Schwanewede. Am Sportplatz des FC Hansa Schwanewede soll bald ein großes Plakat aufgestellt werden. Der Verein ist da in Verhandlungen mit dem SC Freiburg. Auf dem Plakat soll gut sichtbar der Slogan stehen: „Auch Du kannst es schaffen“. Dazu soll ein überdimensionales Foto den Freiburger Stürmer Lucas Höler zeigen. Jugendliche vom Herumlungern abhalten, von der Straße kriegen, ihnen eine Haltung vermitteln, dazu soll das Plakat dienen, erzählt Ralf Höler. Er spielt in der Ü 40 des FC Hansa, engagiert sich dort als Trainer und Funktionär, und jetzt steht er hier ein paar hundert Meter weiter auf einem anderen Schwaneweder Sportplatz, dem der großen Waldschule.
Er steht dort als stolzer Vater. Sein Sohn Lucas ist in der Sommerpause der Bundesliga für einige Tage aus Freiburg gekommen, ein Tag davon ist für einen Besuch an der alten Schule reserviert. Lucas Höler, geboren in Achim, aufgewachsen in Schwanewede und inzwischen mit einem noch bis 2022 gültigen Profivertrag ausgestattet, kommt immer wieder gern in die Heimat zurück. Er erkennt und grüßt seine alten Lehrer, und man hat den Eindruck: Er ist der Typ, der nicht vergessen hat, wo er herkommt. Er kommt nicht mit dem Protz-Auto vorgefahren, sondern zu Fuß, weil er doch gleich um die Ecke übernachtet. Er ist, so der Eindruck, schon der Richtige für die Botschaft auf dem Plakat.
„Einfach hart arbeiten und den Traum leben“, sagt er auf die Frage, was er den aktuellen Schülern denn raten würde, die an diesem Dienstag mit ihm eine Stunde lang auf dem Sportplatz kicken, anschließend um Selfies bitten oder sich Autogramme geben lassen. Und zwar sehr ausführlich. Hier bitte noch eines auf dem Fahrradhelm. Und noch eines auf den Unterarm.
Hart arbeiten und den Traum leben: Das wurde schon oft gesagt, aber es ist an diesem Nachmittag mehr als nur etwas, das sich gut anhört. Lucas Höler, knapp 24, darf als gutes Beispiel gelten, um den Traum-Spruch in etwas Spür- und Greifbares zu verwandeln. Er ist nicht der Bundesliga-Profi, der schon früh in einem Nachwuchs-Leistungszentrum landete und dann wie am Reißbrett nach und nach für die große Bühne Bundesliga präpariert wurde. Er ist der Bundesliga-Profi, dem es ohne Super-Förderung gelungen ist, doch die Bühne zu erklimmen.
Ein bisschen klingt es wie bei einem Schauspieler, der verrät, dass man ihn einst auf der Schauspielschule nicht genommen hat. In der A-Jugend, erzählt Lucas Höler, lud ihn einst Werder Bremen zum Probetraining ein. Ihn, den besten Spieler und Torjäger in der Jugend des Blumenthaler SV. Es wurde aber nichts mit Werder und dem Bremer Jungs-Traum, eines Tages als Werder-Profi ins Weserstadion einzulaufen. Den Torschrei von 40 000 Leuten zu erleben. Wegen seines Treffers. „Weil ich nicht gut genug war“, sagt Lucas Höler zum Werder-Probetraining, dem kein Werder-Engagement folgte. Er sei sehr enttäuscht gewesen und habe gedacht: „Dann geh‘ ich halt einen anderen Weg.“
Der Weg führte ihn nach der Blumenthaler A-Jugend zum VfB Oldenburg. In die vierte Liga. Dann zum FSV Mainz II, dritte Liga. Dann SV Sandhausen. Zweite Liga. Im Januar 2018 holte ihn der SC Freiburg in Liga eins, für angeblich eine Million Euro. Und Ende April folgt das Spiel gegen den 1. FC Köln: Höler wird in der 72. Minute eingewechselt. In der 88. Minute wird sein Schuss noch auf der Linie abgefangen, aber in der dritten Minute der Nachspielzeit steht er genau richtig und staubt zum 3:2 ab. Köln ist damit abgestiegen. Freiburg ist damit der Klassenerhalt praktisch sicher. Daheim vor dem Fernseher flippt Papa Ralf aus. „Da bin ich im Wohnzimmer herumgesprungen wie ein Grashüpfer“, sagt er.
Sein Sohn beschreibt es als „enorm geiles Gefühl“. Wieder und wieder hätte er sich das Tor am Abend auf dem Handy angeschaut, am nächsten Morgen sei es immer noch ein enormes Glücksgefühl gewesen, in die Kabine zu den Mitspielern zu kommen. Es schwang wohl auch da diese besondere Genugtuung mit, es auf diesem anderen Weg, dem ohne Leistungszentrum, bis hierhin geschafft zu haben. „Eigentlich bin ich froh, dass ich nicht in einem Leistungszentrum war“, sagt Lucas Höler, „ich war eigentlich immer in Dorfvereinen.“ Die Gegenprobe kann natürlich nicht nachgestellt werden, aber womöglich konnte er so etwas mehr Kind und Junge sein als bei frühzeitigem Einzug in ein Internat.
Wobei man sich keine Illusionen machen sollte: Auch die Kindheit des heutigen Berufsfußballers Lucas Höler hatte viel mit Fußball zu tun. Sehr viel. Das Kind habe Laufen gelernt, indem er einem Ball entgegen strebte, erzählt der Vater. Der Junge sei sogar mit einem Ball ins Bad und zur Toilette gegangen, erzählt die Mutter. Der Ball wurde zum Magnet. Vater Ralf kickte auf der Spielstraße vorm Haus mit dem Sohn und brachte ihn zum FC Hansa Schwanewede, als der Junge gerade vier war. Der Vater sagt, er habe seinen Kindern das ermöglichen wollen, was ihm seine Eltern nicht ermöglicht hätten: sich im Fußball auszuprobieren. Es ist die Basis für das, was sein Sohn „einen Kindheitstraum“ nennt. Bundesliga-Profi.
Es gibt so etwas wie einen Schlüsselmoment, in dem den Vater eine Ahnung überkam, dass der Junge sich den Traum – und den des Vaters – tatsächlich wird erfüllen können. Das sei nach dem Wechsel von Schwanewede zum VSK Osterholz-Scharmbeck gewesen, sagt Ralf Höler. Der A-Jugendtrainer habe den C-Jugendlichen Lucas Höler hochgeholt, weil der gut genug sei, um im älteren Jahrgang zu bestehen.
Mutter Claudia erzählt, sie habe sich eine Bundesliga-Karriere ihres Sohnes erst vorstellen können, als er später bei den Blumenthaler Junioren Tor um Tor schoss. „Er ist der Messi des Blumenthaler SV“, wurde der damalige Blumenthaler Jugendtrainer Mohamed Chaaban in dieser Zeitung zitiert. Und wie ging es dem Talent selbst mit der ewigen Jungs-Frage, ob er gut genug sei für die Bundesliga? „Als ich in Blumenthal zum ersten Mal nicht mit Älteren, sondern mit Gleichaltrigen gespielt habe“, sagt Lucas Höler, "da habe ich gespürt, dass ich es nach oben schaffen könnte." Er hätte dann das Glück gehabt, „dass ich Trainer hatte, die mich gemocht haben“. Alexander Nouri in Oldenburg, Martin Schmidt und Sandro Schwarz in Mainz gehörten zu seinen Förderern. Aktuell fördert ihn Christian Streich, ein bundesweit gelobter Talententwickler.
Glück allein dürfte nicht ausgereicht haben. Wurde schon die harte Arbeit erwähnt? Ehrgeiz attestierten ihm in frühen Interviews die Jugendtrainer. Auf dem Sportplatz an der Waldschule steht am Dienstag ein Freund der Familie Höler. Er erzählt von einem gemeinsamen Urlaub, vor zehn Jahren in Kärnten. Der Freund sei äußerst beeindruckt gewesen, wie der 13-jährige Lucas sich am Abend die Kopfhörer aufgesetzt habe und zum Lauftraining rausgegangen sei in die Berge. Eine Mathelehrerin erzählt, wie damals in der fünften bis siebten Klasse der Real-Schüler Lucas kaum abwarten konnte, bis die Klingel zur Hofpause rief. Schwupps sei Lucas draußen gewesen und habe gekickt. Vater Ralf berichtet von vielen Sonderschichten nach Trainingsende.
Die klassische Geschichte vom Jungen mit nix als Fußball im Kopf? Jein. Lucas Höler hat in Blumenthal dann erst noch sein Abi gemacht, ehe er hinauszog in die Fußball-Welt. Wenn es in der Fußball-Welt nichts geworden wäre, dann hätte er studiert, auf Lehramt sagt er. Aber er gibt zu: „Plan B hätte mir nicht so viel Spaß gemacht.“ Er wollte es schaffen bis in Liga eins. Der Junge, der im Dorfverein aufwuchs, ist erdverbunden genug zu wissen, dass der Traum von Liga eins nicht ewig andauern wird. Verletzungen, Trainerwechsel, ein Abstieg – alles Mögliche kann ihn beenden. Höler spart Geld von seinem Profigehalt, er wirkt wie jemand, dem zu viel Geld nicht umgehend schadet. „Ich weiß doch, dass ich nicht bis 60 damit Geld verdienen kann“, sagt er.
Das Früher und das Später spielen an diesem Nachmittag an der Waldschule aber nicht die Hauptrolle. Das sind dann wohl doch eher der Stolz und die Freude, den Sohn der Familie beziehungsweise der Schule da zu haben. Er könne sich noch erinnern, wie er Ende Januar nach Dortmund gefahren sei, zum Spiel der Freiburger in Deutschlands größter Arena, sagt Vater Ralf. „Wenn mehr als 80 000 da sind, und das eigene Kind läuft da unten auf, da läuft schon ein bisschen Wasser aus den Augen“, sagt er.
Ein paar Meter neben Ralf Höler steht der ehemalige Klassenlehrer seines Sohnes auf dem Sportplatz. Auch Peter Guth freut sich übers Wiedersehen mit dem Ex-Schüler, der „immer nett und freundlich“ gewesen sei. Guth ist durch ihn zum Fußball-Gucker geworden. Auch schon mal Zweitliga-Konferenzen mit Sandhausen habe er wegen Lucas Höler verfolgt. Ja, sie sind stolz an der Waldschule. Höler ist schon wieder einer, der sportlich durchstartet. Wenige Jahrgänge vor ihm ging hier ein gewisser Finn Lemke zur Schule. Der ist heute Handball-Nationalspieler.