Es gehört zu den Charakteristika der Bremischen Verfassung, dass sie sehr viel pointierter als das Grundgesetz das Prinzip des solidarischen Miteinanders ausbuchstabiert. In begrüßenswerter Weise schließt der rot-grün-rote Koalitionsvertrag an dieses konstitutionelle Versprechen an.
Anders als die zuletzt artikulierten Kritiken es nahelegen, ist der Koalitionsvertrag hierbei verfassungspolitisch nicht nur konkret, sondern auch ambitioniert, indem er das konstitutionelle Solidaritätsprinzip in unterschiedlichen Kontexten als Regulierungsprinzip einsetzt.
Das zeigt sich beispielhaft im Bereich der Wohnungspolitik, wenn angekündigt wird, neben einer dezidierten Neubauförderung die Instrumente des Wohnungs‐ und Baurechts angemessen auszuschöpfen, um gegebenenfalls auch durch einen Mietendeckel den Wohnungsmarkt zu regulieren und das in Artikel 14 der Bremer Verfassung geschützte Recht auf Wohnen zeitgemäß zu interpretieren.
Daneben formuliert der Koalitionsvertrag detailliert, dass zukünftig die Landesgrundrechte vor dem Staatsgerichtshof einklagbar sein sollen. Das folgt dem Beispiel zahlreicher anderer Bundesländer und ist ein Beitrag dazu, die Landesverfassung und die in ihr artikulierten Vorstellungen solidarischen Miteinanders näher an die Menschen heranzurücken.
Der Koalitionsvertrag ist hier erfreulich konkret – allerdings noch etwas zu defensiv. Denn anders als dort formuliert bedarf die Einführung der Landesverfassungsbeschwerde keiner Verfassungsänderung. Artikel 140 Absatz 2 ermöglicht ihre einfachgesetzliche Einführung. Auch im Hinblick auf die Schaffung eines Versammlungsfreiheitsgesetzes ist der Koalitionsvertrag erfreulich präzise.
Für die Ausformulierung des Gesetzes ist aber zu hoffen, dass sich die Koalition weniger am gleichnamigen Gesetz aus Schleswig-Holstein – das die Handschrift der FDP trägt – orientiert, sondern vielmehr am 2010 vorgelegten Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes.
In diesem ist beispielsweise anders als im Kieler Gesetz auch das die Eigentumsrechte auf ein solidarisches Miteinander verpflichtende Recht vorgesehen, sich in privat betriebenen Foren (zum Beispiel in Einkaufszentren) zu versammeln. Schon an diesen Beispielen wird deutlich: Das Solidaritätsprinzip in der Landesverfassung ist eine zeitgemäße Forderung. Ihr sollten sich alle Akteure der Landespolitik verpflichtet fühlen.
Unser Gastautor ist lehrt Rechtswissenschaften an der Universität Bremen. Der Professor ist hier zudem geschäftsführender Direktor des Zentrums für Europäische Rechtspolitik.