„Wenn unsere Pädagogen schon nicht im Sportgarten oder im Postamt 5 mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten können, gehen die Pädagogen eben zu ihnen hin“, sagt Hanns-Ulrich Barde, der in seinem Umfeld von fast allen „Ulli“ genannt wird. Und so machten sich Luis Sanchez, Murat Kurnaz und Moya Nadolny in der vergangenen Woche auf den Weg in die Carl-Severing-Straße in der Vahr. Mit im Gepäck hatten sie eine Karaoke-Anlage, aus deren Boxen Musik und Anleitungen zum Mitmachen in Richtung Fenster und Balkone der Häuser drangen.
„Unser klarer Wunsch ist: Wir wollen Bewegungsmöglichkeiten schaffen“, sagt Ulli Barde. Das schafft der Sportgarten in normalen Zeiten in vielfältiger Weise, und das versucht er stark eingeschränkt auch in der besonderen Zeit der Corona-Pandemie, die alle Menschen stärker an ihr Zuhause fesselt, als ihnen lieb ist. Nun hat ein Balkon in der Vahr beileibe nicht die Größe eines Basketball- oder Kunstrasenfeldes in der Pauliner Marsch, aber zu sportlicher Aktivität reicht der Platz trotzdem. „Die Aktion kam gut an“, sagt Barde zufrieden. Der 63-Jährige verhehlt jedoch nicht, dass ihm die Arbeit an den gewohnten Schauplätzen besser gefällt. Ulli Barde fehlt der unmittelbare Kontakt zu den jungen Menschen – umgekehrt wird es genauso sein.
Ob die Aktion mit der Gewoba, die die Idee in der Vahr hatte, einmalig bleibt, dürfte auch davon abhängen, wie sich die Gesamtlage mit dem Coronavirus entwickelt. Ulli Barde, der hauptberufliche Vorstand des eingetragenen Vereins Sportgarten Pauliner Marsch, entwickelt mit seinen Mitarbeitern gerade Pläne für einen eingeschränkten Betrieb, also für einen vorsichtigen Wiedereröffnungsprozess. Behörden haben inzwischen auch im Sport Lockerungen in Aussicht gestellt.
Der Sportgarten mit seinen Anlagen in der Pauliner Marsch, in der Überseestadt und im ehemaligen Postamt 5 gleich neben dem Bremer Hauptbahnhof bietet seinen Nutzern rund 20 Sportarten an. Darüber hinaus unterbreitet der Verein viele Angebote in der Jugend- und Bildungsarbeit. „Normalerweise würde es bei uns jetzt richtig brummen“, sagt Ulli Barde, „da haben wir den Winter überstanden – und jetzt das.“ Kein Ball rollt, kein Kletterer hängt in der Wand, kein Skater kurvt durch die Halfpipes oder gleitet über die Hindernisse: erzwungener Stillstand auch hier.

Seit 1999, also von Beginn an, der Chef des Sportgartens: Ulli Barde.
Eigentlich sollten in diesem Jahr die Rampen in der Pauliner Marsch umgebaut werden. „Nach mehr als 20 Jahren Betrieb ist das nötig“, sagt Barde. Das Projekt ist erst einmal aufgeschoben. Wegen des Abstandsgebots könnten, so Barde, die Firmen mit ihren Arbeitskräften nicht mit dem Einsatz beginnen. Fast noch wichtiger sei jedoch, dass auch die Jugendlichen nicht kommen dürfen. „Wir brauchen sie, um die Rampen richtig gestalten zu können“, sagt Barde. Ein wesentliches Konzept, besser: die Philosophie des Sportgartens ist nämlich, dass die Jugendlichen an allen Projekten maßgeblich beteiligt sind. Der Verein selbst entsprang Ende der 90er-Jahre den Wünschen und Vorstellungen der Jugendlichen. Ohne sie mit all ihrer Expertise geht bis heute nichts.
Doch nicht nur der Alltag des Sportgartens ist lahmgelegt, die Corona-Krise trifft ihn auch finanziell massiv. Seine 16 festangestellten Mitarbeiter, sechs davon in Vollzeit, sind von Kurzarbeit betroffen. Die zahlreichen freiwilligen Mitarbeiter, Übungsleiter und Auszubildenden leiden ebenfalls. Obwohl die Sportstätten geschlossen sind, fallen Kosten für Versicherungen oder die Reinigung und Instandhaltung von Außenanlagen weiter an.
Auf der anderen Seite, da geht es dem Sportgarten nicht besser als den meisten Vereinen und Einrichtungen, sind Einnahmen fast völlig weggebrochen. Das Programm in den Osterferien: abgesagt. „Und wir hatten jede Menge Kurse im Angebot“, sagt Ulli Barde. Gut für den Sportgarten, dass die meisten Teilnehmer statt der Rückzahlung ihres Geldes Gutscheine akzeptiert haben. Die Bremen Global Championship, eine Veranstaltung mit bildungs-, entwicklungspolitischen und sportlichen Inhalten und etwa 300 Teilnehmern, die der Sportgarten mit Partnern für Mitte Juni geplant hat: abgesagt. Der One Nation Cup, das Fußball-Turnier mit Teams von allen fünf Kontinenten, das der Sportgarten mit dem SV Werder und der Senatskanzlei Ende Juni mal wieder in Bremen ausrichten wollte: abgesagt. Das Ärgerliche an all diesen Absagen: Sie ziehen nicht nur erhebliche finanzielle Einbußen nach sich, sondern erfordern nach der ganzen Vorbereitungsarbeit nun auch noch erheblichen und unbezahlten Mehraufwand. Unter anderem müssen Hotelbuchungen storniert und vielerlei Reservierungen rückgängig gemacht werden.
„Ich habe aktuell mehr als genug zu tun“, sagt Ulli Barde, ohne zu klagen. So musste der 63-Jährige kürzlich zum Beispiel auch die vorzeitige Rückreise von zwei Bremer Jugendlichen organisieren, die mithilfe von Partnerfirmen in Kooperationsprojekten des Sportgartens in Südafrika arbeiteten. Besonders bitter ist für Ulli Barde, dass das so hervorragend angenommene digitale Bildungsangebot im alten Postamt 5 wegen Corona derzeit nicht aufrechterhalten werden kann. „Vielen Menschen dürfte gerade jetzt bewusst werden, wie wichtig dieses Projekt für die Jugendlichen ist“, sagt er. Eigentlich sollte das Angebot im Sommer erweitert werden, aber auch hier herrscht erst einmal Stillstand.
In diesen Tagen befassen sich die Mitarbeiter des Sportgartens auch mit der Frage, wie sie über ihre Sportakademie – in diesem Projekt machen 16 Vereine in sieben Stadtteilen wöchentlich etwa 80 Angebote in diversen Sportarten – die Schulen unterstützen können, wenn die demnächst ihren Betrieb wieder hochfahren. Ulli Barde ist zuversichtlich, dass seine Crew da wertvolle Unterstützung wird leisten können. Überhaupt scheinen Tatendrang und Optimismus des Sportgarten-Chefs unerschöpflich zu sein. „Jetzt geht es darum, dass wir die Strukturen unseres Vereins erhalten, um nach der Krise wie gewohnt oder sogar noch besser zu arbeiten.“ Das ist in Zeiten der Krise doch mal eine Ansage.
Ein Verein mit weltweiter Strahlkraft
Der 1. Juli 1999 war ein großer Tag in der Pauliner Marsch, weil mit dem Sportgarten e.V. eine Einrichtung ihre Pforten öffnete, die weltweit auf sich aufmerksam machen sollte. Der Sportgarten bietet in der Nähe des Weserstadions, im alten Postamt 5 und in der Überseestadt eine vielfältige Mischung aus Sportangeboten, Jugend- und Bildungsarbeit. Über die sogenannte Sportakademie unterstützt der Sportgarten Schulen und agiert in sieben Stadtteilen. Der Sportgarten ist ein Verein nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch von ihnen – hervorgegangen aus einer Initiative im Bremer Viertel. Ein Verein, dem das Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Bildung immer besonders wichtig war.