Herr Thiemann, Ende des Monats starten die Volleyballmannschaften in der Region in die Hallensaison. Mit welchen Gefühlen blicken Sie als Verbandschef der neuen Spielzeit entgegen?
Lars Thiemann: Ich freue mich, dass es wieder losgeht, denn nach Olympia ist es immer spannend zu beobachten, ob es an der Basis einen Zulauf in den einzelnen Sportarten zu verzeichnen gibt. Auch unsere Volleyball-Herren haben ja in Paris erfolgreich performt und für Begeisterung gesorgt.
Wie sehen Sie den Bremer Volleyballsport aufgestellt?
Der Volleyball in Bremen ist gewachsen in den letzten Jahren. Das belegen vor allem die Meldezahlen bei den Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren. Das ist ermutigend. Und diesen Trend wollen wir fortsetzen.
Was genau können oder sollten die Vereine tun, um für Jugendliche interessant zu bleiben beziehungsweise interessant zu werden?
Es sind aus meiner Sicht drei Faktoren, über die wir uns Gedanken machen müssen. Zum einen müssen wir das Konzept der Ganztagsschule ab 2026 berücksichtigen und schauen, ab wann uns die Jugendlichen im Tagesverlauf zeitlich überhaupt zur Verfügung stehen. Darauf müssen wir unsere Angebote ausrichten. Der zweite Faktor ist die Infrastruktur. Die neue Doppelsporthalle an der Ronzelenstraße ist ein Traum, aber wir haben viele Hallen in Bremen, die in einem nicht so guten Zustand sind. Das ist ein Dilemma.
Und was ist der dritte Punkt?
Das ist die Frage nach den Trainern. Und da müssen wir eine richtig gute Antwort finden, denn die Trainer sind die Schlüsselpositionen, wenn es darum geht, Jugendliche zum Volleyball zu holen und auch dort zu halten.
Was genau sollten die Trainer mitbringen?
Vor allem müssen sie verlässlich da sein und gut mit Kindern umgehen können. Sie sollten Spaß und auch das Spiel vermitteln können. Gerade beim Volleyball dauert es eine Zeit, bis du eine gewisse Spielfähigkeit hast. Das gilt es möglichst schnell zu erreichen, denn sonst sind die Jugendlichen auch schnell wieder weg. Es gibt einfach zu viele Alternativen, sich in der Freizeit zu beschäftigen oder abzulenken.
Sie sagen, der Trend stimmt und die Mitgliederentwicklung sei positiv. Im Leistungsbereich ist davon in Bremen aber aktuell nichts zu spüren. Die Frauen von Eiche Horn und die Herren von Bremen 1860 spielen als höchste Mannschaften jeweils nur in der Regionalliga. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Ehrlich gesagt: nein. Ich glaube schon, dass Bremen das Potenzial besitzt, im Frauen- und im Herrenbereich je eine Mannschaft mindestens in der 3. Liga, besser noch in der 2. Bundesliga zu haben. Wir haben eine gute Basis – hier wird eine hervorragende Jugendarbeit geleistet.
Die Früchte dieser Arbeit ernten aber häufig andere Klubs beziehungsweise die Leistungszentren. Julian Hoyer, Sunna Milz, Luisa Durisova – das sind exemplarisch nur drei Talente, die Bremen zuletzt verlassen haben und an einen Stützpunkt gewechselt sind. Was müsste passieren, um diesen Talenten in Bremen eine Perspektive zu bieten?
Darauf habe ich keine Antwort. Realistisch betrachtet, sehe ich hier absehbar kein Team höherklassig in der 2. oder gar 1. Bundesliga spielen. Der Weg dahin dauert. Und die eben genannten Talente wollen jetzt schon dahin, wo du mit deinem Verein vielleicht erst in ein paar Jahren bist. Grundsätzlich möchte ich aber auch festhalten: Wenn diese Top-Talente in unseren Vereinen die Grundlagen erhalten haben, an einen Stützpunkt zu wechseln und in der Bundesliga zu spielen, dann haben wir unseren Ausbildungsauftrag bestmöglich erfüllt.
Trotzdem schmerzt es doch, Jahr für Jahr Talente zu verlieren. Wäre es nicht dringend nötig, in Bremen die Kräfte zu bündeln, um höherklassig vertreten zu sein und so als Volleyballstandort für mehr Attraktivität zu sorgen?
Natürlich wäre es schön, ein Zugpferd zu haben, das dem Nachwuchs eine Perspektive bietet und auch für Geldgeber interessant ist. Das wäre spannend, aber als Verband können wir da nur mit Netzwerk unterstützen. Hier sind die Vereine selbst gefragt. Eine Konzentration der Kräfte im Leistungsbereich könnte ein guter Weg sein, es ist aber unwahrscheinlich schwer, alle mitzunehmen. Man müsste offen darüber reden. Man müsste klären, wer dabei welche Rolle spielen soll und vielleicht auch die jungen Talente frühzeitig mit einbinden. Dann könnte es klappen.
Gäbe es noch weitere Möglichkeiten, um für mehr Aufmerksamkeit zu sorgen?
Die Vereine müssten die Heimspieltage noch viel mehr als Event gestalten. Es muss schick sein, zu einem Heimspiel von Eiche Horn oder 1860 zu gehen. Dafür böte dann auch die neue Halle an der Ronzelenstraße wieder ganz andere Möglichkeiten.
Das klingt gut, doch warum wird da Ihrer Meinung nach zu wenig gemacht?
Die Trainer, die Abteilungsleiter – das sind in den Vereinen oft Alleinunterhalter. Du brauchst Visionen – und du brauchst Mitstreiter. Um so etwas umzusetzen, benötigst du eine gewisse Anzahl von Leuten. Und daran krankt es.
Wie sieht es allgemein mit der Wahrnehmung der Sportart in der Öffentlichkeit aus?
Volleyball besitzt grundsätzlich ein gutes Image. Unser Problem ist aber der fehlende Stellenwert des Sports insgesamt in Deutschland.
Was konkret bemängeln Sie?
Nun ja, bei vielen Trashformaten im Fernsehen bekommen die Teilnehmer mehr Geld als ein Olympiasieger. So etwas ist ein Unding. Außerdem ist der Sportunterricht das Schulfach in Deutschland, das immer als erstes ausfällt. Und wenn man sich mal den Sporthaushalt speziell in Bremen anschaut und die Aufwendungen für das Schwimmen abzieht, dann bleibt da doch fast nichts übrig. Der Sport hat eine wichtige soziale Funktion, ist gesundheitsfördernd und integrativ – nur kosten soll er nichts. Das geht so nicht.
Was wäre aus Ihrer Sicht nötig, um das zu ändern?
Eigentlich müssten wir uns viel stärker für unsere berechtigten Interessen einsetzen und vielleicht auch in der Öffentlichkeit vehementer auftreten – aber dafür sind wir Sportler leider in unserem Denken immer zu lösungsorientiert.