Ein schrilles Piepen ertönt, der Timer läuft rückwärts. "Nächste Übung: Runter in den hohen Plank, dann aufmachen zum Dehnen", ruft Bettina Timm-Schneider. "Und los!" Sieben Sportler und Sportlerinnen gehen auf den schwarz-blauen Matten in eine liegestützähnliche Position. Während im Hintergrund schwarze Boxsäcke vor der Wand baumeln, drehen sich die Sportler alle paar Sekunden abwechselnd zu einer Seite und strecken einen Arm weit von sich. Es ist kurz nach 20 Uhr, Zeit fürs Aufwärmtraining. Im Kampfsportstudio "Grapple & Strike" riecht es ein wenig muffig nach Schweiß, ab und an geht ein Keuchen durch die Runde.
Die Boxgruppe, die an diesem Abend trainiert, gehört zum Sportverein "Wärmer Bremen". Ein queerer Sportverein, der etwa für schwule, lesbische, bisexuelle und Transmenschen offen ist, aber auch für heterosexuelle Sportler. Seinen gut 150 Mitgliedern möchte "Wärmer Bremen" einen diskriminierungsfreien Raum für Sport bieten, Luzie Rave-Neumann aus dem Vorstand spricht von einem "Schonraum". "Schonraum klingt immer so, als wenn das etwas Besonderes sein muss", sagt Rave-Neumann. Eigentlich gehe es um Normalität.
Diskriminierungen erleben queere Menschen immer wieder: In der Öffentlichkeit, auf dem Arbeitsplatz und eben auch in Sporthallen und Umkleidekabinen. "Diskriminierung, das sind nicht immer Beleidigungen, sondern manchmal einfach Sprüche und Abwertungen", sagt Rave-Neumann. Oft genug bleibt es nicht dabei. "Manche unserer Mitglieder erleben Gewalt, wurden etwa nach dem Christopher-Street-Day verprügelt. Wir erleben, dass schwule Mitglieder abgewertet oder von Veranstaltungen ausgeschlossen werden." Auch Beleidigungen wie ein "Du schwule Sau" im Stadion kämen vor.
Erst am Dienstag bedrohten Jugendliche erneut eine Transfrau in einem Bremer Linienbus, in England starb in der vergangenen Woche eine minderjährige Transjugendliche nach einem Messerangriff. Besonders wegen solcher Angriffe seien Safe Spaces, also sichere Räume, für queere Menschen besonders wichtig, sagt Boxtrainerin Bettina Timm-Schneider. "Man verliert das Gefühl für Sicherheit, sich in der Öffentlichkeit als queerer Mensch zeigen zu können. Man weiß nie, wer im Bus hinter einem sitzt."
Einen Verbündeten hat "Wärmer Bremen" mit dem Kampfsportstudio "Grapple & Strike" gefunden, wo die Boxgruppe für einen stark reduzierten Preis trainieren kann. "Uns ist es wichtig, ein Statement zu setzen", erklärt Mitarbeiterin Kathrin Herold. "Im Kampfsport muss man sich klar nach rechts abgrenzen", sagt Herold, die auch selbst Gruppen trainiert. Kampfsport sei eine Männerdomäne und für nationalsozialistische Kreise besonders interessant.
Ein paar Meter weiter übt die Boxgruppe mittlerweile die Fußarbeit bei der Verteidigung. Je zwei Menschen finden sich zu Teams zusammen, einer stülpt sich zwei runde Schlagpolster, die sogenannten Pratzen, über die Hände. Ohne Vorwarnung greifen die Pratzenträger an und zielen mit schnellen Schlägen auf ihr Gegenüber. Die Attackierten sollen währenddessen geschmeidig zurückweichen. "Wenn die Schulter nach vorne kommt, muss man sich wegbewegen", erklärt Timm-Schneider. Eine gute Grundstellung und Beinarbeit seien für einen Boxer unverzichtbar.
Besonders genau im Blick hat die Trainerin Julia Niegel, die erst seit Januar mit der Gruppe trainiert. Boxen sei für sie völlig neu, sagt Niegel, eigentlich komme sie aus dem Fußball. "Ich bin normalerweise zurückhaltender, die Gruppe macht einem das Ankommen aber leicht." Die Boxsparte vereint verschiedene Sportlevel. Die ältesten Mitglieder sind seit Gründung der Abteilung 2004 dabei, andere erst vor einigen Wochen oder Monaten dazugestoßen.
Für Timm-Schneider ist es wichtig, dass sich bei "Wärmer Bremen" alle beim Sportmachen wohlfühlen. "Wir können hier einfach sein, wie wir wollen", sagt die Trainerin. "Wir müssen nicht zeigen, wie doll wir zuschlagen oder wie schnell wir uns bewegen können." Der Fitness-Effekt steht bei ihrer Gruppe im Vordergrund, darum, andere einzuschüchtern oder unbedingt Leistung zu zeigen, geht es nicht.
An diesem Abend endet das Training mit einem "Gut Sport" aus vielen Mündern, viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen bleiben noch für einen kurzen Plausch. Bereits vorher hat man sich für den nächsten gemeinsamen Kneipenabend verabredet. Denn größtenteils ist "Wärmer Bremen" genauso, wie er beim Training auch wirkt: Ein Sportverein, wie alle anderen auch.