Blumenthal. Blumenthaler haben schon öfter gesagt, was sie vom alten Ortskern halten. Doch noch nie sind ihre Meinungen so gesammelt worden wie jetzt: Auf einem Straßenplan im Internet kann man neuerdings sehen, was sie gut am Zentrum finden und was schlecht. Die Baubehörde hat dazu aufgefordert, Probleme und Potenziale aufzuzeigen. Seit Kurzem ist die Online-Umfrage beendet und beginnt ihre Auswertung. Sie ist Teil einer Analyse, die klären soll, was aus dem Ortskern wird: Förder- oder Sanierungsgebiet.
Mehrere Wochen hat die Internet-Abfrage gedauert. Herausgekommen ist dabei eine Karte, auf der Blumenthaler markiert haben, wo die Aufenthaltsqualität im Zentrum gut ist und wo schlecht. 153 Plätze, Straßen und Gebäude wurden markiert – mit Figuren, die mal grün, mal rot sind, mal ein fröhliches, mal ein trauriges Gesicht haben und deshalb mal Like-it, mal Don't-like-it heißen. Zu den Symbolen gibt es 1026 Kommentare und Bewertungen, die so ähnlich sind wie der Gefällt-mir-Button bei Facebook.
Katharina Waschau sagt, dass das ein guter Schnitt ist. Die Planerin arbeitet für die Baubehörde. Sie leitet die Untersuchung des Ortskerns – und koordiniert damit auch das Team, das die Online-Umfrage auswertet. Laut Waschau hat das beauftragte Büro mitgeteilt, dass die Resonanz deutlich höher ist als bei anderen Erhebungen, die länger gedauert haben als die im nördlichsten Teil der Stadt. Seit Mitte Juni konnten Blumenthaler ihre Meinung zum Zentrum sagen und ihre Meinung zugleich verorten.
Dass es mehr rote als grüne Figuren gibt und damit mehr Probleme als Potenziale verwundert Waschau kaum. Wäre es andersherum, müsste das Zentrum gar nicht erst untersucht werden. Die Planerin kommt auf 49 Like-it- und 101 Don't-like-it-Symbole. Drei Markierungen sind neutral. Unterm Strich spiegelt die Quote wider, wie das Zentrum schon seit Längerem von Politikern, Anwohnern und Vereinsvertretern gesehen wird: als ein Gebiet, das so viele Schwierigkeiten hat, dass sie ohne Hilfe der Stadt nicht beseitigt werden können.
Was in der Umfrage gelobt und was kritisiert wird, deckt sich zum Großteil mit dem, was Gutachter der Behörde in ihrer bisherigen Analyse festgestellt haben: Dass der Handel im Zentrum kein Leitfaktor mehr ist. Dass im Ortskern jede fünfte Erdgeschosseinheit leer steht, in der Mühlenstraße sogar jede dritte. Und dass der Zustand der Gebäude in 87 Prozent der Fälle als mittelmäßig bis schlecht bewertet wird – und bei drei Viertel der Häuser entweder Modernisierungs- oder Instandsetzungsbedarf besteht. Genauso wie bei Grünanlagen.
Die Teilnehmer der Umfrage drücken es anders aus, vor allem direkter: Von verfallenen und heruntergekommenen Häusern ist die Rede. Vom nächsten leeren Laden und vom nächsten Wettbüro, das eröffnet – diesmal gleich gegenüber eines Kindergartens. Und davon, dass Straßen und Gebäude zu rechtsfreien Räumen werden: mit Drogenhandel, vermüllten Durchgängen, zugeparkten Fußwegen und Lärm am Morgen, am Mittag und in der Nacht. Die Forderung nach "mehr Kontrolle" und "mehr Polizeipräsenz" ist häufiger zu lesen.
Es gibt auch Einträge, die weniger dramatisch klingen. Bei ihnen geht es um kaputte Straßen, schmale Wege, fehlende Bänke und darum, mehr aus Flächen zu machen, die brach liegen. Einige Kommentare verbergen sich zwar hinter roten Symbolen, könnten aber auch zu den grünen gehören, weil sie Potenziale offenlegen. Die werden vor allem in neuen Geschäften und Bildungsangeboten gesehen. Froh sind Umfrageteilnehmer über die Waldorfschule, die Eröffnung eines Restaurants, Seminare im Alten Rathaus.
Ortsamtsleiter Oliver Fröhlich meint, dass kleinere Probleme, die jetzt aufgezeigt wurden, früher gelöst werden können – und die größeren, wenn entschieden ist, was das Zentrum werden soll. Der Verwaltungschef und die Stadtteilpolitiker sind gegen ein Förder- und für ein Sanierungsgebiet, weil es der Stadt mehr Möglichkeiten bietet, mit Hauseigentümern zu verhandeln. Nur im Sanierungsfall hat sie das Vorkaufsrecht, kann enteignen und das Instrument des Genehmigungsvorbehalts anwenden.
Projektleiterin Waschau kennt die Argumente der Parteien. Ob es allerdings auch so kommt, wie die es fordern, kann die Planerin momentan nicht sagen. Sie geht davon aus, dass die Umfrage in den nächsten Wochen ausgewertet und deren Ergebnisse nach den Sommerferien vorgestellt werden. Waschau rechnet mit einem Termin im September – und im Herbst mit der Entscheidung darüber, ob das Zentrum zum Förder- oder zum Sanierungsgebiet erklärt wird.
In beiden Fällen wird es noch dauern, bis Projekte umgesetzt werden. Waschau nennt die Analyse der Behörde eine vorbereitende Untersuchung. Sie ist quasi die Grundlage für ein Konzept, das im Detail aufgreifen soll, was bisher im Groben untersucht wird. Waschau sagt, dass im nächsten Jahr erste Vorhaben starten werden – ohne sich festzulegen, wann genau im nächsten Jahr.