Auf insgesamt knapp 140 Seiten haben SPD, Grüne und die Linke das Programm niedergeschrieben, das die politische Zukunft Bremens in den nächsten vier Jahren und darüber hinaus bestimmen soll. Zwei große Klammern gibt es, die das Handeln der ersten rot-grün-roten Regierungskoalition in einem westdeutschen Bundesland prägen sollen: Gesamtgesellschaftliche Solidarität, also die Betonung von Vielfalt auch als Abgrenzung gegenüber rechtspopulistischen Kräften, auf der einen Seite und Klimaschutz als Grundlage jeder einzelnen politischen Entscheidung auf der anderen. Damit trägt der neue Koalitionsvertrag eine deutlich grünere und an linkspolitischen Zielen orientierte Handschrift als der, der bisherigen Regierung aus SPD und Grünen.
Inwieweit Bremens neues Mitte-Links-Bündnis auch über das kleinste Bundesland hinaus Signale setzen kann, beispielsweise für die Verhältnisse auf Bundesebene, wird sich zeigen. „Wenn wir gute Arbeit leisten, wird man sich das auch in anderen Bundesländern ansehen“, sagt Grünen-Landesvorstand Hermann Kuhn.
Ein Überblick über die wichtigsten Inhalte des Vertrags:
Kinder und Bildung: Schaffung eines bedarfsgerechten Kita-Angebots; insbesondere für die Stadtteile, in denen bisher die Versorgungsquote gering war. Dort müsse es eine „aufholende Entwicklung“ geben. Bis 2023 soll für mindestens 60 Prozent der Unter-Dreijährigen ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen. In der Schulpolitik sollen die Pro-Kopf-Ausgaben nach und nach auf das Niveau der anderen Stadtstaaten angehoben werden. „Statt mit der Gießkanne sollen diese Mittel insbesondere jenen Schulen zugutekommen, wo der Anteil an Kindern mit besonderen Unterstützungsbedarfen besonders hoch ist“, heißt es im Bildungskapitel wörtlich.
Klima und Energie: Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2023; auch Industrie und Gewerbe sollen ihren Anteil zur Reduzierung von Treibhausgasen leisten; in Bremerhaven soll mit dem „Green Economy Gründerzentrum Lunedelta“ ein besonders klimafreundliches Gewerbegebiet mit Pioniercharakter entstehen.
Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung: 10000 neue Wohnungen bis 2023; der Rückgang der Zahl der Sozialwohnungen soll umgekehrt werden; oberhalb der Sozialwohnungsmiete soll ein Segment für bezahlbaren Wohnungen geschaffen werden, besonders die 2018 von Bremen erworbene Brebau soll sich auf diesem Gebiet engagieren; ein „zeitlich begrenzter Mietendeckel“ für Bestandsbauten könne auch für Bremen infrage kommen, „falls die weitere Mietentwicklung dazu Anlass gibt“.
Verkehr: Ausbau und Attraktivierung des öffentlichen Personennahverkehrs; Machbarkeitsstudie für die Einführung eines kostenfreien ÖPNV, die die rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen klärt; günstigere Tickets für Kinder aus armen Familien; Bau von „geschützten Radwegen“ und Sanierung des Radwegenetzes auch in innenstadtfernen Bereichen.
Arbeit: Tarifbindung und Landesmindestlohn sollen gestärkt, die Möglichkeiten für prekäre Beschäftigung im Einflussbereich von Land und Kommune eingeschränkt werden; um den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, soll der Senat mit öffentlichen Unternehmen entsprechende Zielvereinbarungen abschließen.
Wirtschaft: Entwicklung einer Strategie zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses. Dafür soll im Dialog mit den Unternehmen eine Marketingstrategie entwickelt werden. Ausbau zukunftsträchtiger Masterstudiengänge an Uni und Hochschulen. Impulse für die Kreativ- und Gründerszene („Zukunftsorte“, an denen Wirtschaft, Wissenschaft, Studenten, Gründer und Kulturschaffende zusammengeführt werden und wo flexible und mobile Arbeitsmodelle erprobt werden.
Inneres: Mehr Polizisten, mehr Richter, Staatsanwälte und Justizvollzugspersonal, mehr Kräfte für den Ordnungsdienst – um eine „stabile und funktionsfähige Sicherheitsstruktur“ im Land Bremen aufzubauen, will die neue Landesregierung in den kommenden vier Jahren personell deutlich aufstocken. Ansonsten atmet der Koalitionsvertrag an vielen Stellen den Geist grüner und linker Positionen: etwa bei der deutlichen Absage an „immer mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden“ bei gleichzeitiger Betonung des Schutzes der Grund- und Bürgerrechte. Oder bei der Fokussierung aller Sicherheitsbehörden auf die Bedrohung durch rechtsextremistische Gewalttäter, der Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet oder auch bei der Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle, an die sich Bürger und Polizeibedienstete mit Kritik und Vorschlägen wenden können.