haben auch die sogenannten Aufstockerinnen, damit sie aus dieser Situation heraus und in nachhaltige und existenzsichernde Arbeit kommen können.
Bezieht sich die Zahl 250 auf beide Projektstandorte?Ja, das gilt für beide Projektstandorte: den im Bremer Osten, der durch die Kolleginnen des Mütterzentrums Tenever abgedeckt wird, und den in Bremen-Nord, in Friedehorst.
Es handelt sich um ein Modellprojekt, das in dieser Form erstmals realisiert wird. Was bedeutet das für die Umsetzung?Das heißt, dass es keine Erfahrungswerte gibt und wir daher nicht genau wissen, was tatsächlich auf uns zukommt. Wir müssen flexibel reagieren und uns gegebenenfalls an unerwartete Situationen anpassen. Wenn beispielsweise morgen 20 Frauen hier auf der Matte stehen, dann müssen wir bei der Personalplanung nachsteuern. Es heißt außerdem, dass wir nicht nur Alleinerziehende in Arbeit bringen, sondern dabei auch Instrumente, Verfahren und Standards entwickeln, die später dann auch in anderen Stadtteilen angewendet werden können.
Alleinerziehende kämpfen mit speziellen Problemen: Das Kind wird vielleicht häufiger mal krank oder die Betreuung bricht spontan weg. Was sagen Sie Teilnehmerinnen, die Bedenken haben, weil sie schlechte Erfahrungen mit Arbeitgebern gemacht haben, die kein Verständnis für die besondere Situation von Alleinerziehenden hatten?In der Tat ist es so, dass Alleinerziehende durch ihre Situation und die Verpflichtungen, die sie haben, nicht so flexibel sind wie Singles. Das ist so und das weiß auch jeder Arbeitgeber. Und jeder Arbeitgeber hat natürlich lieber rundum flexible Mitarbeiter. Aber Alleinerziehende bringen auch Kompetenzen mit, die für den Arbeitgeber von größter Bedeutung sind, insbesondere was Organisation angeht. Dennoch müssen Arbeitgeber natürlich auch für das Projekt gewonnen werden. Auch da bringen wir sehr viel Erfahrung im Umgang mit Arbeitgebern mit. Gleichzeitig klärt die senatorische Behörde derzeit potenzielle Arbeitgeber entsprechend auf, sensibilisiert sie für die Thematik und zeigt die Vorzüge auf, die die Beschäftigung von Alleinerziehenden bringt.
Und wie wird den Teilnehmerinnen im Projekt konkret bei solchen Problemen geholfen?Wir haben an beiden Standorten eine Kinderbetreuung mit Platzkontingenten, die sicherstellen, dass ad hoc in einer Krisensituation die Kinderbetreuung bis zu sechs Wochen gesichert ist. Sie springt ein, wenn die reguläre Betreuung ausfällt. Pro Standort werden acht Plätze vorgehalten. Es handelt sich nicht um eine Kindertagesstätte oder Ähnliches. Es ist ein reines Betreuungsangebot, das von einer pädagogischen Fachkraft geleitet wird. Und wir haben Personal, das die Wege überbrückt. Wenn also beispielsweise die Oma erkrankt, die das Kind normalerweise betreut, stellen wir sicher, dass das Kind abgeholt wird. Darüber hinaus bieten wir nach Arbeitsaufnahme weiterhin eine Begleitung an. Das heißt, dass die Teilnehmenden bei Konflikten mit dem Arbeitgeber von uns Unterstützung bekommen. Außerdem ist die Stärkung der Teilnehmenden ein wichtiger Teil des Projekts.
Was bedeutet das konkret?Es gibt in dem Projekt mehrere Phasen. Zu Beginn geht es zunächst einmal ums Kennenlernen und die Erfassung der Gesamtsituation. Dann gibt es die Stabilisierungsphase, in der die psychosoziale Situation im Mittelpunkt steht. Es geht darum, Mut zu machen, zu motivieren, die Teilnehmenden auf ihre Stärken zu fokussieren und Lösungen zu finden für die Organisation des Alltags. Und es gibt die sogenannte Assessment-Phase, die in Teilzeit auf vier Wochen angelegt ist. Dabei werden berufliche Tätigkeitsfelder simuliert, in denen die Teilnehmenden ihre Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit testen. Ziel ist, zu prüfen, wie stabil und tragfähig die Lebenssituation ist und zu schauen, ob eine Lösung gefunden wurde, die es der Mutter wirklich erlaubt, sich über vier Wochen kontinuierlich außerhalb der Familie ganz anderen Dingen zuzuwenden.
Wie viel Zeit müssen die Teilnehmenden für das Projekt einplanen pro Woche?Das ist phasenspezifisch. Speziell zu Beginn haben wir relativ geringe Anforderungen in Bezug auf Verbindlichkeit. Und zwar, weil wir wissen, dass die Teilnehmenden vielfältige Verantwortung haben. Da geht es erst einmal darum, ein Verhältnis zu entwickeln. In der Stabilisierungsphase gucken wir individuell, wie intensiv der Kontakt gestaltet werden und wie viel Zeit der Elternteil zur Verfügung stellen kann, um an der Situation zu arbeiten. Während der Assessment-Phase wird die Teilnahme dann verbindlich, in Teilzeit. Danach wird entschieden, wie es weitergeht: ob zunächst einmal ein Schulabschluss nachgeholt wird oder ein Berufsabschluss. Da gibt es viele verschiedene Träger, die auch überbetriebliche Angebote in Teilzeit bieten. Wir schauen dann gemeinsam, was passen könnte. Unsere Aufgabe besteht darin, eine Ausbildungsplanung zu machen, die Kontakte herzustellen und zu vermitteln.
Das Interview führte Julia Ladebeck.Antonius Scheuermann
ist Leiter der Abteilung Reha-Fachdienste im Berufsförderungswerk Friedehorst. Der 57-jährige promovierte Pädagoge ist seit zehn Jahren in der beruflichen Rehabilitation tätig, seit vier Jahren in Friedehorst.
Das Modellprojekt
Das Berufsförderungswerk Friedehorst und der Verein Mütterzentrum Osterholz-Tenever bieten mit dem Projekt „Vermittlung und Integration Alleinerziehender in Arbeit“ (VIA) Frauen und Männern die Chance, eine existenzsichernde Arbeit zu finden. Ein Einstieg in das Projekt ist jederzeit möglich, die Teilnahme ist kostenfrei.
Die Alleinerziehenden bekommen Unterstützung, wenn sie arbeitslos sind und eine berufliche Perspektive, eine Ausbildung, Umschulung oder einen sozialversicherungspflichtigen Job suchen. Ziel ist, dass die Teilnehmenden ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und unabhängig von zusätzlichen Leistungen werden. Auch bei der Organisation der Kinderbetreuung bekommen sie Hilfe.
Kontakt: Berufsförderungswerk Friedehorst, Rotdornallee 64, Telefon 04 21 / 6 38 14 14. Mütterzentrum Tenever, Otto-Brenner-Allee 44-46, Telefon 04 21 / 4 09 88 95.