Als der SV Werder im Jahr 2022 ein Kinderschutzprogramm vorstellte, das in Zusammenarbeit mit der Kindernothilfe entwickelt wurde, sprach Werder-Präsident Hubertus Hess-Grunewald von „einem Meilenstein für unseren Verein“. Ob bei Auswärtsfahrten von Jugendmannschaften, in der Umkleide nach dem Training, bei Veranstaltungen oder in der Windel-Liga: Werder solle für Kinder und Jugendliche immer ein sicherer Hafen sein.
Welche Konsequenzen dieses Konzept im Alltag haben kann, hat der Verein nun auch erlebt: Weil das Kinderschutzprogramm Alarm schlug, hat sich der Verein von seinem Handball-Jugendkoordinator Maximilian Gutzeit getrennt. Per einstimmigem Präsidiumsbeschluss wurde eine Kündigung in der Probezeit ausgesprochen mit sofortiger Freistellung von seinen Aufgaben.
Vorher hatten sich Eltern, Jugendspielerinnen und Mitarbeiter der Grün-Weißen Hilfe suchend an die neutrale und abteilungsübergreifende Anlaufstelle des Werder-Kinderschutzprogramms gewandt. Eltern berichten im Gespräch mit dem WESER-KURIER von rund 30 solcher Meldungen. Laut Werder waren es weniger, aber in jedem Fall genug, um den Fall ernst zu nehmen. Gutzeit war erst diesen Sommer vom Handball-Verein TV Hannover-Badenstedt gekommen, dort hatte er ebenfalls Mädchen- und Jugendmannschaften trainiert. Beim SV Werder war er Trainer der weiblichen Bundesliga-A-Jugend und der weiblichen C-Jugend.
Vereinspräsident Hess-Grunewald betont, dass die Trennung konsequent und richtig war: „Wir haben die Meldungen ernst genommen. Wir wollen bei Werder eine Kultur des Hinsehens, in unserem Verein wird bei Grenzüberschreitungen nicht weggeschaut. Kein Kind, das bei Werder Sport treibt, soll sich wie ein Opfer oder wehrlos fühlen.“ Das Schutzkonzept trage aus einem guten Grund den Namen „Sicherer Hafen“, denn: „Eltern sollen ein gutes Gefühl haben, wenn sie ihre Kinder zu Werder schicken. Daran darf es keinen Zweifel geben.“
Die vorgeworfenen Grenzüberschreitungen, die zur Trennung vom Jugendkoordinator führten, waren laut Werder und Eltern nicht im justiziablen Bereich. Es liegen deshalb keine Anzeigen vor, es gibt keine Ermittlungen der Polizei. Die Vorwürfe sind – für sich genommen und in der Summe – aber dennoch nicht in Einklang zu bringen mit den bei Werder gelebten Werten. Es geht unter anderem um den Missbrauch einer Machtposition gegenüber Schutzbefohlenen, um körperliche Distanzlosigkeit und eine stark sexualisierte Sprache, die vor allem jüngere Mädchen verstört habe. Eltern berichten dem WESER-KURIER zudem von Videos, die in der Chatgruppe der Mannschaften kursierten, auf denen unangebrachte Berührungen zu sehen seien und auch eine nicht zu rechtfertigende Nähe außerhalb des Spielfeldes. Manche Fälle datieren aus der Sommervorbereitung, andere Dinge entwickelten sich schleichend über Wochen. Nach Schilderung betroffener Eltern sollen auch Kleidung und Aussehen der Spielerinnen zunehmend eine Rolle gespielt haben.
In einer ersten Stellungnahme zur Trennung hatten der Verein und Gutzeit „unterschiedliche Auffassungen über die Art und Weise der Zusammenarbeit“ als Grund genannt, vor allem im konzeptionellen Bereich. So kurz nach der Verpflichtung des neuen Mannes klang das wenig glaubwürdig – und es empörte einige Eltern, deren Mädchen nicht mehr mit Freude und einem sicheren Gefühl zum Training und zu den Spielen gingen. Die Form der Kommunikation nach außen wurde laut Werder bewusst gewählt, um die Rechte aller entsprechend des Kinderschutzkonzepts zu wahren. Dennoch soll die interne Kommunikation aufgearbeitet werden. Die betroffenen Eltern wurden zusätzlich dadurch beunruhigt, dass sie aus dem familiären Umfeld junger Spielerinnen beim TV Hannover-Badenstedt erfuhren, dass es auch dort Probleme gegeben haben soll. Gutzeit bestreitet das. Eine offizielle Bestätigung des Vereins aus Hannover über dortige Vorfälle gibt es nicht.
Manche Eltern bedauern den Trainerwechsel
Es gibt bei Werder auch Eltern, die den abrupten Trainerwechsel bedauern, weil Gutzeit mit seinem handballerischen Fachwissen die Spielerinnen besser gemacht habe. Rund um die betroffenen Jugendmannschaften herrscht keine Einigkeit darüber, wie die Vorfälle zu bewerten sind. Auch deshalb wird es im Gesamtverein SV Werder mit seinen vielen Sportarten und Sparten positiv gesehen, dass es eine abteilungsübergreifende Anlaufstelle gab, die eine gewisse Distanz zum Geschehen und zu den handelnden Personen hat. Ob nach den ersten Meldungen in dieser Sache alle vorgesehenen Wege innerhalb des Vereins eingehalten wurden und ob alle denkbaren Maßnahmen ausgeschöpft wurden, wird derzeit aufgearbeitet, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen weiter zu verbessern. Schon Mitte August gab es erste Hinweise, aber erst in der ersten Septemberwoche erfuhren der Präsident und der Handballvorstand davon. An der Sportbetonten Schule Ronzelenstraße, wo ebenfalls Handball-Trainingseinheiten mit Gutzeit stattfanden, gab es keine Auffälligkeiten. Der dortigen Schulleitung wurden keine Probleme gemeldet.
Maximilian Gutzeit sagt im Gespräch mit dem WESER-KURIER, er fände es schade, „wenn sich Mädchen durch meine Trainingsarbeit eingeschüchtert oder verängstigt gefühlt hätten“, denn so wolle er als Trainer und Mensch nicht wahrgenommen werden. Allerdings kenne er bis heute keine konkreten Vorwürfe, der Verein habe das ihm gegenüber nicht genauer benannt. Gutzeit: „Es ist schade, dass es im Vorfeld der Trennung kein klärendes Gespräch gab und damit auch keine Chance, Dinge anders zu machen.“
Für Werder-Präsident Hubertus Hess-Grunewald ist klar, dass die Werte des SV Werder und der Schutz aller Sportlerinnen und Sportler zu wichtig sind, um bei im Raum stehenden Grenzüberschreitungen dieser Art zu diskutieren. Er sagt: „Es geht darum, eine Kultur des Hinsehens bei Werder zu leben und nachhaltig zu etablieren.“ Schließlich war der SV Werder erst zu Beginn dieses Jahres mit dem Kinderschutz-Siegel der Bremer Sportjugend (BSJ) ausgezeichnet worden – für den besonders guten Schutz von Kindern und Jugendlichen im Vereinsleben.