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Reportage über Polizei-Schießstand Huckelriede Über Kimme und Korn

Eine der modernsten Schießanlagen bundesweit steht in Bremen-Huckelriede. In dem langen Flachbau trainieren 2500 Beamte der Polizei Bremen, die Beamten der Bundespolizei und Zöllner aus Bremerhaven.
23.11.2014, 00:00 Uhr
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Von Corinna Tonner

Udo Schmale ist der Mann, der der Bremer Tatortkommissarin Inga Lürsen alias Sabine Postel das Schießen beigebracht hat. Und zwar auf einer der modernsten Schießanlagen bundesweit, in Huckelriede auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei. In dem langgestreckten Flachbau trainieren 2500 Beamte der Polizei Bremen, die Beamten der Bundespolizei und Zöllner aus Bremerhaven. Schmale ist der Leiter der Schießanlage.

Die Walther P99 ist die Dienstwaffe der Bremer Polizei. Schmal und schwer, knapp 700 Gramm kompaktes Metall, schwarzgrau, mit 15 Schuss Munition. Gehalten wird sie mit beiden Händen und mit durchgestreckten Armen. Mit einem Auge zielt man über Kimme und Korn. Wer Rechtshänder ist, sollte auch mit dem rechten Auge das Ziel anpeilen, sagt Udo Schmale, dann funktioniert es besser. Der linke Fuß steht vorn, das optimiert die Standfestigkeit. Der Finger am Abzug wird langsam durchgezogen, dann knallt es laut, und das rote Viereck auf der Schießscheibe hat ein Loch mehr.

Die Patronenhülse aus Messing springt mit einem charakteristischen „Ping“ auf den harten Fußboden. Die Kugel ist im „Geschossfang“ zerplatzt, einer schrägen Stahlwand, die hinter einem Vorhang keilförmig nach unten verläuft. Fünf Tonnen Metall werden von der Waffenwerkstatt pro Jahr aus dem Geschossfang entsorgt.

„Es geht nicht ums Schießen“, sagt Udo Schmale. „Es geht darum, Situationen zu beherrschen.“ Situationen, in denen geschossen wird – oder auch nicht. Eine Gratwanderung mit Entscheidungen in Sekundenbruchteilen. Denn der Einsatz von Waffen ist für den Schießlehrer der Polizei nur ein Element in fatalen und weniger fatalen Szenarien, die hier trainiert werden.

Ein alkoholisierter Mann grüßt mit der Waffe in der Hand

Das demonstriert der 59-Jährige anhand von Filmen, die die sechs Schießlehrer der Anlage selber produzieren. Wie im Kino werden Personen – potenzielle Täter – lebensgroß auf dem Vorhang vor dem Geschossfang projiziert: „Das ist ein Kollege aus der IT-Abteilung“, sagt Udo Schmale. Für seinen Auftritt im Übungsfilm mimt der sehr überzeugend einen unangenehmen Typ mit wirren Haaren und freiem Oberkörper, mittelschwer alkoholisiert, der die Polizisten mit der Waffe in der Hand begrüßt: „Ey, was macht ihr denn hier?“

Wenn das Kriminal-Kino im Schießstand einen Namen hätte, würde es wohl „Konflikt im Hausflur“ heißen. Ein lautstarker Streit in der Wohnung, die Beamten sind von den Nachbarn gerufen worden. Sehen können sie nichts, denn in der Übungshalle versperrt eine Holzwand mit eingebauter Wohnungstür die Sicht. Dahinter wirft ein Beamer an der Decke das Szenario auf die Leinwand. Anhand der Geräuschkulisse müssen die Polizisten entscheiden: Einschreiten oder nicht?

Verstärkung rufen? Schreien? Schießen?

„An dieser Stelle kann man auch beschließen, auf Verstärkung zu warten“, sagt Udo Schmale. Wenn die Beamten aber die Haustür öffnen, nimmt das adrenalin-geladene Szenario in vier verschiedenen Varianten seinen Lauf. Gesteuert wird die Film-Sequenz aus einer schallgedämmten Kabine mit Blickkontakt in die Übungshalle, trainiert wird „taktisches Verhalten“. Mal ist der Mann bewaffnet, mal hält er nur eine Zigarette in der Hand – schwer erkennbar in dem schummrigen Flurlicht. Mal ist er allein, ein anderes Mal kommt noch ein Kumpel dazu, allerdings ohne Waffe.

Die Beamten sollen je nach Lage reagieren: Nur in Notwehr schießen, wenn der Täter auf sie schießt. Oder rufen „Waffe weg, Polizei“ und die Situation ohne Waffen klären. Rechtzeitig erkennen, dass der Mann keine Waffe, sondern eine Zigarette in der Hand hat. Was einfach klingt, kann schwierig sein im Abendlicht, bei einer blitzschnell eskalierenden Situation.

Eine moderne Anlage nur für die Polizei

Udo Schmale ist stolz auf die moderne Anlage, die erst dreizehn Jahre alt ist. Früher haben die Beamten jahrelang auf dem Schießstand der Bundeswehr in dem niedersächsischen Örtchen Haberloh bei Posthausen geschossen. Allein wegen der Fahrerei war jede Schießübung aufwendig, erinnert sich Schmale. Übungs-Filme gab es dort nicht und erst recht keine digitale Auswertung der Einschusslöcher. Trainiert wurde bei jedem Wetter unter freiem Himmel: „Das war oft kalt und zugig. Bei Regen lösten sich die Schießscheiben aus Pappe auf.“

In der Schießanlage in Huckelriede trainieren heute zehn Beamte einer Spezialtruppe, der „Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit“, von den Kollegen kurz BFE genannt. Sie werden zu besonders gefährlichen Situationen gerufen und zu kritischen „Großlagen“ wie dem Nordderby im Weserstadion. Die körperliche Leistungsfähigkeit der BFE-Spezialisten wird regelmäßig kontrolliert. Wer älter ist als 45 Jahre, scheidet aus der Einheit aus.

16 Schuss - mindestens elf Treffer

Einer der zehn Polizisten – Namen werden aus Sicherheitsgründen nicht genannt – soll heute zuerst die sogenannte „Kontrollübung“ absolvieren, eine Art Eingangsprüfung, die jeder vor dem Training bestehen muss. In voller Montur, mit schusssicherer Weste, Helm und Ohrenschützern muss er in 90 Sekunden 16-mal auf verschiedene Objekte schießen und dabei elf Treffer landen. Der Kandidat besteht nur knapp – nervös bei so viel Publikum?

„Das muss ein Schütze abkönnen“, sagt Udo Schmale. „Der muss auch dann treffen, wenn ich mit ihm über das Mittagessen spreche.“ Und das ist nur die harmlose Variante. Aus den Lautsprechern der Schießanlage kommen noch ganz andere Töne: Angstschreie, Blitz und Donner, schlagende Autotüren, lautes Hupen, splitternde Glasscheiben, Hundebellen – alles, was dazu geeignet ist, den Schützen aus der Fassung zu bringen.

Die Kollegen von der BFE werden von den Polizeischülern bewundert, die auch auf der „Bahn“ schießen. „Viele junge Männer wollen zur BFE“, sagt einer von ihnen. Auch er will nicht namentlich genannt werden. Anders als seine Mitstreiter David Faust aus Cuxhaven und die Bremerin Julia Perkhuhn, beide 21. „Der Beruf ist mein Kindheitstraum“, sagt Julia Perkhuhn. „Es gibt viel Abwechslung und Herausforderungen.“

Aber es gibt auch die Schattenseiten: Einsätze, die aus dem Ruder laufen und tödlich enden. So wie im Fall des 77-jährigen Mediziners aus der Wesermarsch, der am 20. Oktober von einem Polizisten erschossen wurde. Seine Frau hatte die Polizei wegen eines Ehestreits alarmiert. Der Mann zog eine Waffe – offenbar nur eine Schreckschusspistole, die täuschend echt aussah. War er womöglich lebensmüde und wollte die Beamten bewusst provozieren? Der Tathergang wird noch untersucht. „Es bleibt eine Gratwanderung“, sagt Udo Schmale.

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