Die richtigen Schmunzelgeschichten, die einem hier und da zu Ohren kommen, wenn man alteingesessene Stedinger trifft, wollen die 19 Männer und eine Frau, die im Gasthof „Zur Alten Schänke“ zusammensitzen, nicht zum Besten geben. Unterhaltsam ist das Ehemaligen-Treffen der Gesellschaft Fähren Bremen-Stedingen (FBS) aber allemal.
Drei Stunden lang schwelgen die Ruheständler in Erinnerungen. Und von denen gibt es einige. Schließlich bringen es die ehemaligen Mitarbeiter auf 470 Jahre Erfahrung mit der Fahrt auf Fähren.
Eines ist immer wieder zu hören: Früher war mehr Eis. Fast klingt es wie Opa Hoppenstedts Mantra „Früher war mehr Lametta“ in Loriots Sketch „Weihnachten bei Hoppenstedts“. „Wir hatten mal so einen Eisgang, dass wir eine Stunde von Blumenthal nach Motzen brauchten“, erzählt der Berner Heinke Steenken, der vor knapp fünf Jahren in Rente ging und davor 33 Jahre als Maschinist für die FBS tätig war.
Eisplatten verlangsamten die Fahrt
Ungläubige Blicke erntet der 68-Jährige für seine fantastisch anmutende Geschichte nicht. Eine Stunde für 350 Meter? Der ehemalige Kassierer Herbert Großmann, der knappe 20 Jahre beruflich zwischen Lemwerder und Vegesack gependelt ist, pflichtet Steenken bei. „Die Eisplatten haben uns mal bis weit am Jachthafen vorbei nach Bremen abgedrängt. Dann mussten wir uns gegen Strömung und Eis zurück nach Lemwerder kämpfen.“ Das dauerte dann eben seine Zeit. Die Eisplatten seien mit ablaufendem Wasser aus der Lesum in die Weser gesogen worden. Um nicht festzufrieren, hätten die Schiffsführer die Schiffsschrauben ohne Unterlass drehen lassen.
Als einziger, der noch immer für die FBS arbeitet, nimmt Thorsten Tietjen am Treffen teil. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende ist seit 24 Jahren bei der Fährgesellschaft – als Mfa, wie er sagt. Mädchen für alles. Der Dienst an Deck ist ihm ebenso geläufig wie das Erstellen von Dienstplänen. Und auch den Eisgang hat er kennengelernt. „Als ich hier angefangen habe, hatten wir minus 18 Grad.“
Mittlerweile seien die Schiffe besser auf den Eisgang vorbereitet. „Die ,Vegesack‘ hat einen eisverstärkten Propeller“, schildert Tietjen. „Bei der alten ,Lemwerder‘ hatten wir im Winter immer Körbe angebaut. Die haben zwar die Leistung vermindert, dafür schützten sie die Propeller vor den Eisschollen.“

Im Februar 2012 hatte die Schiffsbesatzung an der südlichsten Fährstelle letztmalig mit extremem Eingang zu kämpfen. Die Ruheständler der Fährgesellschaft Bremen-Stedingen erinnern sich hingegen an viele kalte Winter.
Der Fährgesellschaft dürfte es recht sein, dass die Winter milder geworden sind. „Eisgang bedeutet immer hohe Reparaturkosten“, weiß Thorsten Tietjen. Schäden an den Propellern seien dabei ebenso zu beklagen wie große Flächen, von denen die Eisschollen die Farbe geschrammt haben.
Willi König, mit 96 Jahren der Senior unter den Senioren, erinnert sich, bei starkem Eisgang früher die „Stedingen“ am Steg liegen gelassen und die Gäste mit einem Schlepper übergesetzt zu haben. Zumindest die ohne Auto. So habe wenigstens der Personenverkehr zwischen Vegesack und Lemwerder aufrecht erhalten werden können. Gependelt ist der Hiddigwarder damals noch zwischen den alten Anlegern. Erst für ein neues Schiff, die „Lemwerder“, seien beidseits der Weser neue Rampen gebaut worden.
Zu Königs Zeit, ab Ende der 1940er-Jahre, beförderte die Fähre aber auch zu eisfreien Zeiten nur wenige Autos. „Drei an der Seite und vier in der Mitte“, erinnert sich der Hiddigwarder. Hauptkunden seien Mitarbeiter der Werft Abeking und Rasmussen gewesen. „Beim Vulkan fuhr noch eine zusätzliche Personenfähre.“
Körperhaltung verriet Betriebszugehörigkeit
Allein an der Köperhaltung der einzelnen Fahrgäste habe man die Zugehörigkeit zu den Betrieben erkennen können, erinnert Georg „Schorse“ Westermeyer. Die Kassierer-Kollegen unter den FBS-Senioren stimmen zu. Selbst der Runden-Jüngste, Thorsten Tietjen, erinnert sich noch an die Unterschiede: „Man erkannte, ob es Arbeiter von Rasmussen oder die Herren von der DASA waren.“

Georg Westermeyer, Willi König und Horst Ammermann schwelgen beim Treffen der FBS-Ruheständler in Erinnerungen.
Westermeyer schwärmt immer noch von der Kameradschaft an Bord. Er gehört zu dem Kreis ehemaliger Lemwerderaner FBS-Mitarbeiter, die sich noch heute regelmäßig treffen. Interessiert verfolgt er die Entwicklung seines ehemaligen Arbeitgebers. So ließ es sich der heute 81-Jährige beispielsweise nicht nehmen, im Juni 2011 bei der Einweihung des Fährschiffs „Lemwerder II“ dabei zu sein.
Die Fährstelle Vegesack-Lemwerder war auch Herbert Großmanns Haupteinsatzort. Der Ruheständler erinnert sich, montags einen Teil seines Dienstes an Land statt an Bord versehen zu haben. „Da haben die Mitarbeiter der Werften früh morgens ihre Wochenkarten gekauft. Die Nachtschicht musste deshalb eine Stunde länger bleiben und am Fähranleger die Fahrkarten verkaufen.“ Die Einnahmen steckten die Mitarbeiter noch lose in die Taschen. „Links die Mark, rechts die Zweier und die Scheine oben in die Jackentasche“, resümiert Großmann. Heute undenkbar.

Die Fähren Bremen-Stedingen verkehren auch bei Eisgang. Die neuen Schiffe sind besser auf Eisgang eingestellt als die alten Fähren.
Die Werften verständigten sich mit der Zeit über unterschiedliche Feierabendzeiten. „Sonst hätten die Mitarbeiter gar nicht alle auf die Fähre gepasst“, erzählt der ehemalige Kassierer. Heinz Eilers, der jahrelang die „Lemwerder“ zwischen den beiden südlichsten Fähranlegestellen hin und her manövriert hat, erinnert sich ebenfalls an das rege Treiben an Deck. „Normal passten mehr als 30 Autos auf die ,Lemwerder‘. Bei Feierabend der Werften und den vielen Arbeitern, die zu Fuß oder mit dem Rad kamen, waren sechs zusätzliche Autos allerdings schon viel.“
Neben dem Frost mit seinem Eisgang sorgt ein weiteres Wetterphänomen für eine Geschichte, die entlang der Weser immer wieder mal gerne erzählt wird. Schiffsführer Alfred Menge erinnert sich noch gut, schließlich war er selbst dabei. Der heute 82-Jährige versah bei dichtem Nebel seinen Dienst als Schiffsführer zwischen Berne und Farge, als plötzlich das Fährschiff aus Motzen neben seiner „Juliusplate“ auftauchte. Der noch neue Kollege hatte die Orientierung verloren und sich verfahren.
Die ersten Schiffe waren noch nicht so stark motorisiert
Horst Ammermann erinnert sich an die „Juliusplate“. „Die haben wir zum Schluss immer mit einem Tau am Dalben festgebunden. Das Schiff wäre aufgrund der Strömung sonst abgetrieben.“ Die erste Generation der Schiffe war noch nicht so stark motorisiert wie die heutige. Die mit der Zeit immer höhere Strömungsgeschwindigkeit in der Weser machte den Fahrzeugen zunehmend zu schaffen. Dennoch hat der 71-Jährige die alten Schiffe, insbesondere die „Lemwerder“, geliebt. „Die konnte man fahren wie ein Boot.“ Wendig sei das Schiff gewesen und gutmütig.
FBS-Geschäftsführer Andreas Bettray freut sich stets auf das Ehemaligen-Treffen. Da kann auch er noch Neues über seine alten Schiffe erfahren. Stolz ist Bettray darauf, dass viele seine Mitarbeiter den FBS über Jahrzehnte die Treue halten. „Wir haben so gut wie keine Fluktuation. Wenn die Leute zu uns kommen, haben sie die Erwartung, nicht mehr zu wechseln.“
Und auch die Ruheständler bleiben der Gesellschaft treu und nehmen gerne an den Ehemaligen-Treffen kurz nach Jahresbeginn teil.