Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Schluss nach 23 DM-Titeln Der deutsche Serienmeister aus Bremen nimmt Abschied

Die Frauen zwischen 34 und 47 können nicht ohne ihren Sport, nun aber auch nicht mehr mit ihm: Weil Personal fehlt, zieht sich die Gruppe Gymnastik und Tanz des Blumenthaler TV von der Bühne zurück.
01.11.2023, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Der deutsche Serienmeister aus Bremen nimmt Abschied
Von Jörg Niemeyer

Nicole Gerdes ohne ihren Sport: Wie sollte das denn gehen? Wer die 47-Jährige erlebt, spürt ihre Begeisterung für die Rhythmische Sportgymnastik (RSG). Die Ehefrau und Mutter ist seit mehr als 40 Jahren "on fire". Die einst beim Blumenthaler TV (BTV) entzündete Flamme lodert wie am ersten Tag – übrigens nach wie vor in diesem nordbremischen Verein. Und wenn die Flamme, wie in diesem Jahr nach der deutschen Meisterschaft in der Sparte Gymnastik und Tanz, zu erlöschen droht, überlegt sich Nicole Gerdes, wohin sie ihr Feuer tragen könnte.

"Entweder ganz oder gar nicht", sagt Nicole Gerdes. Dieses Motto steht im Einklang mit ihrer inneren Haltung, die fast schon einem Trieb gleichzukommen scheint: Ehrgeiz. "Der Ehrgeiz ist auch jetzt noch vorhanden", sagt sie. Das hätte sie nicht sagen müssen, denn ihre Lust auf weitere Aufgaben und, ja, auch auf weitere Erfolge ist zu spüren, wenn sie von sich, ihrem Leben und ihren Ideen erzählt. Rhythmische Sportgymnastik ist ein ästhetischer, aber auch rasanter Sport. Und so schnell wie sie mit den RSG-Geräten sein kann, spricht die frühere Leistungssportlerin auch. Vielleicht sogar etwas schneller. Nicole Gerdes auf Sparflamme? Schwer vorstellbar.

Mit 22 schon zu alt

Nicole Gerdes lebt ihren Sport, auch wenn es inzwischen nicht mehr die reine RSG ist. Für diese Sportart sind die meisten Frauen über 20 Jahre schon zu alt. Das behauptet kein weißer Mann mit silbernem Haar, sondern die 47-Jährige selbst. "Mit 19, 20 Jahren waren wir als Gruppe damals zu alt für die RSG", sagt Nicole Gerdes. Sie selbst war schon 22, als sie und ihre erfolgreichen BTV-Mitstreiterinnen sich 1998 anderweitig orientierten.

Lesen Sie auch

Vielleicht war auch ein bisschen Glück mit im Spiel, dass die Gruppe nicht einfach auseinanderfiel, sondern nach etwas mehr als einem Jahr Pause wieder zusammenkam, weil Nicole Gerdes eine Idee hatte. Die ehemalige WM- und EM-Teilnehmerin im Einzel, die bei deutschen Meisterschaften wohl nur deshalb nie über den zweiten Platz hinauskam, weil ihr mit Magdalena Brzeska die damals überragende deutsche Gymnastin vor der Nase herumturnte, fragte ihre BTV-Freundinnen, ob sie künftig gemeinsam in der Sparte Gymnastik und Tanz antreten wollten.

Die Angesprochenen wollten, und so startete beim BTV mit damals zwölf jungen Frauen in der Altersklasse 18+ eine neue Gruppe, die in Gymnastik und Tanz im folgenden Vierteljahrhundert an der nationalen Spitze das Maß der Dinge sein sollte. Als der BTV, bereits vor einigen Jahren aufgerückt in die Altersklasse 30+, vor einigen Wochen in der Nähe von Augsburg seine letzte deutsche Meisterschaft bestritt, verabschiedete er sich mit dem inzwischen 23. DM-Titel. Wie 1998, als die Gruppe bei ihrer Premiere anlässlich des Deutschen Turnfestes in München ganz oben auf dem Siegertreppchen stand, schaffte sie es auch auf ihrer Abschiedstour.

Erst zwölf, dann acht und zuletzt noch sechs

Das eigentlich ungewollte, aber auch unvermeidbare Ende der Gruppe zeichnete sich über Jahre ab – langsam zwar, jedoch stetig. Angefangen zu zwölft, waren die Blumenthalerinnen lange zu acht, bis sie zuletzt eigentlich nur noch zu sechst waren. Der BTV war auf die Mindestgröße einer Gruppe in Gymnastik und Tanz zusammengeschrumpft, weil berufliche und familiäre Verpflichtungen eine Gruppe von Frauen zwischen 34 und 47 nun mal sprengen können. "Ein regelmäßiges Training war leider nicht mehr möglich", sagt Nicole Gerdes. Nicht alle Gruppenmitglieder konnten und können familiär so flexibel sein wie sie. Ihr Sohn wird bald 14 und benötigt seine Mutter im Alltag nicht mehr so wie es jüngere Kinder tun.

Alle zwei Jahre trat der BTV mit einer neuen Choreografie auf, die vor allem Nicole Gerdes und Steffi Nitschke entwarfen, in die aber auch viele Ideen der Gruppenmitglieder einflossen. Doch der Aufwand, um diese Choreografien so einzustudieren, dass sie meisterschaftstauglich präsentiert werden konnten, war zuletzt kaum noch zu leisten. Zwei Trainingsabende waren das Minimum, vor einer Meisterschaft kamen noch etliche Sonnabend-Treffen dazu.

So ließ die Wahl zwischen "ganz" oder "gar nicht" nur eine Antwort zu: Ein letztes Mal, für die DM 2023, so gut es ging "ganz" – und künftig "gar nicht" mehr. Wobei Letzteres nicht ganz der Wahrheit entspricht. Denn Nicole Gerdes wäre wohl nicht sie selbst, wenn sie nicht schon die nächste Idee im Kopf hätte. "Wer will weitermachen?", habe sie kürzlich in die Runde gefragt. Es gibt nämlich eine Sparte, in der der BTV auch in abgespeckter Größe weiter starten könnte: mit der sogenannten K-Gruppe, für die mindestens drei Mitglieder benötigt werden. "Das müssen wir demnächst klären, ob wir das zu viert in Angriff nehmen", sagt die 47-Jährige. So ganz viel würde sich für das Quartett gar nicht ändern. "K-Gruppe ist wie Gymnastik und Tanz – nur ohne Tanz."

Wie in allen Mannschaftssportarten, so besteht auch die RSG nicht nur aus Sport und Ehrgeiz. Wichtig sind auch Zusammenhalt und Zusammengehörigkeit. Nicole Gerdes spricht jedenfalls offen über ihre Befürchtung, dass alles auch auseinanderfallen könne. Was nicht passieren soll. "Einige aus der Gruppe kenne ich seit 35 Jahren", sagt sie, "und wir wollen uns natürlich auch weiterhin sehen."

Um dieses Ziel zu erreichen, könnte die Fortsetzung des Trainingsbetriebs behilflich sein – vielleicht mit der Beigabe von weiteren Wettkämpfen, die wiederum den Ehrgeiz der Gymnastinnen befeuern würden. Nicole Gerdes, als Älteste auch so etwas wie die Leiterin der Gruppe, ist jedenfalls überzeugt davon, dass sie sich alle sehr vermissen würden. "Wir brauchen die Handgeräte", sagt sie, "wir brauchen die Musik und uns als Freundinnen." Wer dann im Wettkampf nicht mehr dabei ist, könnte zumindest mal beim Training vorbeischauen.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)