Sie ist noch sehr jung, sie wird im Mai erst 20 Jahre alt. Einerseits. Auf der anderen Seite darf man Emilie Bernhardt mit einiger Berechtigung, zumindest im Jargon, als alten Hasen bezeichnen. Als, nun ja: eine, die schon ganz gut weiß, wo der Hase langläuft. Mit dem Fußball hat Emilie Bernhardt aus Ingolstadt bereits im Kindergarten-Alter angefangen. Und sie hat schon oft für Deutschland gespielt, angefangen in der U15-Auswahl des DFB, aktuell in der U20. Für die U20 steht im August die WM in Costa Rica auf dem Programm. Es sei ein großes Ziel, sagt Emilie Bernhardt, die an diesem Sonntag mit dem SV Werder beim Tabellenführer VfL Wolfsburg in die Rest-Saison einsteigt (13 Uhr).
Das mit dem großen Ziel wäre wohl kaum zu widerlegen, aber es wäre für sie nicht das erste größere internationale Turnier. Sie war schon mit der U17 in Litauen, wo erst im Finale der Traum vom EM-Titel ausgeträumt war. Sie war bei der Juniorinnen-WM in Uruguay, sie wurde vor zwei Jahren beim Juniorinnen-Turnier daheim mit Deutschland Europameisterin. Geht es so weiter, landet sie dann halt auch in der A-Nationalmannschaft. Das allerdings wäre die große Frage, ob sie diese quasi letzte Stufe auch noch erreicht. "Das ist noch ein weiter Weg", sagt Werder-Trainer Thomas Horsch.
Seit einem halben Jahr steht die Jugend-Nationalspielerin aus Bayern jetzt im Bremer Bundesliga-Kader. "Ich bin sehr zufrieden mit ihrer Entwicklung", sagt Horsch. Emilie Bernhardt sei sehr flexibel einsetzbar in der Abwehrkette, sei stark im Zweikampf und zeige "sehr gute Ansätze in der Spieleröffnung". Auch das Zusammenspiel mit dem DFB, Horschs ehemaligem Arbeitgeber, habe bestens geklappt. Zurückgeworfen durch eine Muskelverletzung, erhielt die junge Verteidigerin in Bremen phasenweise kaum Einsätze. Die Spielpraxis, die sie stattdessen im DFB-Dress bekam, habe sehr geholfen, sagt der Werder-Trainer. Zuletzt sei Emilie Bernhardt vermehrt eingesetzt worden, sie sei inzwischen "so richtig angekommen" im Bremer Team.
"Als klare Stammspielerin würde ich mich noch nicht bezeichnen", sagt die neue Werder-Spielerin, "aber kurz vor Weihnachten bin ich ganz gut reingekommen." Ihre fußballerische Selbsteinschätzung ähnelt der des Trainers. "Ich habe ganz gern den Ball, ich bin im Zweikampf robust und versuche auch, von meiner Position aus andere zu coachen", sagt sie. Sie ist eine, die sich einbringt, denkt man. Eine, die ihren Weg schon gehen wird.
Zumindest würde das gut passen zu ihrer bisherigen Karriere, die erst seit wenigen Monaten die Ebene Bundesliga erreicht hat. Um es mit einer Sportfloskel zu sagen: Sie hat die Herausforderungen angenommen. Eigentlich sei sie nicht die Weltentdeckerin, die man sich in ihrem Fall vorstellen könnte. Weil sie ja weit weg von der bayrischen Heimat oben in Bremen einen Vertrag unterschrieben hat. Weil sie schon auf diversen Lehrgängen war, auf Turnieren in Uruguay oder demnächst vielleicht Costa Rica. Das Abenteuer, in Florida für ein College-Team zu spielen, hatte sie nach dem Abitur nur deswegen vorzeitig abgebrochen, weil die Pandemie ausbrach und alles Mögliche zum Stillstand brachte. "Eigentlich hatte ich früher eher Heimweh auf den Lehrgängen", sagt sie. Das habe sich aber gelegt mit der Zeit. Dass sie zunächst fremdelte mit den längeren Aufenthalten in der Fremde, wurde kein Grund hinzuschmeißen.
So ähnlich lief das auch mit ihrem Platz auf dem Platz. In einem U14-Spiel der Bayern-Auswahl gegen Niedersachsen habe der Trainer sie in die Defensive gesteckt. Bei der Rolle auf dem Feld blieb es in den Jahren danach. Nur anfangs sei es recht ungewohnt gewesen, erzählt sie. Sie kann sich gut anpassen, denkt man, das wäre ja immerhin eine hilfreiche Eigenschaft in einer Mannschaftssportart. Emilie Bernhardt sagt, sie habe nicht lange überlegen müssen, als das Angebot aus Bremen kam. Sie sei sehr gut aufgenommen worden. "Es war eine einfache Entscheidung", sagt sie. Fußballerisch groß geworden in Ingolstadt und beim FC Bayern, wagte sie – abgesehen vom kurzen Intermezzo in Florida – den Sprung weg von zuhause. Sie studiert jetzt im Fernstudium Internationales Management und wohnt in einer WG zusammen mit Mitspielerin Rieke Diekmann, die im vergangenen Sommer ebenfalls neu zum SV Werder kam. Diekmann, sechs Jahre älter, ist längst Stammspielerin, Bernhardt ist auf dem Weg dahin.
Und was ist mit ihrem Weg bis hin zur A-Nationalspielerin? Ist schwer, ist aber nicht ausgeschlossen, sagen Trainer wie Spielerin vorsichtig. "Das Talent hat sie", sagt Thomas Horsch. Und dass es kein großer Wunsch wäre, braucht man auch nicht zu denken. "Ich würde jedenfalls hinfahren", sagt Emilie Bernhardt, "wenn ich eine Einladung zur Nationalmannschaft bekommen würde."