Klimawandel, Corona, Krieg in Europa – weil die Welt gar nicht mehr aus dem Krisenmodus herauskommt, blicken junge Menschen zunehmend sorgenvoll in die Zukunft. Zu diesem Schluss kommt die Trendstudie "Jugend in Deutschland". Die Forscher Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann leiteten im März eine repräsentative Befragung von 1021 Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren. 45 Prozent der Befragten berichteten davon, unter Stress zu stehen, 27 Prozent fühlen sich depressiv und niedergeschlagen. Sieben Prozent belasten gar Suizidgedanken.
Wie geht es jungen Menschen in Bremen? Der WESER-KURIER hat mit fünf Abiturienten aus dem Abschlussjahrgang gesprochen. Die schriftlichen Prüfungen haben sie geschrieben, in dieser Woche beginnen die mündlichen Prüfungen. Bald steht ihnen die Welt offen. In das Gefühl der großen Freiheit mischen sich viele Fragezeichen.
Alina Windt (19)

Alina Windt macht ihr Abitur am Alten Gymnasium.
"Das Gefühl von Zukunftsängsten kann ich absolut teilen", sagt Alina Windt. Die 19-Jährige besucht das Alte Gymnasium. Schon vor dem Ausbruch der Pandemie habe sie sich viel mit einer globalen Krise beschäftigt: dem Klimawandel. "Ich habe Angst, wie unser Leben in zehn Jahren aussehen könnte. Weltweit gehen wichtige Lebensressourcen für uns Menschen verloren", warnt die junge Frau. In einigen Regionen werde es immer schwieriger, Lebensmittel anzubauen. Diese Entwicklung könne zu neuen Flüchtlingsströmen führen.
Der Ausbruch der Corona-Pandemie war ein kollektiv einschneidendes Erlebnis, Windt traf es aber besonders hart. "Ich war für ein Auslandsjahr in Ecuador. Nach sieben Monaten musste ich es praktisch von einem Tag auf den anderen abbrechen, weil sich die Lage weltweit zuspitzte", berichtet die Abiturientin. In ihrem ganzen Leben habe sie sich noch nie so glücklich gefühlt wie in Südamerika. Jetzt will sie sich dieses Gefühl zurückholen und plant einen Freiwilligendienst in Bolivien.
Ronja Engels (18)

"Unser Verhalten ist toxisch", sagt Ronja Engels mit Blick auf den Klimawandel.
Für die 18-jährige Ronja Engels war es zu Beginn der Pandemie und beim Ausbruch des Kriegs in der Ukraine wichtig, den Konsum negativer Nachrichten zu bremsen. "Man muss sehr vorsichtig sein, was das im Kopf auslösen kann. Es ist wichtig, weiterhin Freunde zu treffen und Spaß am Leben zu haben", betont die Schülerin vom Gymnasium an der Hamburger Straße. Der Krieg habe in den vergangenen Wochen auch im Unterricht eine große Rolle gespielt. "Das ist belastend und schlimm. Ich empfinde es aber ähnlich, wie die Bilder aus Afghanistan. Ich habe keine Angst, dass sich der Krieg bis nach Deutschland ausweiten könnte."
Der Blick in die Zukunft ist für Engels zweigeteilt. Optimistisch ist sie, wenn sie an das eigene Leben denkt – daran, wo sie wohnen könnte oder welchen beruflichen Weg sie einschlagen kann. "Aber die Rahmenbedingungen sind dramatisch. Es wird nicht genug gegen den Klimawandel getan", meint die Abiturientin. Das Schmelzen der Pole, das Sterben der Tiere, unmenschliche Hitze in afrikanischen Ländern – all das habe auch mit den Entscheidungen in Deutschland zu tun. "Unser Verhalten ist toxisch. Die reichen Länder sind zu egoistisch, das tut mir sehr weh."
Pauline Scheffler (18)

Pauline Scheffler will nach dem Abitur einen Jagdschein machen.
Bei Pauline Scheffler sind es "gemischte Gefühle", wenn sie an die Zukunft denkt. Angst spüre sie aber definitiv nicht. "Ich habe vor Corona einen Schüleraustausch mit Irland mitgemacht. Das war toll. Ich liebe es, neue Kulturen kennenzulernen", sagt die 18-Jährige, die kurz vor ihrem Abschluss am Hermann-Böse-Gymnasium steht. Corona hat ihre Lust, die Welt zu entdecken, getrübt: "Ich finde China spannend. Aber die Corona-Regeln sind dort erschreckend. Die Menschen werden teilweise wie Zootiere eingesperrt und dürfen nur nach einem PCR-Test vor die Tür."
Scheffler fühlt sich insgesamt unsicher, wie es nach dem Abitur weitergehen soll. "Auf das Pflichtpraktikum musste ich in der zehnten Klasse corona-bedingt verzichten. Da hatte ich einen Platz bei einem Steuerberater", berichtet die Schülerin. In den Sommerferien verbrachte sie als Ersatz deshalb zwei Wochen freiwillig im Amtsgericht. Nach dem Abitur will sie jetzt gemeinsam mit ihrer Mutter einen Jagdschein machen. "Auch dafür muss ich viel lernen", so die junge Frau. Sollte es im Herbst zu einer weiteren Corona-Welle kommen, wird Scheffler dies wahrscheinlich unmittelbar mitbekommen. Ihre Arbeit in einem Testzentrum will sie wegen des guten Teams fortsetzen.
Ali Raschi (17)

Ali Raschi will Medizin studieren.
Ali Raschi stand in der Oberstufe praktisch vom ersten Tag an unter Leistungsdruck. Für ihn war von Anfang an klar, dass ihm das Abitur den Weg zum Medizinstudium ebnen soll. "Mein Ziel ist eine 1,0", sagt er selbstbewusst. Die schriftlichen Prüfungen hat er am Hermann-Böse-Gymnasium mit einem guten Gefühl absolviert, deshalb ist diese Abschlussnote zum Greifen nah. "Nach dem Abi will ich sofort mit dem Studium beginnen. Das dauert schon lange genug, da will ich nicht noch ein Jahr verplempern", unterstreicht Raschi.
Die veränderten Lernbedingungen haben ihm in der Pandemie keine großen Probleme bereitet. Er sei schon immer gut darin gewesen, sich selbst zu strukturieren. "Einige Freunde hatten sich auch das Medizinstudium als Ziel gesteckt, dann wurden ihre Noten schlechter. Das war für sie nicht immer leicht", berichtet der junge Mann. Viele Universitäten verteilten aber nur noch eine gewisse Quote der Studienplätze über die Abschlussnote. Den Großteil der begehrten Plätze gebe es per "Medizinertest". So musste Raschi zusätzlich zum normalen Abi-Programm auch für zwei anspruchsvolle Aufnahmeprüfungen lernen. "Ohne gute Schulnoten ist da der Druck natürlich umso größer", erklärt der Abiturient.
Johanna Kobrow (17)

Johanna Kobrow hat sich durch die vielen Krisen an den Umgang mit schlechten Nachrichten gewöhnt.
Mit 16 Jahren zum ersten Mal in einer Disco feiern und die Kursfahrt nach Berlin – diese zwei Dinge hat Johanna Kobrow in der Pandemie besonders vermisst. Jetzt steht die 17-Jährige kurz vor ihrem Abschluss am Alten Gymnasium. "Ich habe mich lange damit beschäftigt, ob ich für ein Work and Travel ins Ausland gehen will. Durch Corona kann ich das schlecht planen", berichtet sie. Deshalb soll es nun eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin werden. Vielleicht legt sie aber auch ein Freiwilliges Soziales Jahr ein.
"Mein Blick in die Zukunft ist nicht so positiv. Ich beschäftige mich viel mit dem Krieg in der Ukraine und dem Klimawandel", sagt Kobrow. An den Umgang mit schlechten Nachrichten habe sie sich inzwischen schon gewöhnt. In dem Anstieg der weltweiten Temperaturen sieht sie auch Gefahren, die irgendwann Bremen betreffen könnten: "Wenn der Meeresspiegel weiter steigt, sind wir von Hochwasser bedroht." Der Klimawandel ist für sie wie eine Welle, die auf sie zurollt. "Wir sehen sie und machen trotzdem nichts."