Borgfeld/New York. Am Morgen des 11. September 2001 steht Wolfgang Schümann früh auf. Er geht zum Hudson River runter, um Milch zu holen. Als er den kleinen Laden am Flussufer betritt, hat der Borgfelder ein beklommenes Gefühl. Anstatt ihn wie gewohnt zu begrüßen, starrt die Kassiererin regungslos auf einen Bildschirm. Wolfgang Schümann holt die Milch aus dem Regal, stellt sie auf den Tresen. „Dann gucke ich auf den Monitor und sehe die Zwillingstürme des World Trade Centers auf der gegenüberliegenden Seite. Aus einem kommt Qualm. Ich habe einen Dollar auf den Tresen gelegt und bin sofort zum Flussufer gerannt. Das waren ungefähr 200 Meter“, berichtet der Schiffsingenieur. Auch 20 Jahre nach den Terroranschlägen von New York machen ihn die Bilder immer noch fassungslos.

20 Jahre nach den Terroranschlägen in New York berichtet der Augenzeuge Wolfgang Schümann über den Tag, der die Welt verändert hat.
„Hubschrauber kreisten über New York. Überall hatten sich Menschen am Flussufer versammelt, ansonsten war es totenstill, kein Mensch sprach ein Wort", erinnert sich Schümann. "Da knallte das zweite Flugzeug in den anderen Turm." Der Borgfelder zog sein Handy aus der Tasche und machte ein Bild. Das Foto zeigt einen der Zwillingstürme, umhüllt von einer Rauchschwade.
Es ist der letzte Tag einer dreiwöchigen New York-Reise. Edda und Wolfgang Schümann besuchten ihren Sohn, der in New York ein Unternehmen gegründet hatte. Sven Schümann lebt mit seiner jungen Familie in Guttenberg, einer Kleinstadt im Norden von Hudson County, New Jersey – mit Blick auf Manhattan. Wolfgang Schümann zeigt auf das Foto am Hudson River, das seit 20 Jahren auf der Anrichte in seinem Borgfelder Wohnzimmer steht. „Viele Leute haben am Ufer gebetet“, erinnert er sich. Die Straßen wurden gesperrt. „Man hörte dann aus dem Radio, dass mehrere Flugzeuge auf dem Weg seien.“
Am Abend des 11. September treffen sie sich mit Freunden in einem Park. „Dort hatten sich alle versammelt, mit Kerzen, um zusammenzustehen“, berichtet Edda Schümann. Viele Menschen hätten Manhattan fluchtartig verlassen. „Es war eine gespenstische Ruhe in dieser sonst so lebendigen Stadt. Sonst standen wir immer bei unserem Sohn auf dem Balkon, von allen Seiten kamen die Flugzeuge – und auf einmal war alles still." Wolfgang Schümann streicht sich nachdenklich über das Kinn.
Bilder wie im Krieg
„Wir hatten eigentlich schon die Koffer gepackt“, berichtet Edda Schümann, während sie Familienfotos zeigt. Am Abend des 11. September sollte der Flieger der Lufthansa vom "Newark Liberty International Airport" starten – von New York sollte es über Frankfurt zurück nach Bremen gehen. Dass es an diesem Tag ganz anders kommen sollte, können die Schümanns immer noch nicht so recht fassen.
„Einen Tag vorher sind wir noch mit der Fähre nach Manhattan gefahren, und haben das World Trade Center besichtigt“, berichtet Wolfgang Schümann. „Wir saßen dort vor so einer Weltkugel und wurden noch gebeten, dort nicht zu sitzen." Es war traumhaftes Wetter. „Wir hatten an diesem Tag noch über die Anschläge von 1973 gesprochen. Da habe ich noch zu meinem Sohn gesagt, wenn das damals mehr geknallt hätte, wäre der Turm doch bis zur Wall Street gefallen." Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, "dass zwölf Stunden später dieses große Unglück passieren würde", sagt Edda Schümann kopfschüttelnd.
Sie habe ein paar Zeitungen und Zeitschriften zu den Ereignissen gesammelt. Bilder wüster Zerstörung sind darin zu sehen – Feuerwehrleute, die im Schutt nach Überlebenden suchen, brennende Türme. "Es sah dort aus wie nach dem Krieg", erinnert sich ihr Mann.
Ein paar Tage später konnten die Schümanns New York wieder verlassen. „Es hat sechs Jahre gedauert, bis wir unseren Sohn, unsere Schwiegertochter und unsere Enkelkinder wieder besucht haben", erinnert sich Edda Schümann. Die Ereignisse hätten sie "zutiefst berührt". Auch Ground Zero habe die Familie inzwischen mehrfach besucht. „Wir sind beeindruckt von dem Denkmal, das die Amerikaner dort aufgebaut haben. Das Fundament der Türme ist wie ein riesiges Schwimmbecken, überall sind die Namen der Opfer verewigt, von oben fließt Wasser über das Denkmal. Es ist immer noch sehr bewegend."