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Leszek Kass hört auf "Was bleibt für mich?"

Stabhochsprung-Trainer Leszek Kass hat nach 18 Jahren seine halbe Stelle beim SV Werder aufgegeben und ist in einen "normalen" Beruf gewechselt. Sein Schritt offenbart Fluch und Segen des Trainerlebens.
07.06.2022, 15:43 Uhr
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Von Olaf Dorow

Nachmittags, kurz nach halb fünf: Er fahre jetzt nach Hause, sagt Leszek Kass. Das gehört jetzt zu seinem neuen Leben, dass er das kurz nach halb fünf sagen kann. Das war in seinem alten Leben nur selten so. In seinem alten Leben war es sehr oft so, dass er statt in den Feierabend zum Trainingsplatz gefahren ist und erst gegen halb zehn zu Hause war.

Leszek Kass, 56 Jahre alt, ist jetzt nicht mehr Stabhochsprung- und U14-Trainer mit einer halben Stelle beim SV Werder und auch nicht mehr Athletiktrainer an der Sportbetonten Schule Ronzelenstraße. Er arbeitet jetzt als Materialwart im Sportturm an der Bremer Uni. Er geht jetzt, wie man so schön sagt, einer geregelten Arbeit nach. Sein Beispiel zeigt, was alles so dranhängt an einem Trainerleben. Es kann viel geben, es nimmt und fordert auch viel. Vor allem der zeitliche Aufwand ist enorm, freie Wochenenden sind die Ausnahme, nicht die Regel. Leszek Kass will das nicht als Last darstellen, aber eine Belastung ist es eben doch. "Was bleibt für mich?": Diese Frage habe er sich gestellt, sagt Kass, und zwar nicht in materieller Hinsicht. Dass er jetzt mehr Zeit und Raum für sich hat, sei der Hauptgrund für seine Entscheidung gewesen, den Job zu wechseln.

18 Jahre lang hat er das gemacht in der Leichtathletik-Abteilung des SV Werder. Seine Athleten holten 17 Medaillen bei deutschen Meisterschaften, und achtmal waren sie auch bei internationalen Meisterschaften vertreten. Dass er geht, sei "ein Riesenverlust", sagt Sportwart Andrei Fabrizius, der selbst mit einer halben Trainerstelle beim Verein angestellt ist und der das mit der zeitlichen Belastung nur allzu gut kennt. Wochenende für Wochenende reise er gerade wieder mit seinen Athleten zu Wettkämpfen. Es seien 13 Wochenenden am Stück. Im Vergleich zu früher seien die Saisons im Sommer immer weiter in die Länge gezogen worden, sagt Leszek Kass. Bis weit in den September würde es gehen. "Da steht man noch länger unter Dampf", sagt er. Drei Wochen Pause, dann würde schon wieder die Vorbereitung auf die Hallensaison beginnen.

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Andrei Fabrizius ist aktuell der einzige Leichtathletik-Trainer mit einer festen halben Stelle bei Werder, alle anderen sind auf Honorarbasis engagiert. Reichtümer sammelt niemand, ohne die nötige Portion Idealismus würde es nicht funktionieren. Der Verein hat die halbe Stelle ausgeschrieben, die Leszek Kass ausgefüllt hat. Es wird womöglich nicht so leicht sein, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden. Vollumfänglich ersetzen könne man Leszek Kass ohnehin nicht, sagt Andrei Fabrizius. Stabhochsprung ist eine sehr komplexe und technisch anspruchsvolle Angelegenheit, da geht mit Leszek Kass auch viel Know-How.

Die sozusagen gute Nachricht für Werders Leichtathleten ist, dass er nicht so ganz geht. Er will zumindest in den speziellen Technik-Einheiten einige Athleten bis zum Ende dieser Saison noch weiter beraten und betreuen. Und er würde sie auch so lange betreuen, so lange die Nachfolge noch nicht geregelt ist. Bastian Lanitz zum Beispiel hofft auf die deutschen U18-Meisterschaften Mitte Juli in Ulm.

Seine Athleten, ihre Entwicklung bedeuten Kass etwas. So, wie vielen Athleten auch die Zeit im Sport, die Zeit mit ihrem Trainer etwas bedeutet hat. Neulich habe er sich mal mit Stina Seidler unterhalten, die lange bei ihm trainiert hat und später deutsche U23-Meisterin geworden ist. Ob sie das mit dem Leistungssport noch mal so machen würde. "Ich habe euch doch nur gequält", habe er gesagt. Doch, sie würde es wieder so machen, habe Stina Seidler geantwortet. Die Zeit im Leistungssport sei ihr sehr wichtig, auch im Sinne der Persönlichkeitsentwicklung.

Leszek Kass wiederum war es wichtig, das so von einer Athletin gespiegelt zu bekommen. Auch seine Söhne hatten so ähnlich wie Stina Seidler geantwortet, als er ihnen mal die Sinnfrage gestellt hatte. Alle drei Jungs hatten sich im Stabhochspringen versucht. Philip, der jüngste des Trios, hatte es bis auf 5,50 Meter gebracht und zählte bis zum vergangenen Jahr zu den besten deutschen Springern, wenn auch nicht zu den allerbesten. Leszek Kass erzählt, sein Schwager habe ihn damit aufgezogen, dass sich die Jungs doch nur wegen Papa in Papas Lieblingsdisziplin üben würden. So sei es aber nicht gewesen.

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Es sei wirklich nett und schön gewesen, Kinder und Jugendliche zum Sport, zu Leistungen zu motivieren oder ihre Entwicklung begleiten zu dürfen, sagt Leszek Kass. Auch wenn dieser spezielle Leistungsgedanke seiner Meinung nach etwas eher Seltenes geworden sei. "Wir sind eine Spaßgesellschaft geworden", sagt er, "der Leistungssport hat an Stellenwert verloren." Er sagt das ohne Bitterkeit, er hatte wirklich eine gute Zeit im Leistungssport. Viele hätten ihm sogar gesagt, er werde nicht ohne das auskommen können, was er die vergangenen Jahrzehnte gemacht hat. Mal sehen, habe er gesagt. Vielleicht tauche er als Ehrenamtler hier und da wieder auf.

Aber in erster Linie will er jetzt mal den Freiraum spüren, der durch den Wegfall von Wettkämpfen, Trainingseinheiten, Trainingslagern entsteht. Mit Langeweile wird der Freiraum wohl eher nicht gefüllt werden. "Meine Frau", sagt Leszek Kass mit trockenem Humor, "hat schon viele Aufgaben für mich."    

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