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Adipöse Kinder und Jugendliche Rehasport-Verein aus Bremen bietet neuen Kurs für Übergewichtige an

Die Adipositas-Prävention gewinnt an Bedeutung, weil Immer mehr Kinder und Jugendliche ein zu hohes Gewicht haben. Allerdings fehlen notwendige Bewegungsangebote. Ein Bremer Verein möchte den Mangel verringern.
19.09.2023, 14:30 Uhr
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Rehasport-Verein aus Bremen bietet neuen Kurs für Übergewichtige an
Von Elias Fischer

Zur Erwärmung steht Basketball auf dem Programm: Die vier Jungs und drei Mädchen dribbeln die orangene Kugel im Laufschritt mehrmals von der einen Hallenseite zur anderen. Bei einigen der sieben Kinder klappt das Laufen besser als das Dribbeln, bei anderen ist es eher die Puste, die schnell auszugehen scheint. Die Kinder hier hätten Übergewicht oder krankhaftes Übergewicht (Adipositas), eine schlechte Motorik oder Bewegungsmangel, sagt Gaby Wolff, Vorsitzende des Vereins Reha- und Gesundheitssport Bremen: "Hier sollen sie den Spaß an Bewegung wiederfinden."

Hier, das ist die Sporthalle der Schule an der Düsseldorfer Straße in Blockdiek. Der Verein bietet dort wöchentlich 45 Minuten Rehasport für Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 14 Jahren an, die übergewichtig sind oder sich nicht ausreichend körperlich betätigen. Weitere Angebote führt Wolffs Team in Arsten und Huchting durch, auch für Teilnehmer ab fünf Jahren. Laut der Vereinsvorsitzenden werden die Kosten aller Kurse von allen Krankenkassen und Rentenversicherungen übernommen: "Die Krankenkassen erfahren von den Angeboten über den Dachverband, bei dem wir die Gruppen anmelden und lizenzieren lassen."

Keine Verordnung für Rehasport

Die Kostenübernahme funktioniert laut Marco Heuerding, Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Bremen, jedoch nicht über ein Rezept. Kinderärzte könnten Sportangebote nicht verschreiben, sagt der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin. "Wir können Empfehlungen geben und Kostenübernahmen individuell für adipöse Kinder bei den Krankenkassen beantragen." Die Ärzte vermittelten etwa Angebote des Zentrums für Adipositasschulung Bremen-Stadt oder Pfundskinder von der BTV 1877, sagt Heuerding. Auch das Gesundheitszentrum Diako im Bremer Westen bietet mit "Starke Kinder – Starker Westen" ein Programm für übergewichtige und adipöse Kinder an. Dort übernehmen Krankenkassen bis zu 80 Prozent der Teilnahmegebühr in Höhe von 900 Euro, wenn eine ärztliche Bescheinigung über die medizinische Notwendigkeit vorliegt.

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Mittlerweile haben die Kinder in Blockdiek die Aufwärmphase hinter sich gebracht und liegen auf blauen Matten, die sie zuvor in einem Kreis angeordnet haben. In der Hand halten sie einen kleinen Gymnastikball. Übungsleiterin Julia Vedder gibt eine Übung vor: auf den Rücken legen, Beine anwinkeln und von der Matte abheben. "Dann führt ihr den Ball hinter euren Oberschenkeln von der einen in die andere Hand und vor den Oberschenkeln wieder in die eine", erklärt die gelernte Erzieherin.

Übungsleiterlizenz notwendig

Vedder gehört zu den drei Übungsleiterinnen im Verein, die Rehasport für Kinder und Jugendliche anleiten dürfen. Die Lizenz stellen etwa die Landesverbände des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) sowie der Bundesverband Rehabilitationssport aus. Laut Kristin Viezens steht die Zulassung einem Mehr an Sportangeboten für adipöse Kinder und Jugendliche, deren Kosten die Krankenkassen tragen, im Weg. Zudem müssten die Teilnehmer den Rehasport regelmäßig wahrnehmen, damit die Vollfinanzierung klappe, sagt die Pressesprecherin des Bremer Gesundheitsressorts.

Die Gruppe in der Sporthalle an der Düsseldorfer Straße ist an diesem Tag nicht vollzählig. Manchmal sehe man die Kinder wochenlang nicht, betont Übungsleiterin Vedder. Das liege aber nicht nur an ihnen. "Wir kennen die Geschichten der Eltern, die Verhältnisse zuhause", sagt sie. Manchmal fehle den Eltern das Bewusstsein für gesunde Ernährung und Bewegung. Manchmal hätten sie schlicht keine Zeit, um ihre Kinder herzubringen. Ein Faktor spielt dabei die geringe Angebotsdichte. "Ein passendes Sportangebot zu finden, ist möglicherweise nicht immer so ortsnah möglich wie gewünscht", sagt Viezens. Für Familien mit mehreren Kindern und erhöhten Belastungen seien lokale Offerten notwendig.

Fast 14 Prozent der Erstklässler übergewichtig

In Bremen gibt es immer mehr adipöse Kinder. Bei der Schuleingangsuntersuchung 2022/23 waren 13,9 Prozent der Kinder übergewichtig oder adipös, also krankhaft übergewichtig. Damit liege der Anteil erkennbar über dem der Jahre vor der Corona-Pandemie, sagt Viezens. In den Jahren vor 2020 waren konstant zwischen elf und zwölf Prozent der Kinder bei der Einschulung übergewichtig.

"Diese Steigerung dürfte zusammenhängen mit den Lockdown-Maßnahmen, die sich erheblich auf den Alltag von Kindern auswirkten", sagt Viezens, "aber offenkundig wurden nicht alle Kinder im gleichen Maße beeinträchtigt. Besonders auffällig war die Zunahme von Übergewicht und Adipositas bei Kindern, die in strukturell benachteiligten Ortsteilen leben." So brachten 19,1 Prozent der Kinder, die unter prekären sozialen Verhältnissen aufwachsen, bei der Schuleingangsuntersuchung 2022/23 zu viel auf die Waage. Demgegenüber stehen 6,1 Prozent übergewichtige Kinder, die in Ortsteilen mit hohem Sozialindex leben.

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Entscheidend für die Einstufung des Körpergewichts ist der Body-Mass-Index (BMI). Dabei wird das Körpergewicht in Relation zur Körpergröße gesetzt. Anders als bei Erwachsenen wird der BMI bei Kindern und Jugendlichen im Verhältnis zu gleichaltrigen betrachtet, weil es im Wachstum zu geschlechts- und altersspezifischen Veränderungen kommt. Elfjährige Jungen etwa gelten ab einem BMI von 21,5 als übergewichtig und ab 24 als adipös. 16-Jährige hingegen sind ab einem Wert von 25 übergewichtig, oberhalb von 28 adipös.

"Frühzeitige Prävention sinnvoll"

Das überhöhte Gewicht wirkt sich auf Knochen und Gelenke, auf den Stoffwechsel und den Hormonhaushalt aus. Kinder und Jugendliche haben in Folge krankhaften Übergewichts ein höheres Risiko, an Diabetes, Gicht oder Depressionen zu erkranken. "Sinnvoll ist eine frühzeitige Prävention bereits im Rahmen frühkindlicher Bewegungsförderung in den Krippen und Kindergärten mit Bewegungs- und Sportangeboten", sagt Kinderarzt Marco Heuerding.

Das Team des Vereins Reha- und Gesundheitssport Bremen bietet ab dem 1. November ein Angebot speziell für adipöse Jugendliche ab 15 Jahren in der Sporthalle der Bürgermeister-Smidt-Schule an der Contrescarpe an. Das sei eine besondere Altersgruppe, da sie nicht in den Rehasport der Kinder, aber auch nicht in den der Erwachsenen passe, sagt Wolff. Dort vermittle der Übungsleiter neben der Bewegung auch soziale Werte und Ernährungswissen. "Anders als in Sportvereinen, in die sie nicht eintreten, weil sie dort gehänselt werden, braucht sich bei uns keiner zu schämen. Bei uns sind alle etwas fülliger."

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