Die Versorgung muss sitzen. Das wissen die 14 Schüler der Oberschule an der Egge genau. Es ist kurz vor 11 Uhr, also anderthalb Stunden nach Marathonstart, als sich die Jugendlichen, dirigiert von Lehrer Thomas Krusekamp, jeweils rechts und links an der Strecke im Bürgerpark positionieren – einige mit wassergetränkten Schwämmen, andere mit Bechern, alle mit ausgestreckten Armen. „Ey, können diese Läufer jetzt mal kommen? Wir wollen bechern!“, ruft ein Schüler, die anderen lachen.
In wenigen Minuten werden die Marathonläufer den Verpflegungsstand passieren. Gut 27,5 Kilometer haben sie dann schon in den Beinen. Wasser oder isotonische Getränke, das ahnen auch Marathon-Laien, können die Läufer jetzt wirklich gut gebrauchen.
Der erste Marathoni ist Fabian Fiedler. Begleitet von einem Auto mit Zeitanzeige und mehreren Fahrrädern flitzt der spätere Gewinner auf die Bierbänke zu, auf denen die Becher fein säuberlich aufgereiht sind. „Leute, der nimmt einen, macht euch bereit, wir haben Kundschaft“, sagt einer der Helfer und hält ihm einen Becher entgehen. Dann das Fauxpas: Die Übergabe scheitert. Fiedlers Tempo ist zu hoch. Er kann den ersten Becher nicht greifen, schlägt ihn mit der rechten Hand zu Boden. „Was machst du, Junge, halt den doch richtig“, fährt ihn sein Nebenmann an.

Die Schüler der Oberschule an der Egge bei der Vorbereitung im Bürgerpark.
Eine Legende
Aufregung macht sich breit. Die Jugendlichen aber haben sich gut organisiert und in einer Kette clever aufgestellt. Fiedler bekommt sein Wasser beim nächsten Helfer. Der, hochgewachsen, schwarzer Kaputzenpulli, reißt die Arme in die Luft. „Ich bin ´ne Legendeeee!“, ruft er und feiert den Erfolg wie den einer WM-Staffelübergabe. Bei den folgenden knapp 4500 Startern klappt die Übergabe meist reibungslos – bis auf ein kleines Chaos.
Das war im vergangenen Jahr nicht immer so. Im Anschluss an den Marathon hagelte es Kritik seitens vieler Läufer an der Organisation. Vor allem an den Verpflegungsständen kam es damals zu ärgerlichen Engpässen. Mal gingen Getränke zu schnell zur Neige, mal gab es zu große Gedränge.
Besonders knifflig war die Situation im Bürgerpark – also genau an der Stelle, wo Halbmarathonis nach fünf Laufkilometern und Marathonis nach mehr als 25 Kilometern aufeinandertreffen. Für ambitionierte, auf eine gute Zeit bedachte Läufer ein echtes Problem. Sie wollen sich nicht lange am Stand aufhalten, haben schlicht keine Zeit mit aufwendiger Becherübergabe zu verlieren. Von Organisator Utz Bertschy hieß es daraufhin, man wolle daran arbeiten, die Situation beim kommenden Marathon zu verbessern.
Das, werden mehrere Marathonis und Halbmarathonis später im Ziel bestätigen, ist in diesem Jahr gelungen. „Von der ersten bis zur letzten Station war immer genug da“, sagt Mara Silva. „Die Stände waren von Weitem gut zu sehen, die Stationen viel besser und weitläufiger aufgebaut.“ Ein Besuch bei der Versorgungsstation am Universum bekräftigt diesen Eindruck. Hier ist alles ruhig, geregelt. An den Versorgungsständen, die die Organisatoren im Abstand von fünf Kilometern mit Obst, Wasser und isotonischen Getränken ausgestattet haben, gibt es so viel Nachschub, dass keiner der Läufer leer ausgeht.
Damit das gelingt, sind die Schüler der Oberschule an der Egge an diesem Sonntag schon früh im Einsatz. Seit 8.30 Uhr stehen sie im Bürgerpark bereit, bauen Bierbänke und Pavillions auf, schleppen Wasserkisten. Für ihre Hilfe bekommen sie eine Aufwandsentschädigung: eine kleine Summe, von der sie den nächsten Klassen-Skiausflug bezahlen können. Die Arbeit macht ihnen sichtlich Spaß. Sie haben Pfeifen dabei, feuern die Läufer an, grölen und tanzen zur Musik, die vom DJ-Pult rüberschwappt. „Wir finden das hier ganz schön cool“, sagen sie.
Aber als Helfer tragen sie auch Verantwortung. Das wird den Jugendlichen dann zum ersten Mal bewusst, als ihnen um halb 12 die erste größere Traube entgegenströmt – und der Strom von Marathonis und Halbmarathonis dann erstmal nicht mehr aufhören will. Für die Jugendlichen heißt das: mehr Becher anreichen, mehr nachfüllen, gut aufstellen.
So ganz gelingt das zunächst nicht. Die Jugendlichen versuchen zwar, das Chaos zu entwirren, freuen sich über erfolgreiche Übergaben, jubeln. Zeitweise vergessen sie dabei jedoch, für genügend Nachschub zu sorgen. Die Bierbänke stehen verwaist da, ohne Becher, ohne Wasser. Einige Läufer müssen das Tempo verlangsamen oder kurz stehen bleiben. Beschwerden aber gibt es nicht. Ein paar Zuschauer beschließen kurzerhand, mit anzupacken. Gemeinsam meistern sie das vorübergehende Chaos.
Und auch das, finden die Schüler, ist irgendwie cool. Das Zusammenanpacken, die Teamarbeit. Am liebsten wollen sie gar nicht mehr aufhören. „Ab sofort Bechern statt Schule“, fordert einer und schaut zu seinem Lehrer. „Herr Krusekamp, können wir das vielleicht häufiger machen?“