Bremer-Nord. Bremen-Nord hinkt hinterher. Jedenfalls ist der Wirtschafts- und Strukturrat (WIR) der Meinung, dass es einen Nachholbedarf „bei diversen Themen der Stadtentwicklung“ gibt. Bau und Verkehr sind solche Bereiche. Und der Wirtschaftsrat beklagt sich in einer umfangreichen Stellungnahme, dass es nicht mit mehr Tempo vorwärts gehe. Vieles, so die Grundaussage des WIR, passiert viel zu langsam. „Weitere Verzögerungen sind nicht akzeptabel.“ Seit rund zwei Jahren werde dem Norden seitens der Koalition ein Entwicklungskonzept versprochen, lautet ein Beispiel. Das Papier liegt immer noch nicht vor.
Die A 281 ist ein weiteres Beispiel dafür, wo es dem Wirtschaftsrat viel zu langsam geht. Wenn die Autobahn einmal fertig ist, so hofft der Wirtschaftsrat, dann sind die Unternehmen im Norden besser erreichbar und können auch einfacher Waren zu ihren Kunden transportieren. „Die damit angestrebte verbesserte Anbindung an die A1 in Richtung Süden sowie an große Teile der Weser-Ems-Region einschließlich Oldenburg ist von zentraler Bedeutung für die hiesigen Industrie- und Gewerbeflächen.“ 270 Vertreter von Unternehmen und Institutionen gehören dem Wirtschafts- und Strukturrat an.
Damit die Autobahn irgendwann einmal durchgängig befahrbar ist, müssen noch zwei Bauabschnitte fertig werden. Laut Frank Steffe aus dem Ressort von Verkehrssenator Joachim Lohse (Grüne) soll der Planfeststellungsbeschluss für den Abschnitt 2/2 bei Kattenturm Mitte 2018 vorliegen. „Die Behörde kann über weitere Verzögerungen nur spekulieren.“ Damit spielt er auf die offene Frage an, ob die dortige Bürgerinitiative klagen wird.
Näher an Bremen-Nord liegt der geplante Wesertunnel, der Baubschnitt 4 der Autobahn. Hier ist nach Auffassung des Lohse-Ressorts der Klageweg für die Bürger ausgeschöpft. Auch die Finanzierung ist gesichert, nachdem sich die Idee zerschlagen hat, den Tunnel privat zu finanzieren. Die notwendigen Beschlüsse für den Bau sollen Anfang des Jahres vorliegen, auch eine Einigung mit einem Unternehmen in Grundstücksfragen stehe bevor. Mitte des Jahres, ist Frank Steffe überzeugt, beginnt der Tunnelbau zwischen Seehausen und dem Stahlwerke-Gelände. Der Wirtschaftsrat seinerseits pocht darauf, dass die Autobahn 2021 fertiggestellt wird.
Das nächste Thema, mit dem sich der WIR-Vorstand befasst, ist der Wohnungsbau: „Mit Sorge beobachtet der WIR Verzögerungen bei der Entwicklung von Wohnungsbauprojekten. Beispielhaft wird nicht nur das Projekt Hartmannstift in Vegesack genannt, bei dem seit nunmehr sieben Jahren versucht wird, einen Ort für Wohnen und Gewerbe entstehen zu lassen. Mehrere Mitgliedsbetriebe aus der Bauwirtschaft sind mit Klagen über Projektverzögerungen und der Bitte um Unterstützung an den WIR-Vorstand herangetreten.“
Die Klagen der Mitgliedsfirmen betreffen nach Aussage des WIR insgesamt 500 Wohneinheiten. „Es geht dabei neben dem Bauprojekt Cranzer Straße in Rönnebeck um weitere Projekte in Aumund und Lesum.“ Wie berichtet, will die Gewosie an der Cranzer Straße ein Wohngebiet mit 140 Wohneinheiten auf sieben Hektar errichten. Der Beirat Blumenthal berät in seiner Sitzung am Montag, 20. November, wie es in diesem konkreten Fall weitergeht. Die Gewosie hatte zuletzt angepeilt, im Jahr 2019 mit dem Bau beginnen zu können.
„Wenn der Senat Bremen zur wachsenden Stadt erklärt, dann gilt das auch für den Bremer Norden. Gerade der Zielgruppe Neubürger und hier speziell den jungen Familien müssen rasch attraktive Angebote gemacht werden“, sagt der Wirtschaftsrat-Vorstand Rainer Küchen.
Seit vielen Monaten arbeitet der Bremen-Nord-Beauftragte des Senats an einem Gesamtkonzept für Bremen-Nord. Allerdings muss sich Martin Prange Kritik daran gefallen lassen, dass es so lange dauert. „Wir erleben Martin Prange in der Sache engagiert und stets konstruktiv im Umgang“, so der WIR in seinem Statement, "dennoch fragen wir uns, warum sich die ISEK-Fertigstellung verzögert.“ ISEK steht für Integriertes Struktur- und Entwicklungskonzept für Bremen-Nord.
Das Konzept sei wichtig, um Bremen-Nord im Standortwettbewerb besser zu positionieren. Die Ziele: Schaffung von Arbeitsplätzen, Ansiedlung neuer Unternehmen ein Plus bei Neubürgern und Einzelhandelskunden. Und obendrein, mehr Touristen vom Norden der Stadt zu überzeugen. „Deshalb drängt der WIR bei diesem Thema auch auf Fertigstellung ohne weitere Verzögerung.“
Ganz so schnell wird es nach Auskunft von Martin Prange aber nicht gehen. Die Abstimmung aller Beteiligten, sagt der Nord-Beauftragte zieht sich hin. Regelmäßig finden derzeit in seinem Büro die Redaktionssitzungen für das Papier statt. Anfang kommenden Jahres, stellt er in Aussicht, „werden wir in die Beiräte der drei Nordbremer Stadtteile gehen“.
Prange verweist auf einen zweiten Grund, warum sie die Arbeit am ISEK länger hinzieht als beabsichtigt. Es sind die aktuellen Sorgen und Probleme. Damit meint er unter anderem den Zuzug in Blumenthal. Und die Situation an den Nordbremer Schulen. „Das ist“, sagt der Mann im Rathaus, „absolut herausfordernd.“
Der Wirtschafts- und Strukturrrat steht derweil mit seiner Kritik, dass in Bremen-Nord wenig vorangehe, nicht allein da. Das Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) hat 2015 eine Untersuchung zu den Nordbremer Strukturproblemen vorgelegt mit dem Ergebnis, dass die Projekte und Programme, die für den Stadtbezirk in den vergangenen 20 Jahren aufgelegt worden sind, allesamt ihr Ziele nicht erreicht haben. Die Wissenschaftler, die ihre Studie im Auftrag der Arbeitnehmerkammer angefertigt hatten, wollen in der kommenden Woche erneut über ihre Ergebnisse sprechen. Für Dienstag, 14. November, laden sie zum Colloquium ein. Beginn ist um 16 Uhr im Sitzungsraum an der Wiener Straße 9.